Unter Drachen 6 - Drachenlord
#6 of Unter Drachen
Es sollte ein ruhiger Tag werden, doch ein kleiner Zwischenfall weckt den Drachen in mir, der das menschliche Verhalten nicht verstehen kann.
Am nächsten Morgen sind die menschlichen Gedanken zum größten Teil wieder da und meine kleine Freundin bekommt neue Fähigkeiten, die zukünftig mal wichtig werden.
Am Ende dann die Reise in das neue Reich und eine neue Drachenbekanntschaft mit einem sehr umgänglichen Typen.
Die Kapitel werden umfangreicher - hier 39 Seiten... ;)
Teil sechs der Geschichte um einen Menschen, der als Lord Eldingar mit und bei den Drachen lebt.
Ich versuche in dieser Story die Gedanken und Empfindungen des Menschen, der in ein Leben als Drache gestoßen wurde, in den Vordergrund zu stellen. Daher geht es eher um die Erkenntnisse und weniger um ständige Action. ;)
Ich hoffe, es gefällt trotzdem.
Unter Drachen
Vorab möchte ich einmal ein wenig erläutern, hinsichtlich meiner Angaben von Mimik und Gesten der Drachen. Um es einfacher zu machen, nutze ich die üblichen Bezeichnungen der menschlichen Entsprechungen.
Die Mimik der Drachen ist für Menschen praktisch nicht vorhanden, oder sehr fremd. Die verschiedenen Formen des Lächelns oder Grinsen äußern sich für den Menschen in der deutlichen Form, also entsprechend einem breiten Grinsen z.B. als ein recht bedrohlich wirkendes Zähne zeigen, der immer grimmig wirkende Blick dazu verstärkt das noch. Die Unterschiede liegen dann in winzigen Änderungen z.B. der Augenpartie, die Augen sind etwas weiter auf, etwas mehr geschlossen, die Augenbrauen (bzw. deren Entsprechung) sind etwas hoch- oder heruntergezogen, die Nüstern blähen sich auf oder ziehen sich zusammen - für einen Menschen praktisch nicht erkennbar, registriert ein Drache das sofort.
Ein wütender Drache ist eigentlich weniger an dem Zeigen der Zähne zu erkennen - meist bekommen nur die Menschen dann die Fangzähne zu sehen, weil sie sich dann so schön fürchten - sondern an dem zunehmenden Aufstellen der Schuppen auf dem Nasenrücken. Zeigt ein Drache eine „krause Nase" würde ich empfehlen, sich zu empfehlen - also schleunigst zu verschwinden. Peitscht der Schwanz dazu noch auf den Boden oder seitlich in die Büsche, ist es zum verschwinden schon zu spät...
Zeigt ein Drache den Menschen deutlich seine Zähne, insbesondere die Fangzähne bei glattem Nasenrücken, will er sie in der Regel nur erschrecken.
Ansonsten können die Drachen viele Gefühle an den Augen erkennen und vor allem am Spiel der Schwanzspitze, etwas, was Menschen wohl nie lernen werden. Diese teilweise winzigen Bewegungen in alle Richtungen und unterschiedlichem Zusammenspiel... Selbst ich kann es nur instinktiv erfassen und auch zeigen. Versuche ich bewusst ein Gefühl auszudrücken, versage ich kläglich. Dafür kann ich meinen Schwanz bewusst still legen und das über sehr lange Zeit ohne darauf achten zu müssen auch halten. Dadurch werde ich für andere Drachen dann unlesbar - das gelingt ihnen nicht oder nur sehr kurz, dann liegen ihre Gefühle und Empfindungen wieder offen.
Mit den Gesten ist es einfacher, nur dass wir Drachen z.B. nicht wirklich mit den Schultern zucken, sondern den Kopf leicht senken und dabei etwas nach links legen. Ich verwende aber die menschliche Entsprechung dazu, da es so Menschen einfacher darzustellen ist. Das gilt auch für andere Bewegungen, die etwas ausdrücken sollen - ein Nicken z.B. ist dem menschlichen schon ähnlich, wird aber nur einmal ausgeführt, beim Kopfschütteln drehen sie den Kopf entlang der Längsachse, nicht der Hochachse wie ein Mensch.
Statt fragend die Augenbrauen hochzuziehen, legen sie den Kopf schief. Nach links bedeutet Zweifel, ob er es richtig verstanden hat, - nach rechts ist völliges Nichtverstehen. Allerdings sind Drachen gegenüber Fremden und Menschen meist zu stolz um zu zeigen, dass sie einen nicht verstanden haben. Man wird also meist einen nach links geneigten Kopf sehen. Eine vorsichtig ausführlichere Erklärung kann dann also nicht schaden.
Die Abwehrgeste ist kein schützend ausgestreckter Arm sondern das wegdrehen und -ducken des Kopfes. Konzentrierte Aufmerksamkeit erkennt man durch deutliche, ruckartige Bewegungen der Schwanzspitze etwa im Sekundentakt ganz von einer zur anderen Seite.
Eine Körperhaltung, die Menschen als hochmütig und arrogant erscheint, gilt bei Drachen nur als Selbstbewusst - Arroganz ist allerdings schon auch dabei, das sollte klar sein.
Wie die Drachen sich verständigen habe ich ja schon erwähnt. Unser Kehlkopf kann zwar kräftige, röhrende Rufe erzeugen, die das Blut in den Adern stocken lassen - ist für Sprache aber nicht gut geeignet, selbst wenn die Zunge dazu mehr als beweglich genug ist. Wir „sprechen" durch Schallprojektion, lassen also das, was wir sagen wollen, direkt als Schallschwingung im Gehör unserer Gesprächspartner entstehen. Normalerweise wird die Projektion sozusagen rundherum ausgestrahlt, alle, die innerhalb der Reichweite sind, hören uns dann. Der Radius kann dabei gesteuert werden, das ist aber unabhängig davon, ob wir laut oder leise sprechen. Zudem können wir unser Stimme auch auf einen oder mehrere nebeneinander stehende konzentrieren, das hört außerhalb des Bereiches niemand.
Umgekehrt verstehen wir die akustischen Sprachen der Menschen und sie hören uns in ihrer Sprache. Wie das geht? Fragt das bitte Erce. Es hat mit der Lebensenergie, der Kraft die diese Welt durchströmt, zu tun.
Wir haben gute empathische Fähigkeiten, können also Gefühle und Empfindungen der Menschen, aber auch der Tiere in unserer Nähe erkennen, aber Gedanken können wir nicht lesen, weder die anderer Drachen, noch die der Menschen. Und durch Gedanken andere beeinflussen natürlich auch nicht. Wollen wir jemandem - vor allem Menschen - unseren Willen aufzwingen, haben wir andere Mittel zu Verfügung - wie Zähne, Krallen, Feueratem...
Obwohl ich ahne, dass sich da etwas in Zukunft ändern könnte - nein, nicht ich, ich bin nur ein Blitzdrache mit einer engen Beziehung zu meiner kleinen 'Schwester'...
Unter Drachen
6. Drachenlord
Ein Schnuppern und eine zärtliche kleine Zunge wecken mich.
Hier mit den anderen in der Höhle und auf dem angenehmen Strohpolster habe ich wie ein Stein geschlafen.
„Na, Du Langschläfer, komm schon raus." quengelt Manvinkona und fasst mich vorsichtig mit den Zähnen am Handgelenk um mich hochzuzerren.
Fjörgyn, jetzt wieder als Feral, steckt ihren Kopf durch den Zugang.
„Ich habe Dich ja gewarnt, Eldingar... - Manvinkona, übertreibe es nicht. Du weißt, dass Eldingar jetzt öfter wie ein Drache denkt, Du könntest eine böse Überraschung erleben."
Grinsend rappel ich mich auf.
„Schon gut, ich komm ja schon."
Manvinkona lässt mich los und leckt mir entschuldigend kurz über das Handgelenk. Fjörgyn macht uns Platz und ich folge der Kleinen nach draußen vor die Höhle.
Die Sonne auf meinen Schuppen, recke ich mich erst einmal genüsslich und starte dann schnell zu einem kurzen Flug zum Teich hinüber in den ich mich direkt aus dem Flug mit angelegten Schwingen stürze. Kalt, aber herrlich, das Wasser - mit ein paar Zügen bin ich wieder am Ufer wo mir Manvinkona schon entgegenkommt. Offenbar ist sie zum Spielen aufgelegt, denn sie bremst nicht ab. Im letzten Moment springt sie ab und rammt mich mit voller Wucht, aber doch relativ sanft mit schnell vorgestreckten Flugarmen in Brusthöhe. Da sie nicht mehr viel leichter ist, als ich so als Anthro, schleudert sie mich natürlich mit Schwung zurück in den Teich.
„Na warte, Du Drachenbiest." pruste ich, als ich wieder an die Oberfläche komme.
„Wenn ich Dich erwische, kitzel ich Dich, bis zu um Gnade winselst." Ich habe einige Stellen herausgefunden, an denen sie wirklich kitzelig ist.
Mit kräftigen Zügen meiner Schwingen bin ich so schnell wieder am Ufer, dass sie vor Schreck stolpert, als sie sich schnell aus dem Staub machen will, kichernd kommt sie wieder auf die Beine und galoppiert in Richtung Wiese.
Am Ufer richte ich mich mit drei schnellen Schlägen meiner Schwingen auf und sprinte währenddessen schon los. Die Kleine ist verdammt schnell, ich muss mich schon ranhalten, wenn ich sie einholen will. Und ich muss feststellen, dass sie auch extrem wendig ist, denn kaum glaube ich, dass ich sie habe, schlägt sie auch mit Hilfe ihrer Schwingen einen sehr schnellen kurzen Haken und entwischt mir wieder. Eine Minute später bin ich wieder dran, kann aber trotzdem ich jetzt vorbereitet bin, nur unter Aufbietung allen Könnens und Einsatz meiner Krallen mit Händen, Füßen und Schwingen mühsam folgen.
Ich stelle fest, dass so ein Jungdrachen trotz fehlender Flugfähigkeit doch schon sehr gut auf das Leben vorbereitet ist, irgendwelche Raubtiere, selbst die flinken Wolfswyvern hätten nur sehr geringe Aussichten, sie zu erwischen.
Zwischendurch dreht sie sogar den Spieß einmal um und beginnt mich zu jagen, aber ich kann ihren Angriffssprüngen durch schnelle Sprünge, Abducken oder wegrollen noch entgehen und jage schließlich sie wieder.
Irgendwann nach über einer Viertelstunde macht sie den Fehler auf eine Finte hereinzufallen und weicht mir in meinen Sprung aus. Ich schubse sie um, dass sie über den Boden rollt und ehe sie sich aufrappeln kann, habe ich sie mir schon geschnappt. Nach einem kurzen Kampf durch ihre wirbelnden Arme und Beine komme ich an ihre Bauchschuppen und kann ihre kitzelige Stelle am Übergang von den Bauch- zu den Körperschuppen erwischen. Die folgenden zwei Minuten versucht sie nur noch kichernd und kreischend sich mir zu entwinden, was ihr nicht gelingt. Dann lasse ich sie los und sie bleibt, alle sechse von sich gestreckt, auf dem Rücken liegen.
Ich hocke mich neben sie und wir beide grinsen uns an. Beide atmen wir jetzt in gleichmäßigen Strom durch die Nüstern ein und gleichzeitig durch den Mund aus. Unsere Atemsäcke pumpen jetzt die Luft wechselweise in gleichmäßigem Strom durch die Lungen, was uns eine sehr hohe Leistungsfähigkeit gibt.
Nach höchstens einer Minute hockt sie sich vor mich und leckt mir schon wieder über meine Nüstern.
„Du bist zu schnell für mich, Großer. Das hätten wir drüben schon machen sollen, da hätte ich gewonnen."
„Aber ob mir das so gut bekommen wäre?"
Sie schüttelt den Kopf.
„Nein, bestimmt nicht. So gut hätte ich bestimmt nicht aufpassen können und die Haut eines Menschen ist so schnell kaputt. - Deshalb habe ich es auch nicht gemacht, obwohl ich Lust dazu hatte."
„Danke für Deine Vorsicht, meine Kleine."
„Naja, hättest Du ein paar kräftige Kratzer von mir gehabt, hätte Mama Dich bestimmt nicht angegriffen und Du wärst noch ein Mensch drüben..."
„Mach Dir darüber keine Sorgen. Es ist passiert, was passiert ist und was passieren sollte. Und ich bin nicht böse auf euch deswegen. Und mir wäre das Erlebnis entgangen, ein Drache zu sein, auch wenn es oft noch etwas schwierig für mich ist."
Fjörgyn unterbricht uns. Sie steht bei der Höhle und fragt mich, ob ich einen Tee möchte.
Ich nehme an und gehe zurück zur Höhle, Manvinkona folgt mir langsam, noch auf der Wiese herumstöbernd.
Oben angekommen schaue ich in die Höhle und sehe Fjörgyn als Anthro noch eine Flamme auf einen Kupferkessel mit Wasser blasen. Grinsend holt sie dann ein Bündel, aus dem sie eine Handvoll Teeblätter nimmt, die sie in das siedende Wasser gibt. Sie greift zu einigen Tonschalen und ich nehme den Kessel um ihn mit nach draußen zu nehmen. Einige Schritte vor dem Höhleneingang ist eine Felsplatte, die jetzt in der Morgensonne liegt, auf die ich den Kessel stelle und setze mich daneben in das Moos. Fjörgyn stellt die Tonschalen und einen Tontopf neben den Kessel und setzt sich neben mich.
„Den Tee und den Honig haben mir die Siedler gestern noch mitgegeben. Ich dachte mir, dass Du so etwas gerne magst, es ist ja etwas von den Menschen."
„Oh ja. Zwar habe ich mehr Kaffee getrunken, aber einen gesüßten Tee lehne ich nicht ab."
„Kaffee? - Ich glaube, Lord Kyrin hat einmal davon gesprochen. Das ist etwas da aus seinem Reich."
„Ah, Kaffee ist hier bekannt. Schön, dann werde ich sicher irgendwie auch daran kommen, mein Reich grenzt ja an das Reich von Lord Kyrin. - Ich muss mir nur eine Drachin suchen, die mir den Kessel anheizt." antworte ich grinsend.
Fjörgyn grinst mit.
„Praktisch nicht? Für so eine kleine Menge Wasser, lohnt es nicht, ein Holzfeuer zu machen. Da blase ich schnell eine Flamme drüber. Ich muss nur aufpassen, dass der Kessel nicht schmilzt, das ist mir am Anfang immer passiert."
„Ja, euer Feuer ist schon sehr heiß." stimme ich in ihr leises Kichern ein.
„Wo ist eigentlich Græðarinn?"
„Er ist zur Kraftquelle um seine Energie zu erneuern. Er hat gestern doch viel Kraft verbraucht. Heute wollte er aber alleine dort hin, damit Du nicht aufwachst und niemanden findest. Du verstehst unsere Schrift ja noch nicht. Und die von Eldflóð verstehe ich wiederum nicht."
Ich nehme die Tonbecher, die glasiert sind, wie ich jetzt sehe und fülle den Tee ein. Die Blätter werden durch ein feines Gitter zurückgehalten. Der Honig ist schön flüssig und lässt sich gut dosieren. Und als Rührwerkzeug nehme ich eine Kralle.
Sowohl Tee, als auch der Honig sind wunderbar aromatisch. Ich weiß zwar nicht, was davon alles meinen Drachensinnen entspringt, aber auch als Mensch würde mir das sicher auffallen. So eine gute Qualität habe ich in meiner Welt noch nicht gehabt.
Wir unterhalten uns ein wenig über die Qualitäten solcher Lebensmittel, bei denen mir Fjörgyn bestätigt, dass sie im allgemeinen die Lebensmittel hier als besser empfindet, als die in meiner alten Welt, die sie allerdings auch weitgehend meidet.
Ein Schatten huscht über uns hinweg und Græðarinn kommt in einem weiten Bogen heran geflogen. Mir fällt auf, dass er nicht segelt, was eigentlich leicht möglich ist, sondern auch jetzt noch mit seinen Schwingen schlägt. Er kommt flach über die Wiese herein und erst die letzten Meter segelt er mit ausgebreiteten Schwingen. Und mich nachahmend richtet er sich abschließend auf um abzubremsen und landet sicher mit drei kurzen Schwingenschlägen.
Er transformiert sich zum Anthro und kommt mit federnden Schritten auf uns zu. Offensichtlich hat er gute Laune heute.
„Was ist hier los? Zeigst Du Eldingar das Leben eines Elementals?" meint er grinsend als er sich neben seine Mutter setzt. Er nickt, als ich ihm einen Becher hochhalte und ich fülle Tee ein, Honig möchte er nicht.
„Ja, sich die Sonne auf die Schuppen brennen lassen, abwarten und Tee trinken." antworte ich grinsend. Auch wenn sie den Spruch sicher nicht kennen werden.
„Du hast eine saubere Landung hingelegt. Abgeschaut?"
„Ja." antwortet er nickend. „Ich habe es mal versucht, geht schon ganz gut, oder?"
Ich nicke.
„Nur den Gleitflug - das bekomme ich einfach nicht hin..."
Ich winke ab.
„Übungssache. Und es sieht ja auch so schon sehr gut aus. Es war jedenfalls eine schöne Punktlandung."
Hinter mir höre ich ein Rascheln, eine Bewegung - ich drehe mich um und sehe gerade noch eine Gestalt auf mich zufliegen, die sich an mir festkrallt. Durch den Aufprall umgeworfen spüre ich im Rückwärtsfallen Zähne an meiner Kehle. Reflexartig greife ich zum Hals des Angreifers, realisiere aber durch meine Sinne im letzten Moment, dass es Manvinkona ist und kann meine Abwehr gerade noch stoppen. Hart lande ich auf meinem Rücken, mit diesem kleinen Drachenbiest an meiner Brust festgekrallt.
„Nein, bitte..." kommt erschreckt von Fjörgyn, die die Gefahr erkannt hat. Manvinkona löst ihren, nicht sehr festen, Biss und fragt.
„So jagst Du doch oder? Wie war das?" -
Tue _das_nie wieder. Nie!" sage ich leise mit einem drohend grollenden Unterton. -
Sie sieht mich erstaunt an. Ich packe mit beiden Händen, die an ihrem Hals liegen, kurz zu und dann sieht sie meine voll ausgefahrenen Krallen, die nur eine Muskelzuckung davon entfernt waren, ihren Hals zu zerfetzen. Sofort begreift sie die Gefahr, in die sie sich gebracht hat durch ihren unüberlegten Überraschungsangriff. In ihren Augen spiegelt sich die Angst wieder, die sie jetzt gepackt hat.
„Oh, bitte, ich..."
Sie fängt am ganzen Körper an zu zittern. Fjörgyn will etwas sagen, aber mein drohendes Fauchen lässt sie sofort verstummen.
Manvinkona rutscht jetzt langsam von mir herunter und kauert sich vor mich hin, immer noch zitternd. Sie spürt, was sie in mir geweckt hat und fürchtet sich zu Recht davor.
„Was sollte das? Du weißt doch, was in mir steckt. Du hast selber den Drachen gespürt und dass er härter, brutaler ist, als Deine Mutter und Græðarinn, vielleicht sogar mehr als Eldflóð. Und dieser Drache wird bei Gefahr plötzlich da sein und reagieren."
Sie nickt leicht, immer noch zitternd.
Meine Krallen sind immer noch ausgefahren, ich brauche einen Moment, bis sie sich wieder zurückziehen. Am liebsten würde ich dieses dreiste Biest zerfetzen, zu ihrem Glück ist sie noch zu jung.
Ich gieße mir noch einen Tee ein. Fjörgyn wagt jetzt einen Vorstoß.
„Zum Glück ist nichts passiert, Eldingar. Willst Du sie so liegenlassen?"
Sie wagt es tatsächlich mich so anzusprechen?
„Ihr könnt gerne die Strafe übernehmen, die dieses Biest verdient..." meine Krallen schnellen wieder heraus.
Mit schreckgeweiteten Pupillen erkennt Fjörgyn, dass in mir der Drache geweckt wurde. Ich denke nicht mehr wie ein Mensch, ich bin der Drache, der vor ihr sitzt.
Sie hockt sich neben ihre Tochter. Noch bevor sie etwas sagen kann, habe ich den Tee heruntergeschluckt, stehe auf und gehe ein paar Schritte weg, wo ich mich zum Feral transformiere. Mit einem zufriedenen Knurren schüttele ich mich kurz - das ist doch die richtige Erscheinung für einen Drachen!
Ich blicke auf die drei herab. Das kleine Biest kauert jetzt in nahezu perfekter Demutsgeste vor mir - auf dem Boden liegend, Arme und Beine eng an den Körper gezogen, Schwingen eng angelegt, der Schwanz schnurgerade fest auf dem Boden, der Hals ebenfalls gerade, Kopf gesenkt, die Nase knapp über dem Boden, Blick fest auf den Boden vor ihrer Nase gerichtet.
„Verzeiht Eurer demütigen Dienerin, edler Lordpaladin. Nennt bitte die Strafe, die Eurer Dienerin für ihre Verfehlungen gebührt, Eure demütige Dienerin wird sie mit Freude annehmen." Die Unsicherheit schwingt in Ihrer Stimme mit, sie weiß, dass sie im Ernstfall kaum auf Hilfe ihrer Mutter und ihres Bruders hoffen kann.
Dennoch legt Fjörgyn ein Wort für sie ein.
„Ich bitte Eure Lordschaft, das außerordentlich geringe Alter der wohlweislich schuldigen Delinquentin bei der Strafbemessung zu berücksichtigen."
„Das Alter ist bekannt." gebe ich in kaltem Tonfall zurück. „Aber Ihr habt sie gehört Lady Fjörgyn, sie unterwirft sich - wollt Ihr die Strafe auf Euch nehmen?" -
Ich sehe ihr an, dass sie es übernehmen würde, aber sie hofft offenbar auf meine Gnade. Ihre Augen flehen mich um Nachsicht an. - Ich habe es schon bemerkt, das sie sehr ungewöhnlich für eine Drachin reagiert, selbst für eine Mutter.
„Und Ihr, Sir Græðarinn?"
„Verzeiht, Lord Eldingar. Ich werde bei Bedarf für die junge Manvinkona sprechen."
Ich grunze eine Zustimmung. Da ich weiß, wie ungewöhnlich eng ihr Familienzusammenhalt ist, war es zu erwarten.
Ich sehe den Nestling an.
„Warum?" fauche ich.
Sie zuckt zusammen.
„Eure... Eure demütige Dienerin wollte Eurer Lordschaft zeigen, dass Eure Dienerin bereit zur Jagd ist."
„Wozu?"
„Weil Eure demütige Dienerin die Hoffnung hatte, dass Eure Lordschaft ihr das Jagen lehren würdet."
Ich schnaube nur verächtlich.
Græðarinn meldet sich zu Wort.
„Eure Lordschaft möchten bitte berücksichtigen, dass sie noch vor kurzem mit Euch spielerisch eine Art Jagd durchgespielt hat. Sie hat ihren Angriff noch darauf bezogen."
Richtig, das war bereits so eine Art Jagd gewesen - nun hatte sie sich an ihre Beute angeschlichen und sie durchaus erfolgreich überrascht. Ich muss zugeben, dass dieses Biest sich nicht schlecht dabei angestellt hat. Nur hat sie sich die falsche Beute ausgesucht.
Ich atme einmal tief durch.
„Ich verstehe."
Fjörgyn wagt es, mich anzusehen.
„Eure Lordschaft?"
Ich schüttele den Kopf.
„Gut. Es fehlt ihr am Umgang mit Drachen. Das ist Eure Angelegenheit, Lady Fjörgyn.
Sie hat jetzt zu beweisen, dass sie den Umgang beherrscht. Über ihre Strafe entscheide ich dann."
Græðarinn spricht für sie.
„Sie nimmt an. Doch bittet sie Eure Lordschaft, sich an die Ausbildung zu erinnern."
Mein Fauchen lässt sie wieder zusammenzucken. Sie bemüht sich noch exakter um die richtige Position.
„Der Nestling beginnt bereits jetzt wieder frech zu werden?"
Græðarinn verneigt sich.
„Nein, verzeiht Eure Lordschaft. Das habe ich aus eigenem Entschluss angefügt. Dafür bestraft mich."
„Na gut." knurre ich. Diese Drachenfamilie raubt mir noch den Nerv.
„Ihr werdet Euch um den Nestling kümmern und auf ihre Umgangsformen achten."
„Ja, Lordpaladin." Er verneigt sich.
„Aber ich halte mein Wort. Sie wird Stillschweigen bewahren, solange ich oder Sir Græðarinn Ihr das Word nicht gestattet haben. - Hat sie noch etwas dazu zu sagen?"
Sie wagt es nicht einmal, mir einen Gedanken zu senden. - Diese merkwürdige Begabung, die sie hat. Angemessen antwortet sie leise.
„Eure demütige Dienerin dankt Euch für ihre Bestrafung, edler Lordpaladin. Eure unwürdige Dienerin nimmt die Bestrafung mit Freude an und versichert Eurer hohen Lordschaft demütigste Erfüllung."
Weiter arrogante Ruhe ausstrahlend, spüre ich fast so etwas wie Spaß daran, das kleine Biest gnadenlos zu triezen, doch das ist eines Drachens unwürdig. Ich verdränge diesen Wunsch wieder.
„Sir Græðarinn, würdet Ihr diese nichtswürdige Dienerin zur Flugtrainingswiese bringen." -
„Natürlich, Euer Lordschaft. Sofort."
Er dreht sich um, offenbar nicht ganz sicher, wie er sich verhalten soll. Aber mein kalter Blick lässt ihn kurz durchatmen. Er geht zu Manvinkona, deutet seiner Mutter eine Verbeugung an und sagt in überraschend kalten Tonfall zu seiner Schwester:
„Sie mag sich erheben."
Manvinkona zuckt zusammen. Sie hatte wohl gehofft, er würde sie anders behandeln. Nur weiß er, was ihm dann geschehen würde. Aber sie hält sich stramm an das Sprechverbot. Nicht einen Ton gibt sie von sich. Gut. -
Fjörgyn sieht mich erschreckt an. Mit einem verzweifelten Blick von mir zu ihrem Sohn und zurück zu mir, deutet Sie eine Verneigung an und kommt dann näher. Was will sie nun wieder?
Græðarinn wendet sich noch einmal an mich.
„Mein hoher Lord. Habt ihr besondere Anweisungen wie diese unwürdige Dienerin den Weg zurückzulegen hat?" -
„In Eurem Ermessen." -
„Ich verstehe, Euer Lordschaft."
Er dreht sich um und transformiert zum Feral, hält Manvinkona die Hand hin, worauf sie mit einem erleichterten Seufzer in seine Hand klettert und sich dort wieder in der Demutshaltung hinkauert. Græðarinn verneigt sich vor uns und hebt ab in Richtung auf die Flugwiese, auf der ich vor vier Tagen das Fliegen gelernt hatte. Ein wenig Nachsichtig ist er ja, aber andererseits sind sie so auch schneller oben.
Fjörgyn steht jetzt vor mir, ihr flehender Blick verwirrt mich. Wir sind Drachen - ich lasse den Nestling am Leben, was will sie noch?
„Eldingar..."
drohend verengen sich meine Pupillen.
„Verzeiht Eure Lordschaft. Ich hoffte, noch ein wenig von dem Menschen in Euch zu finden. Ich sehe, meine Hoffnung ist vergebens."
Ich begreife nicht.
„Warum? Wir sind Drachen - warum sucht Ihr den Menschen?" Ich lege meinen Kopf auf die rechte Seite.
Sie seufzt fast schmerzhaft auf.
„Weil ich den Menschen, der Ihr einmal wart, wie einen Sohn liebe, mein Lord."
„Irrelevant."
Sie zuckt zusammen.
„Verzeiht, Eure Lordschaft. Darf ich hoffen, dass der Lordpaladin meine Tochter leben lassen wird?" ihre Stimme klingt müde.
„Ja."
„Ich danke Eurer Lordschaft. Erlaubt, dass ich mich zurückziehe." Ich höre Enttäuschung und Trauer in ihrer Stimme, warum?
Ich nicke - sie dreht sich um und geht mit unsicheren Schritten und gesenktem Kopf zu ihrer Höhle.
Ich verstehe nicht, was in dieser Drachin vorgeht. Sie sollte meditieren und wieder zurück zu einem dracoiden Denken finden - und nicht länger als Anthro herumlaufen.
Kopfschüttelnd breite ich meine Schwingen aus und starte auch zum Flughügel.
Schnell bin ich dort, wo ich von oben beobachte, dass Manvinkona zwar schon ordentliche Gleitflüge schafft, aber nicht beständig im Aufwind segeln kann. Ich lasse mich durchsacken und stehe mit zwei bremsenden Schwingenschlägen neben Græðarinn, der wieder als Anthro ihre Übungen beaufsichtigt. Manvinkona landet gerade und wirft sich sofort in der Demutshaltung vor mich.
„Sir Græðarinn, wie steht es um die ihre Flugkünste?" -
„Euer Lordschaft, sie vermag recht ordentlich Gleitflüge zu absolvieren, jedoch - verzeiht, aber um beständig im Aufwind zu segeln, fehlt ihr die Kenntnis. Sie versteht zwar meine Anweisungen, weiß sie aber nicht umzusetzen. Aber ich muss gestehen, dass ich es selber nicht vermag." -
„Sie möge einen Flug vorführen." antworte ich.
Manvinkona springt sofort auf und beeilt sich den Hügel hochzukommen. Sofort will sie starten.
„Stopp!" befehle ich. Sie erstarrt.
„Kannst Du so aus einem schnellen Lauf heraus sicher gleiten? Du darfst antworten." -
„Nein, Eure Lordschaft, ich denke nicht." antwortet sie leise. -
„Also konzentriere Dich auf das Fliegen, versuche im Aufwind zu bleiben. Starte, wenn Du bereit bist."
Ihre Erleichterung, dass ich jetzt weniger hart mit ihr umgehe ist deutlich zu erkennen. Nach einer Minute startet sie, einige Sekunden schafft sie es, unsicher im Aufwind zu segeln, dann wirft der Wind sie aus ihrer Bahn und sie gleitet ein gutes Stück den Hang hinunter, allerdings immer ein Spielball des Windes. Anschließend kommt sie wieder so schnell sie kann zurückgerannt und hockt sich in Demutshaltung vor mich.
„Koordination ist unzureichend. Kraft hast Du, aber Du musst noch den Bewegungsablauf mit dem Wind abstimmen. - Ab sofort gelten für die Dauer der Ausbildung für Dich folgende Verhaltensregeln: Demutshaltung ist vorerst nicht notwendig, aber korrektes Verhalten ist Pflicht. Es ist Dir erlaubt, uns zu beobachten, Du sollt ja etwas lernen. Sprechen ist im direkten Zusammenhang mit der Ausbildung gestattet, aber vorrangig ist Schweigen geboten. Verstanden?" -
Sie setzt sich jetzt in einer versammelten Haltung vor mich, starrt durch meine Brust, da sie nicht wagt, mir in die Augen zu sehen und bestätigt leise.
„Ja, ich habe verstanden, Euer Lordschaft."
Der Wind ist hier kräftig genug, er wird mir auch ohne Anlauf oder aktiven Start genug Auftrieb geben.
„Beobachte, wie ich es mache."
Ich breite meine Schwingen aus, fühle den Wind und wie er Auftrieb erzeugt. Schon hebe ich hier vom Fuß des Hügels ab, ohne nachzuhelfen, strecke meinen Körper und spiele mit dem Wind. Bewege und drehe meine Schwingen, steuere mit dem Schwanz, und korrigiere mit Kopf, Körper und Beinen. Ich segle hin und her, hoch und runter, vor und zurück, nur getragen vom Aufwind ohne eine Hilfe durch einen Schwingenschlag. Im wesentlichen bleibe ich aber in der Nähe von Manvinkona, da sie mich ja beobachten soll. Ich kann auch erkennen, dass sie sich wirklich bemüht, die Bewegungen zu erkennen und sich einzuprägen. Aber auch Græðarinn beobachtet mich genau, auch er hofft noch etwas daraus zu lernen.
Nach einigen Minuten setze ich sanft vor ihr auf.
„Hast Du es verstanden?" -
Sie senkt den Kopf und antwortet leise:
„Verzeiht Mein hoher Lordpaladin, ich habe euch genau beobachtet, auch erkenne ich viele Bewegungen, aber verstanden habe ich es nicht."
Sie senkt den Kopf noch weiter, aus Furcht vor meiner Reaktion.
„Eine ehrliche Antwort. Und akzeptabel. Nur durch zusehen kannst Du es auch nicht verstehen. Zwar erkennst Du die Bewegungen, aber Du weißt nicht, warum oder wann diese notwendig sind." Ihr Kopf ruckt wieder hoch.
„Weiter - als nächstes sollst Du die Bewegungen im Aufwind selber spüren. Auf meinen Rücken, zwischen die Schwingen."
Ich setze mich hin, damit sie meinen Rücken hochklettern kann. Sie bleibt aber unschlüssig sitzen.
„Willst Du jetzt auf meinen Rücken klettern...?" -
„Oh, verzeiht Euer Lordschaft. Ich war mir nicht sicher..." - schleunigst macht sie sich auf den Weg.
Græðarinn steht daneben und schaut leicht verwundert. Mir ist klar, das entspricht nicht einem Drachenlord, aber ich versuche ihr eben so gut wie möglich jetzt schon das Segelfliegen beizubringen - zwar zu früh aber ich habe es zugesagt, also halte ich es auch.
Sie ist hochgeklettert, ich stelle mich wieder hin. Schnell, aber vorsichtig läuft sie meinen Rücken entlang. Zwischen meinen Schwingen bleibt sie stehen.
„Hinlegen und an meinen Flugarmen festhalten." Sie macht es.
„Verzeiht Euer Lordschaft, ich komme kaum an Eure Arme heran."
Ohne weiter etwas zu sagen, nehme ich den Wind unter meine bereits ausgebreiteten Schwingen und hebe sanft ab.
„Huh" höre ich von meinem Rücken. -
„Sagtest Du etwas?"
Sie schüttelt den Kopf. Schnell merkt sie, dass der Wind nicht droht sie herunterzuwehen, wenn sie sich dicht anschmiegt. Und das hilft ihr, mein Muskelspiel in Aktion mit dem Wind zu spüren. Nach kurzer Zeit liegt sie mit geschlossenen Augen auf meinem Rücken und beginnt meine Bewegungen leicht mitzugehen. Ich reagiere jetzt nur auf den Wind, gleiche die Böen aus, schwimme in den Bewegungen der Luft. Nicht mehr lange und wir bewegen uns fast perfekt im Gleichklang, sie natürlich nur mit minimalen Bewegungen ihrer Muskeln. Ich bemerke, dass sogar ihre Flugmuskeln in den fest angelegten Schwingen meine Bewegungen mitmachen.
„Breite Deine Schwingen aus."
Sie reißt ihre Augen auf. -
„Halte sie zunächst flach, damit der Wind auf die Oberseite strömt."
Sie gehorcht, vorsichtig streckt sie ihre Schwingen und legt sie auf meine.
„Nun fühle wieder den Wind, so wie eben."
Es braucht eine Zeitlang, bis sie wieder Vertrauen in ihre stabile Lage auf meinem Rücken fasst. Und langsam beginnt sie wieder mitzugehen mit mir im Wind. Mit zunehmendem Vertrauen beginnen auch wieder ihre anfangs ängstlich steifen Flugmuskeln das Spiel mit dem Wind aufzunehmen. Und ohne dass sie es bemerkt, liegt dann auch bald ihr Gewicht nicht mehr auf meinem Rücken, sondern wird durch ihre Schwingen getragen. Immer noch geht sie in einem fast perfekten Gleichtakt mit mir mit.
„Sehr gut." sage ich leise. „Hast Du den Mut, Dich nur an meiner Nackenfinne festzuhalten?"
Tatsächlich muss sie sich gar nicht mehr festhalten, sie fliegt schon eine ganze Zeit über mir im Wind. Nach einem Moment spüre ich leichten Zug in einem der Finnendornen, an dem sie sich hält. Kurzzeitig kommt sie ins Schlingern, kann es aber schnell ausgleichen.
„Meine Hörner?"
Fast sofort merke ich, dass sie sich meine Finne entlang zu meinem Kopf bewegt. Sie hält nur noch Kontakt, es ist nur ein wenig Zug zu spüren, wenn der Wind sie etwas anders trägt, als mich. Bald spüre ich die Berührung am rechten Horn, mit der Linken greift sie schon gar nicht mehr zu. Langsam hebe ich den Hals und neige gleichzeitig meinen Kopf nach unten, damit meine Hörner höher stehen - bald schwebt sie einige Meter über meinem Rücken. Und immer noch spüre ich nur eine leichte Berührung, keinen Zug, nur den Kontakt. Allerdings ist es sehr unbequem, in dieser Haltung zu fliegen und meine Stabilität leidet auch etwas darunter.
„Du weißt, was Du gerade machst?" -
„Ja, ich fliege. Ich fliege über Dir im Wind." - Dass sie die korrekte Form in der freudigen Erregung vergisst, nehme ich ausnahmsweise hin.
„Hast Du den Mut?"
Sie lässt kurz los. Greift aber wieder zu. Lässt noch einmal los, noch einmal ein kurzer Griff, dann lässt sie endgültig los. Langsam senke ich den Kopf wieder.
„Nein, bitte..." -
„Es ändert sich nichts für Dich, Du fliegst schon die ganze Zeit alleine. Und ich bekomme einen Krampf." -
„J-Ja gut."
Erleichtert senke ich meinen Kopf wieder in die normale Flughaltung.
„Wenn Du Dich jetzt ein wenig nach vorne neigst, sinkst Du und wirst etwas schneller. Du kommst dann vor mich und ich kann Dich besser beobachten."
Sie macht es vorsichtig und setzt sich tatsächlich vor mich. Eine kleine Turbulenz lässt sie kurz aus dem Gleichgewicht kommen. Sie stößt einen kurzen spitzen Schrei aus, hat sich aber schnell wieder gefangen.
„Gut gefangen. Das ist normal, der Wind ist nie völlig gleichmäßig. - Lege Deinen Kopf ein wenig nach rechts und halte mit den Schwingen das Gleichgewicht, dann wirst Du leicht nach rechts treiben. Ich bleibe immer hinter Dir. Keine Angst wenn Du den Aufwind verlierst, Du gleitest dann wie sonst auch zu Boden."
Sie probiert es und gleitet langsam nach rechts. Stoppt die Bewegung und kommt wieder zurück nach links, ohne weitere Anweisungen.
„Sehr gut. - Durch ein Anstellen der Schwingen gleichzeitig steigst oder sinkst Du. Denke daran, dass Du beim Steigen langsamer wirst und beim Sinken schneller."
Wieder probiert sie es erst langsam, dann immer schneller.
„Gut so. Nicht übertreiben, das ist nachher alles Übungssache. - Wenn Du nur eine Schwinge etwas anstellst, wie zum steigen, wirst Du recht schnell zur anderen Seite treiben. Du musst es dann wieder austarieren, wie bei einer Turbulenz."
Sie probiert es wieder aus, sehr vorsichtig zunächst. Dann aber immer mutiger. Bleibt aber bei einer offenbar selbst gesteckten Grenze, die sie nicht überschreitet.
„Gut. Es gefällt mir, dass Du es nicht übertreibst. Traust Du Dir eine Landung ohne Anleitung zu? Aber hier in der Nähe, nicht irgendwo unten."
Sofort beginnt sie langsam zu sinken. Schnell hat sie auch erkannt, dass sie mit ausgestreckten Armen und Beinen etwas abbremst. Am Ende setzt sie sicher auf und hat nur einige Meter Strecke gemacht.
„Ja, das war sehr gut, Du hast verschiedenes ausprobiert, Geschwindigkeit zu verlieren ohne wieder an Höhe zu gewinnen. Mit diesem Ergebnis kannst Du jetzt sehr zufrieden sein. Wir werden jetzt einen Start nur durch den Auftrieb probieren, so wie ich ihn mache. Denke daran, dass meine Schwingen im Verhältnis länger sind, als Deine und mir so mehr Auftrieb geben. Du wirst es jetzt noch nicht so gut können, vielleicht wird es auch nicht gehen. Aber wir werden es versuchen. -
Nase in den Wind, Schwingen - gut. Jetzt spiele mit dem Wind, ändere den Anstellwinkel, spüre, was der Wind mit Dir macht, wann er beginnt, Dich anzuheben, Du den Druck des Auftrieb unter Deinen Schwingen spürst. Und wenn Du meinst, er trägt Dich, stoße Dich vom Boden ab und fliege."
Sie macht es, wie angewiesen. Ihre anfangs konzentrierte Miene hellt sich immer mehr auf, als sie spürt, wie und warum der Wind unter ihren Schwingen beginnt, sie zu tragen. Und dann sieht sie mich fragend an, sie kann sich kaum am Platz halten durch den Auftrieb unter ihren Schwingen. Ich nicke und sie stößt sich vom Boden ab, schwebt einen Moment und setzt wieder auf. Diese Spiel wiederholt sie, mit immer längeren Flugphasen, bis sie schließlich selbständig über uns am Hang im Wind entlanggleitet. - Sie fliegt, alleine ohne Anweisungen. Ich drehe mich zu Græðarinn.
„Auftrag ausgeführt. Wenn sie vorsichtig weiter übt, ist sie bald sicher, habt ein Auge darauf. Sobald ihre Flugmuskeln stark genug sind, könnt Ihr mit ihr das aktive Fliegen üben. Schließlich habt Ihr es mir ja auch beigebracht." Er schaut zur Sonne.
„Verzeiht mein Lord. Würdet Ihr mir den Trick mit dem Segeln auch zeigen? Ich kann aktiv fliegen und leidlich gleiten, aber dieses schwerelose Schweben auf dem Wind beherrschen nur wenige Drachen. Meine Eltern gehören leider nicht dazu." -
Ich seufze. Na gut, da ich ja schon dabei bin...
„Breitet bitte Eure Schwingen aus."
Er gehorcht. Nach meiner Einschätzung müsste es bei dem guten Wind heute auch mit ihm als Anthro klappen bei seiner Spannweite. - Woher habe ich diesen Begriff? Egal.
„Wir können es versuchen. Aber als Feral werdet Ihr es einfacher haben, dann ist das Tragflächenverhältnis besser." Schon wieder so ein fremder Begriff...
„Aber zum ersten Üben wird es gehen. Ein Anthro trägt sich leichter." ergänze ich trocken.
Ich stelle mich in Position und Græðarinn klettert auf meinen Rücken um sich ebenso wie Manvinkona vorhin zwischen meine Schwingen zu legen. Sie bemerkt, was wir vorhaben und macht uns Platz, bleibt aber sicherheitshalber lieber still. Etwas weiter zieht sie ihre Kurven, die mutiger werden, aber im sicheren Rahmen bleiben, wie ich bemerke.
Ich nehme den Wind unter meine Schwingen und steige auch mit Græðarinn auf dem Rücken mit einer Leichtigkeit in die Luft, dass Manvinkona mir einen neidischen Blick zuwirft.
„Übungssache - Schwingenlänge und Übung." Auf meinen Kommentar schaut sie verlegen schnell wieder weg.
Græðarinn weise ich an, sich auf den Wind und meine Bewegungen dazu zu konzentrieren. Und zu versuchen, diese mitzugehen. Ansonsten lasse ich ihn erst einmal sich eingewöhnen. Er kann ja fliegen, ich brauche also nicht so aufpassen und er kann daher selbständiger agieren.
Es braucht nicht lange, dann beginnt er mitzugehen. Sein schon vorhandenes Fluggefühl macht es ihm natürlich einfacher, sich hineinzufinden. Bei ihm geht es darum, die Feinheiten des Segelfliegens zu erkennen, die oft nur minimalen Aktionen auf die Luft zu erlernen, die den Unterschied ausmachen zwischen einem einfachen zu Boden gleiten und dem aktiven Segelflug, bei dem man die Aufwinde nutzt um immer wieder an Höhe zu gewinnen.
Immer besser erkennt er meine feinen Korrekturen, mit denen ich stabil im Wind liegen bleibe, meine Höhe kontrolliere und die Richtung steuere. Nach einiger Zeit breitet er seine Schwingen aus und versucht, es mir gleichzutun. Es dauert insgesamt wohl eine halbe Stunde, bis er erstmals frei über mir schwebt. Ich tauche weg und lande um mir das Schauspiel in Ruhe anzusehen. Aber Græðarinn landet auch schnell und transformiert sich. Jetzt als Feral hat er doch mehr Auftrieb, wodurch es ihm leichter fallen wird, den Wind zu reiten.
Sich an meine Anweisungen für Manvinkona erinnernd steht er im Wind und sucht den Auftrieb unter seinen Schwingen. Bald fliegt auch er seine noch vorsichtigen Kurven im Aufwind. Seinen Jubelschrei, in den auch Manvinkona mit ihrer zarten Stimme mit einstimmt, lässt mich den Kopf schütteln.
Merkwürdige Drachen...
Ich lasse die beiden ihre Kurven ziehen, steige selber ein Stück auf und jage dann dicht über den Boden hinunter zur Höhle.
Fjörgyn ruht auf einem kleinen Plateau, von dem aus sie einen recht guten Überblick hat. Hoffentlich hat sie ihre dracoide Ruhe wiedergefunden. Meine Geschwindigkeit baue ich in einer Art Looping ab und setze mit voll ausgebreiteten Schwingen sanft auf.
„Das habt Ihr Manvinkona hoffentlich nicht beigebracht, Eure Lordschaft." sagt Fjörgyn mit immer noch trauriger Stimme.
„Natürlich nicht. Sie hat die Grundbegriffe für den Segelflug im Hangaufwind erhalten. Darauf können die beiden jetzt aufbauen. - Ach ja, Sir Græðarinn hat auch darum gebeten, ich habe es ihm gewährt, so können sie gemeinsam üben. Ich habe den Nestling in seiner Obhut belassen." -
„Wie hat Manvinkona sich benommen?" -
„Gut. Sie ist sehr mutig beim Fliegen und hat es sehr schnell begriffen, ich hoffe, sie ist auch weiter so vorsichtig, wie im Moment." - Sie horcht auf.
„Seid unbesorgt, Lady Fjörgyn. Mein Zorn ist besänftigt, Eurer Tochter wird von mir keine Gefahr drohen. Ihre Strafe am Ende wird harmlos sein. - Verzeiht, ich habe wohl überreagiert."
„Eldingar?"
„Hofft Ihr immer noch darauf, in mir einen Menschen zu finden?" meine Stimme klingt etwas belustigt.
„Verzeiht, mein Lord. Legt Euch doch ein wenig mit hierher und ruht Euch aus. Euch steht morgen eine weite Reise bevor."
Mit einem dankenden Nicken lasse ich mich neben Fjörgyn nieder. Ich genieße einfach die angenehm warme Sonne auf meinen Schuppen und lasse meine Sinne fließen. Es ist bereits nach dem höchsten Sonnenstand, als ich zwei Paar Drachenschwingen höre, die sich im Gleitflug nähern. Græðarinn und der Nestling kommen in kontrolliertem flachen Segelflug über die Wiesen und landen vor der Höhle, sie begibt sich sofort in die Demutshaltung. Græðarinn sitzt neben ihr, auf mich wartend.
„Eure Tochter darf sich etwas ausruhen." sage ich beiläufig zu Fjörgyn, die liegenbleibt. Ich schwinge mich über die Kante und gleite zu den Beiden. Kaum bin ich gelandet, verneigt Græðarinn sich.
„Mein hoher Lord. Ich, sowie Eure Dienerin, wir sind Euch sehr dankbar für Eure Unterweisung, die Ihr uns gewährt habt. Eure Dienerin steht Euch zur Verfügung." Er verneigt sich wieder. -
„Gut. Ruht Euch ein wenig aus, Sir Græðarinn. Ebenso Eure Schwester. Ich werde sie später prüfen, ob sie ein korrektes Verhalten vorweisen kann."
Græðarinn verneigt sich, der Nestling behält die Haltung korrekt bei.
Ich springe hoch und schwinge mich mit einigen kräftigen Schwingenschlägen in die Höhe. Jetzt brauche ich erst einmal Ruhe und muss für mich alleine die Gedanken sortieren, die so untypisch für einen Drachen in meinem Kopf umherschwirren. Ich lasse mich über die Täler treiben um meinen Geist zu beruhigen und zu leeren. Ich habe heute schon genug nachgedacht, es ist keine Gefahr zu meistern, alles ist ruhig - da ist so etwas überflüssig. Tief unter mir sehe ich einige Wolfswyvern, die sich vor meinem Schatten verkriechen. Offensichtlich umschleichen sie die Herden der Menschen dort, wagen sich aber nicht heran, da diese von Hütewyvern bewacht werden.
Sie sind zwar schwach und von zweifelhafter Intelligenz, diese Menschen, aber eine gewisse Schläue kann man ihnen nicht absprechen. Sie haben sich die stärksten Wyvern zu Freunden gemacht und diese bewachen nun ihre Herden. Überhaupt ihre Nutzung von Tieren zu ihren Zwecken. Warum sie aber das Land mühsam roden und aufgraben, nur um dann dort doch wieder Pflanzen wachsen zu lassen, ist mir ein Rätsel. Würden sie dort ihre Herden weiden lassen, könnte ich es ja noch verstehen, aber sie vertreiben alle Tiere mit großem Aufwand... - ein so unlogisches, ja unintelligentes Verhalten ist mir unerklärlich. Und so etwas sucht Fjörgyn in mir? Warum nur...
Irgendwann finde ich einen Felsvorsprung der mir einen optimalen Ruheplatz mit sehr gutem Überblick bietet. Ich lande und mache es mir auf dem warmen Felsen bequem. Das ist eines Drachen würdig - auf einem hohen Felsen liegen, die Sonne auf den Schuppen fühlen, die angenehme Wärme genießen und in die Ferne blicken.
Aber es will mir nicht gelingen einfach nur diese Situation zu genießen, immer wieder drängt sich der Gedanke an Fjörgyn und diesen Menschen vor. Mir ist natürlich bewusst, dass ich einst ein Mensch war, dass ich durch Fjörgyns Blut und die Macht Erces zum einzig wahren Wesen und Herrscher dieser Welt wurde. Ich mag gar nicht daran denken, einmal so ein winziges, hilfloses und unlogisches Wesen gewesen zu sein - Das einzig wahre Dasein ist das eines Drachen.
Und doch ist der Mensch, der ich einmal war, der einzige Grund, warum der Nestling noch lebt. Nur die Tatsache, dass dieser Nestling damals mein Leben gerettet hat, hat mich davon zurückgehalten, sie einfach zu zerfetzen. Das ist für mich auch die einzig logische Erklärung, warum Fjörgyn unbedingt den Menschen in mir finden will - ihre Hoffnung, dass ich dann ihren Nestling am Leben lasse. - Nun, sie braucht sich keine Sorgen machen, mein Zorn ist vergangen, das Kind mag leben - es soll sich aber vorsichtig verhalten...
Aber wenn ich mir nur vorstelle, ein Mensch zu sein, sträuben sich mir alle Schuppen. Selbst nur das Bewusstsein eines Menschen haben zu müssen ist ein schrecklicher Gedanke. Diese ständige Unlogik, das sprunghafte Denken, dieses ewige Nachdenken müssen - das ich offensichtlich noch nicht ganz losgeworden bin - und dazu diese ständige gefühlsbetonte Sorge um andere, diese übertriebene Fürsorge. Brrr - mich schüttelt es nur bei dem Gedanken, so zu sein. Erce - ich danke Dir, dass Du mich davon befreit hast. Den Rest werden einige Jahre Meditation sicher noch vertreiben. Und dann suche ich mir ein Weibchen.
Endlich kann ich die Gedanken verdrängen, meinen Geist leeren und einfach nur Drache sein. Irgendwann sagt mir ein Blick zur Sonne, dass ich jetzt etwa fünf Stunden hier verbracht habe. Diese Zeiten sind auch so ein Überrest vom Menschen, wie mir klar wird. Was mir aber völlig egal ist, Zeit ist irrelevant für einen Drachen.
Aber ein spontaner Entschluss lässt mich wieder aufbrechen und zu dem Nestling zurückkehren. Nach kurzer Zeit kreise ich über der Wiese und beobachte, dass Fjörgyn sich vor der Höhle aufhält während Græðarinn in der Höhle verschwindet, als sie mich bemerken.
Ich gehe langsam kreisend hinunter und lande ein Stück vor Fjörgyn, wo ich stehenbleibe. Fjörgyn wirft mir einen fragenden Blick zu, wirkt aber sofort wieder traurig.
„Willkommen zurück, Mein Lord." -
„Ich grüße Euch, Lady Fjörgyn. Wo ist Eure Tochter?" -
„Græðarinn holt sie soeben. Darf ich Euch nochmals um Nachsicht bitten, Mein Lord?"
Ich knurre so etwas wie eine Bestätigung, was sie sichtlich erleichtert. Der Nestling kommt in Begleitung von Græðarinn aus der Höhle und nähert sich mit schnellen Schritten, aber sichtlich nicht erfreut. Vor mir nimmt sie die Unterwerfungsposition wieder ein.
„Hat sie über ihren Fehler nachgedacht?"
„Sie hat darüber nachgedacht, mein Lord." spricht Græðarinn für sie. „Und sie bittet den Lordpaladin nochmals um Verzeihung."
„Ich verstehe. Ich habe mich soeben entschlossen, sie mit auf eine Jagd zu nehmen."
Der Nestling zuckt zusammen und kann sich gerade noch zusammenreißen, wie ich leicht belustigt bemerke.
Fjörgyn sieht mich durchdringend an, offenbar fürchtet sie wieder um ihre Tochter.
„Eure Lordschaft...?"
Eine Erklärung ist zwar überflüssig, aber ausnahmsweise...
„Sie hat mit ihrer unüberlegten Handlung immerhin bewiesen, dass sie die Grundzüge der Jagd zu verstehen scheint. Sie soll es mir beweisen."
Fjörgyn schließt erleichtert die Augen. Und die Kleine kann ihre Aufregung kaum verbergen, auch wenn sie sich sehr bemüht, wie ich anerkennen muss
„Ist die Dienerin bereit, ins Tal zu fliegen?" Ihr Atem stockt, geht stoßweise, dann fragt sie sehr leise:
„Darf Eure Dienerin sprechen, Eure Lordschaft?" -
„Sprich." -
„Eurer Lordschaft Dienerin sieht sich noch nicht in der Lage einen solchen Flug durchzuführen. Sie ist noch nicht genug ausgebildet um einen solchen Flug sicher absolvieren zu können. Eure Dienerin bittet Eure Lordschaft unterwürfig, sie von dieser Aufgabe zu befreien."
Ich nicke zufrieden.
„Sehr gut, sie kennt ihre Grenzen. Sie möge sich erheben. - Gleiche Bedingungen wie bei der Flugausbildung." -
„Ich habe verstanden, mein Lord." antwortet Manvinkona. -
„Gut. Wir werden dann starten, Du suchst Dir eine geeignet erscheinende Beute. Hand oder Rücken?" - sie überlegt einen Moment.
„Aus Eurer Lordschaft Hand kann ich den Boden besser nach Beute absuchen."
„Gute Entscheidung."
Also lege ich meine rechte Hand auf den Boden, sie klettert auf meine Handfläche und positioniert sich wieder in Demutshaltung. Da ich mich nicht bewege schielt sie vorsichtig zu mir hoch und bemerkt meinen fragenden Blick. Sofort begreift sie und legt sich bequem so hin, dass sie auch etwas sehen kann, wir wollen schließlich jagen.
Ich schließe meine Hand vorsichtig um sie festzuhalten und bringe uns mit einem Satz und ein paar Schwingenschlägen in die Luft. In einer guten Suchhöhe kreisen wir über die Täler der Umgebung.
Die Kleine entspannt sich spürbar in meiner Hand und genießt das Gefühl des Segelfliegens über die Landschaft, ihre Schwingen gehen, obwohl zusammengefaltet, den Flug mit. Sie scheint das Fliegen zu lieben, etwas was wir gemeinsam haben. - Eine Gruppe Rehe hat sie offenbar übersehen, notfalls komme ich auf die zurück. Die jetzt in Sicht kommenden Hirsche machen sie unsicher, sie sieht mich fragend an.
„Noch zu groß" lehne ich ab.
Zwar würde sie auch einen Hirsch niederkämpfen können, ihre Waffen sind gefährlich genug, aber es würde unnötig lange dauern und ein Gemetzel werden. Sie nickt, ihr ist kleinere Beute auch lieber. Wir kreisen jetzt über dem Tal, in dem ich gestern das Reh für Græðarinn erbeutet hatte. Und wir haben Glück, hier sind ein paar kleine Reh-Sprünge auf den Lichtungen unterwegs. Dazu ein Damwild Rudel und höher noch einige Steinbock-Gruppen. Reichlich Beute für die Kleine. Auch sie hat fast alle entdeckt und mir angezeigt.
„Gut. Welche Beute würdest Du wählen?" frage ich sie. Lange braucht sie nicht überlegen.
„Einen Damhirsch möchte ich versuchen." -
„Die Wahl ist nicht schlecht. Rehe sind zwar nicht sehr ausdauernd, halten sich aber immer in der Nähe des Waldrandes auf und sind mit ein paar Sprüngen in der Deckung verschwunden. Die Steinböcke sind interessant und mehr auf freien Flächen, aber in den Steilhängen auch sehr schwer zu jagen. Damwild lebt mehr auf den freien Wiesen und flüchtet auch eher ins Freie statt in die Deckung."
Die lange Erklärung gebe ich ausnahmsweise, weil sie schließlich etwas lernen soll.
„Wo würdest Du jetzt landen?"
Mit der Frage hat sie anscheinend nicht gerechnet, fieberhaft sucht sie einen Platz und versucht abzuwägen ob der wohl geeignet wäre.
„Die große Lichtung am Fluss vielleicht?" antwortet sie schließlich. -
„Warum?" -
„Äh, - wir haben da noch Deckung und können entlang des Flusses ganz flach hinfliegen." -
„Richtig, gut überlegt, aber leider zwei Dinge nicht berücksichtigt. Zum einen haben wir die Sonne so stehen, dass unsere Beute unsere Schuppen glitzern sehen könnte. Und dann haben wir den Wind im Rücken, das ist beim Anflug in niedriger Höhe nicht so günstig und auch wenn Tiere uns Drachen kaum riechen können, könnte unsere Witterung trotzdem zu ihnen wehen."
Ein wenig wundere ich mich über meine ausführlichen Erklärungen, schließlich ist es nicht mein Nestling, aber egal.
Sie wirkt ärgerlich auf sich selber.
„An den Wind habe ich nicht gedacht, entschuldigt Eure Lordschaft. - Dann die kleine Lichtung auf der anderen Seite der Wiese, da ist der Anflug zwar schwieriger, weil da kein Fluss ist, nur kleine Lichtungen im Wald aber sonst müssten die Bedingungen passen. - Aber ihr seid zu groß für diese Wiese, Eure Lordschaft..." -
„Ja, die Lichtung scheint mir auch ein guter Ort zu sein. Du hast Recht wegen der Größe, als Feral würde ich direkt von oben auf die Beute zustoßen. Aber da Du jetzt nur am Boden jagen kannst - und auch ich gerne als Anthro jage, wegen des intensiven Erlebnisses, werden wir jetzt besonders anfliegen, wie es sich für einen guten Segelflieger gehört. - Wir machen jetzt einen Bogen, damit das Damwild uns nicht bemerkt und fliegen dann sehr dicht über den Wald entlang der Lichtungen an. Halte Dich am Ende bereit, ich lasse dich dann los und Du musst selber auf der Lichtung landen, weil ich mich noch in der Luft transformiere. Verstanden?"
Sie nickt, ich sehe die Frage in ihren Augen, aber sie bleibt still. Braves Kind. Schließlich habe ich schon mehr als genug geredet.
Ein reichliches Stück weiter und unter Nutzung eines guten Aufwindes auch mit reichlich zusätzlicher Höhe - ich will ja schließlich auch etwas davon haben - tauche ich kurz ab um Fahrt aufzunehmen, dann ein dreiviertel Looping mit anschließender halber Faßrolle und ich stürze mit angelegten Schwingen senkrecht nach unten. Rechtzeitig für ein sanftes Abfangen breite ich meine Schwingen wieder aus und gehe in einem weiten Bogen wieder in die horizontale.
Mit der Geschwindigkeit aus dem Sturz jage ich teilweise nur Zentimeter über den Spitzen der Bäume dahin, folge den lichteren Zonen im Wald wechselnd links und rechts oder weiche einem höheren Baum aus. Die Hand mit der Kleinen halte ich nach vorne ausgestreckt, damit sie am Ende frei abspringen kann. Kurz vor unserem Ziel ist die Geschwindigkeit soweit abgebaut, ich muss kaum abbremsen um sie sicher freigeben zu können.
„Achtung, es geht los."
Ich mache meine Hand auf, Manvinkona hält sich noch an meinem Zeigefinger fest und breitet Ihre Schwingen aus. In dem Moment, als wir die Lichtung erreichen beginne ich mit der Transformation und als sie merkt, dass ich kleiner werde, lässt sie los und gleitet selbständig zu Boden.
Da ich kräftig abbremse lande ich als Anthro noch rechtzeitig vor dem Ende der Lichtung. Das war zwar nicht meine sanfteste Landung, aber was soll's. Jede Landung, die man überlebt, ist eine gute Landung. - Woher kommt dieser Gedanke? Das muss wieder mal eine menschliche Erinnerung sein. Nun, darum hat Erce ihn wohl auch erwählt zum wahren Wesen zu werden.
Der Nestling kommt nicht allzuweit von mir in einer weiten Kurve herunter. Sie hat bereits viel gelernt, beachtlich. Leise kommt sie zu mir und setzt sich vor mich.
„Verzeiht Euer Lordschaft, aber das hat Spaß gemacht, so schnell..." flüstert sie. -
Ein wenig belustigt erwidere ich:
„Ja, das muss ich zugeben. Aber versuche es nicht, bevor Du weißt, dass Deine Schwingen und Deine Kraft es möglich machen. So einen Sturzflug abzufangen, benötigt viel Kraft und kann für einen Drachen sehr gefährlich sein. Schnell ist da durch den Winddruck ein Flugfinger gebrochen, ebenso wenn man versehentlich bei der Geschwindigkeit einen Ast trifft."
Etwas drängt mich, sie zu warnen.-
„Aber warum... Äh, verzeiht bitte, Euer Lordschaft, ich sollte nicht unnötig fragen." -
„Warum ich es mache, oder kann? Die Knochen meiner Flugarme und -hände sind anscheinend stärker, als bei den meisten anderen Drachen. Härter, biegsamer - ich weiß nicht. Sie sind eben geeignet, dass ich selbst in den stärksten Stürmen noch fliegen kann. Selbst dann noch, wenn Lord Eldflóð sich sämtliche Finger brechen würde. Und Erce hat mir das Wissen gegeben, was ich wagen darf und was nicht mehr, ich muss also nicht erproben mit der Gefahr, das es schiefgeht. Doch weiß ich nicht warum Erce mich so erwählt hat."
Warum erzähle ich dem Kind das alles... aber ich kann mich nicht wehren, ich fühle mich diesem Nestling trotz seines frechen Angriffes heute morgen irgendwie verbunden. Aber nur durch sie bin ich hierhergekommen und durfte die Ehre erfahren ein Drache zu werden. Also akzeptiere ich es einfach. -
„Danke Euer Lordschaft, ich verstehe - auch wenn ich es schade finde, werde ich es also nicht ausprobieren." antwortet sie leise. -
„Gut - lass uns jetzt zur Wiese gehen und sehen, wie Du eine Beute schlagen kannst."
Auf mein Zeichen geht Manvinkona vor und wir schleichen uns durch den Wald. Lange dauert es nicht, dann werden die Bäume wieder lichter und wir stehen im Unterholz am Rand der Wiese. Ich hocke mich hin, noch in der Deckung aber schon mit Blick auf die Wiese, sie setzt sich in aufrechter Haltung direkt neben mich, sieht aber geflissentlich auch nur über die Wiese. Das Damwild ist von hier aus noch recht weit entfernt.
„Die sind ab... - verzeiht bitte Euer Lordschaft." erinnert sie sich daran, nicht unnötig zu reden. -
Ich winke ab.
„Lassen wir das mit der Lordschaft jetzt, das hindert nur bei der Jagd. - Das Damwild hat die Angewohnheit, bei Gefahr auf das freie Feld zu fliehen und recht schnell wieder stehenzubleiben und zu beobachten. So leicht laufen die nicht in das Unterholz und dann vermutlich am ehesten da drüben, wo der Wald viel lichter ist.
Ein einzelner Drache müsste jetzt also beständig hinter dem Damwild her jagen, dass sie nicht lange stehenbleiben können, so wird es ermüdet. Vor allem aber zuerst möglichst dicht heranschleichen." flüstere ich ihr zu -
„Da muss er von hier aber lange schleichen, die sind ziemlich weit weg - ist es nicht besser, im Wald erst näher ran zu gehen?" gibt sie zu bedenken. -
„Ja Richtig. Das ist eigentlich besser, als sich ganz von hier über die freie Fläche anzupirschen. Wir sind aber ausnahmsweise zu zweit und ich denke da manchmal etwas anders. Nun ja, Du weißt ja, dass ich ein Mensch war, bevor ich ein Drache werden durfte... Ich werde gleich um die Wiese herumfliegen und von der anderen Seite kommen. Das Damwild wird mich sehen und vor mir weglaufen. Dabei achten sie nicht so darauf, was von dieser Seite kommt. Schleiche ein Stück auf die Wiese, dann werden sie irgendwann in Deiner Nähe stehenbleiben oder dicht an Dir vorbeilaufen. So brauchst Du nicht so weit schleichen und nicht weit hinter ihnen her hetzen." -
„Gut, habe ich verstanden." -
„Normalerweise würde ich Dir wenigstens einmal zeigen, wie es geht. Aber Du hast es ja schon ganz gut... vorgeführt. Nun möchte ich sehen, wie Du Dich bei einer wirklichen Jagd anstellst." sie blickt verlegen zu Boden. -
„Aber Du wusstest es doch auch nicht." wendet sie ein.
„Mir hat Erce dafür das Wissen mitgegeben. Ich gebe zu, dass ich dich sehr fordere, bemühe Dich. Aber mache Dir keine Sorgen wenn es nicht gelingt, ich werde Dich deswegen nicht strafen."
Sie nickt nachdenklich und ich fühle mich genötigt, sie noch ein wenig weiter vorzubereiten.
„Damwild ist leichter als Rothirsche, aber die sind trotzdem recht stark und werden sich mit Tritten zur Wehr setzen, wenn Du sie nicht richtig erwischt auch mit dem Geweih. Aber Du brauchst Dir keine Sorgen machen, alle Vorteile liegen bei Dir. Ihre Tritte können Dich nicht verletzen, aber schon Schmerzen verursachen. Versuche einfach Dich möglichst dicht an ihren Körper zu ziehen. Und versuche darauf zu achten, dass Deine Schwingen angelegt bleiben, zur Sicherheit. Ansonsten einfach festkrallen und so fest zubeißen, dass sie nicht mehr atmen können. Das dann so lange halten, bis das Herz aufhört zu schlagen. Gute Jagd."
Schnell bin ich hoch, ohne weiter auf sie zu achten und laufe durch den Wald zurück zu der kleinen Lichtung. Viel mehr helfen kann ich ihr hier jetzt nicht mehr, ich kann sie nicht gleichzeitig hier anleiten und ihr das Damwild zutreiben.
Ich starte und fliege zum Fluss um dem dann bis zu der großen Lichtung zu folgen, die auf der anderen Seite der Wiese liegt. Vor dem Waldstreifen, der die Lichtung von der Wiese trennt, lande ich und durchquere ihn. Vor mir liegt wieder die Wiese, von hier aus sind die Damhirsche näher, aber sicher werden sie gleich nach meinem Auftauchen den Abstand vergrößern. Mir steht jetzt ein ruhiger Spaziergang bevor, eigentlich muss ich nur aufpassen, dass sie mir nicht seitlich entkommen.
Also marschiere ich ins Freie, nach einigen hundert Metern erst reagieren die Tiere und entfernen sich ein Stück - so gut ist ein Drache vor ihnen getarnt, selbst wenn ich mich nicht bemühe, kann ich sie fast schon greifen, ehe sie fliehen. Sie bleiben stehen und beobachten mich aufmerksam. Diese Spiel wiederholt sich diverse Male.
In der Zwischenzeit genieße ich einfach die Wanderung durch die Wiese und nehme mein Umfeld mit offenen Sinnen wahr. Die Gerüche, Geräusche und Bilder sind mir mit meinen Drachensinnen so eindrücklich, dass ich fast vergesse, warum ich eigentlich hier unterwegs bin.
Plötzlich gibt es am anderen Ende des Rudels Tumult, die Tiere flüchten auf mich zu, stocken wieder, wollen zurück, aber auch da stockt es. Sie springen in Verzweiflung nun nach allen Seiten auseinander. Ich springe blitzschnell auf sie zu und Momente später liegen drei von Ihnen mit durchtrenntem Genick im Gras. Die anderen lasse sie laufen, wenn es geklappt hat, dann müsste Manvinkona ihre Beute erwischt haben. Ich hebe ab und lege die restliche Strecke zum anderen Ende der Wiese fliegend zurück. Ja, da liegt ein Damtier, offenbar ein Weibchen, in dem sich eine grüne Gestalt verkrallt und verbissen hat. Ich lande und gehe näher. Unter dem Damtiergeruch dringt Adrenalin, Todesangst und Blut in meine Nase. Ein unterdrücktes Gurgeln beim verzweifelten Versuch zu atmen übertönt fast das hektische Pochen seines Herzens. Etwas fehlt aber.
„Vergiss das Atmen nicht..."
Die Kleine beginnt schnell durch die Nase zu atmen, in ihrer Erregung hat sie das ganz vergessen. Ich hocke mich hin und warte ab, beobachte, bekämpfe meine aufsteigende Lust, jetzt selber so zu jagen - ich habe ja genug Beute gemacht - und genieße doch diese Eindrücke, die ich mitbekomme.
In der steigenden Todesangst beginnt das Tier um sich zu treten, aber die Kleine hat sich geschickt zwischen die Beine positioniert. Die Bewegungen werden zunehmend unkontrolliert und enden in Zuckungen. Die vergeblichen Versuche zu atmen werden immer hektischer, der ganze Körper krampft dabei. Der Herzschlag beginnt sich zu überschlagen, wird unregelmäßig, setzt aus, die panische Angst in den Augen verliert sich in der Leere des Todes. Manvinkona hat ihre erste erfolgreiche Jagd zu Ende gebracht. Tapfere Kleine, es wäre schade gewesen, hätte ich sie getötet.
Immer noch hält sie den Würgebiss, lässt nicht locker, sie ist noch in ihren Empfindungen gefangen. Ihr Atem geht stoßweise, sie vergisst immer noch zu atmen. Ich versuche sie langsam heraus zu holen.
„Schmecke das Blut, höre auf den Herzschlag." Sie registriert jetzt meine Anwesenheit, ihre Augen sprühen fast Funken. Aber sie reagiert, sie bemerkt, dass ihre Beute tot ist, lässt langsam los. Dafür knurrt sie mich jetzt an. Belustigt beruhige ich sie.
„Es ist Deine Beute. Iss - schmecke noch das Leben im Blut, im Fleisch. Iss, es ist Deines."
Ihre Augen funkeln mich noch an, aber sie beginnt zu essen, das wirklich frische Fleisch zu schmecken, das noch nicht weiß, dass es tot ist - zum ersten Mal in ihrem Leben eine eigene Beute.
Nach einigen Minuten spüre ich, dass sie langsam wieder herauskommt. Sie ist bald satt und erkennt mich jetzt auch wieder. Dann setzt sie sich auf, leckt sich die Lippen und sieht mich nachdenklich an.
„So ist das also... - jetzt weiß ich, warum Du es gerne machen möchtest. Aber warum hat Dich das erschreckt? Es ist doch ein schönes Erlebnis." -
Ich bin so verwundert, wie sie darauf kommt, dass es mich erschreckt haben soll, zu jagen, dass ich nicht mal bemerke, dass die mich so unkorrekt angesprochen hat. Wie kommt sie darauf? Die Erinnerung steigt in mir auf - Richtig, da habe ich ja noch wie ein unlogischer Mensch empfunden - ein Schauer läuft über meine Schuppen, wenn ich daran denke - ich, ein Mensch... schrecklicher Gedanke. Aber sie soll ihre Antwort bekommen.
„Es erschreckt mich, weil ich als Mensch so nie empfunden habe. Und weil Freude am Töten, auch wenn es zur Ernährung ist, den Menschen oft nicht richtig erscheint - mir zumindest nicht. Und das war mein Konflikt: Es hat mir Spaß gemacht - und das habe ich als falsch empfunden. - Als Drache sehe ich das natürlich anders, es gibt kein Richtig oder Falsch - es ist notwendig und fertig. - Deine Jagd war erfolgreich und soweit ich sehen konnte, auch mit einem sicheren Zugriff erfolgt. Du wirst vermutlich auch Fehlschläge erleben, aber ab sofort bist Du in der Lage, Dich selber zu versorgen."
Sie senkt ihren Blick.
„Eurer Lordschaft Dienerin dankt Euch für das unverdiente Lob. Der Erfolg Eurer Dienerin ist nur Eurer Lordschaft Unterweisung zu verdanken. Darf Eure gehorsame Dienerin Eurer Lordschaft den Rest ihrer ersten Beute zur Speise anbieten und hoffen, Ihr werdet diese unzureichende Gabe annehmen?"
Warum bietet sie mir den Anteil an ihrer ersten Beute - das ist eine Gabe an ihre Eltern, aber nicht an einen fremden Drachen. Auch wenn ich ihr das Jagen nahegebracht habe.
„Warum mir?" -
„Im Gedenken an den Menschen, der Ihr einmal wart und den ich geliebt habe, Eure Lordschaft."
Nun fängt sie auch noch damit an...
„Kleine, der Mensch ist fort. Er hat dem wahren Wesen des Drachen Platz gemacht."
Ich sage das mit einer sanften Stimme, die mich selber überrascht.
„Ich verstehe das, Eure Lordschaft. Und es ist besonders schwer für mich, weil ich dafür verantwortlich bin, dass er jetzt fort ist. Bitte erlaubt mir, ihn so ein letztes Mal zu ehren, denn ich hätte es gerne ihm angeboten."
„Er wird deswegen nicht wiederkommen."
Sie nickt traurig.
„Ich weiß, dennoch bitte ich Eure Lordschaft."
Ich weiß nicht, warum, aber ich gebe nach. Mit einem schnellen Schwung meiner Kralle habe ich den Rest ihrer Beute - immerhin über die Hälfte des Damtieres - in zwei annähernd gleiche Teile zerteilt.
„Die andere Hälfte für Deine Mutter."
Sie nickt und schaut mir mit traurigen Augen zu, wie ich eine der Hälften verspeise.
„Es ist mir eine Ehre, dass Du mir einen Anteil an Deiner ersten Beute gegeben hast - auch wenn ich weiß, dass es nicht für mich gedacht ist."
Sie nickt nur.
„Verzeiht Eure Lordschaft, aber ich weiß nichts darauf zu antworten."
Sie bleibt wie ein Häufchen Elend vor mir hocken. Irgendwie tut sie mir ja leid. Aber sie wird sicher bald darüber hinweg sein. Der Mensch ist ja nicht gestorben, er ist nur zum Drachen geworden, wie es Erce gewollt hat.
Ich lasse sie sitzen und fliege zurück zu den drei von mir geschlagenen Damhirschen. Als Feral ist es kein Problem sie aufzunehmen und zu der Kleinen zurück zu fliegen. Sie hockt immer noch da und starrt vor sich hin.
„Komm Kleine, wir fliegen zurück zu Deiner Mutter."
Sie rappelt sich auf und klettert auf mein Zeichen auf meinen Rücken. Ich schnappe mir auch noch den Rest ihrer Beute.
Mit ein paar kräftigen Schlägen sind wir in der Luft und eine gute Thermik in der Nähe trägt uns schnell in die Höhe. Währenddessen erkläre ich ihr, wie man einen Thermikbart erkennen kann und wozu sie nützlich sind. Die Kleine übt vorsichtig mit ausgebreiteten Schwingen auf meinem Rücken mitzufliegen, hält sich dabei aber gut fest. Wir kreisen noch eine ganze Zeit über die Täler bis ich direkten Kurs auf Fjörgyns Höhle nehme. Ein paar Minuten später landen wir sanft auf der Wiese vor der Höhle. Fjörgyn und Græðarinn kommen näher, offenbar gespannt, wie es gelaufen ist. Manvinkona klettert von meinem Rücken und nimmt den Rest ihrer Beute von mir entgegen. Sie kämpft zwar etwas mit dem für sie unhandlichen Stück, marschiert damit aber zu ihrer Mutter und übergibt ihr stolz das Fleisch. Fjörgyn und Græðarinn transformieren, dann gratulieren und umarmen sie Manvinkona. Auf eine Frage ihrer Mutter schüttelt die Kleine langsam den Kopf und Fjörgyn lässt ihren Kopf hängen. - Vermutlich ging es um den Menschen.
Ich nähere mich den drei und lege zwei der Damhirsche ab.
„Ich habe die Gelegenheit genutzt und Euch, Lady Fjörgyn und Sir Græðarinn Beute mitgebracht. Verzeiht, wenn ich mich jetzt zurückziehe, aber ich denke, ein gemeinsames Essen ist bei eurer derzeitigen Stimmung nicht angebracht. - Ehe ich es vergesse, Eure Tochter hat sich sehr gelehrig gezeigt. Ich verzichte auf weitere Strafen und verzeihe ihr den ungehörigen Angriff. Die Angelegenheit ist abgeschlossen. Eure Tochter ist praktisch selbständig, Lady Fjörgyn."
Ich höre noch ein leises, trauriges „Wie Ihr meint, Lordpaladin. Und ich danke Euch.", ehe ich mit meinem Beutestück wieder abhebe und zurück zu dem Felsvorsprung fliege, auf dem ich den Nachmittag verbracht habe.
Dort verschlinge ich die Beute mit wenigen schnellen Bissen. Irgendwie habe ich keine Freude daran und frage mich gleichzeitig, warum ich Freude daran haben sollte.
Diese unerklärliche Trauer, mit der sowohl Fjörgyn, wie auch ihre Tochter in meiner Gegenwart reagieren ist mir äußerst suspekt. Ich lebe doch noch, es hat sich doch nur das Bewusstsein verändert. Der Mensch hat sich endgültig verabschiedet und dem Drachen den Platz überlassen. So wie es Erce gewollt hat. Sie hat aus dem Menschen einen wahren Drachen gemacht, sogar einen Elemental, also ist das Bewusstsein eines Drachen doch nur der konsequente Abschluss der Wandlung. Warum trauern sie dem Menschen, der mit diesem Körper nicht einmal richtig zurecht kommt und so unlogisch menschlich ist, nur so nach?
Bei Erce, sie sind Drachen! Ich kann es ja notfalls noch bei der Kleinen verstehen, aber Fjörgyn? Sie hat den Menschen fast umgebracht und nun trauert sie ihm nach? Was hat dieses elende, verletzliche, unlogische Menschlein an sich, was mir nicht gegeben ist?
Ich beobachte, wie die Sonne sich langsam dem Horizont nähert und untergeht. Dass es wegen der Erddrehung so aussieht und dass ich das weiß, weil ich ein Mensch war, beginnt langsam wieder unwichtig zu werden. Ich bin ein Drache, die höchste Kreatur diese Welt. Was interessieren mich diese sterblichen, zerbrechlichen und unlogischen Menschen.
Nachdem die Sonne untergegangen ist, bin ich wieder mit mir im Reinen. Sollen Fjörgyn und ihre Familie machen, was sie wollen, es interessiert mich nicht.
Einen zwölftel Tag später breche ich wieder auf zu Fjörgyn. Da die Thermik fehlt muss ich aktiv fliegen und bin schnell wieder bei der Höhle. Nur Fjörgyn liegt noch am Teich, sie hat mich offenbar erwartet.
„Ich möchte Euch nochmals danken, dass Ihr meine Tochter freigesprochen habt. Vor allem aber danke ich Euch für die Ausbildung, die Ihr ihr gewährt habt mein Lordpaladin. Kann ich noch etwas für Euch tun?"
Ihre Stimme klingt immer noch traurig.
„Nein, es ist alles in Ordnung, Lady Fjörgyn. Ich muss sagen, dass Eure Tochter sehr gelehrig war. Ich hoffe, dass mein Nestling sich einmal ebenso gelehrig zeigen wird."
Sie steht auf und verneigt sich.
„Ich danke für Eure Freundlichkeit. Bitte verzeiht, ich möchte mich zurückziehen."
Sie dreht sich um und geht zur Höhle. Auf halben Weg stoppt sie und schaut zurück.
„Verzeiht meine Unhöflichkeit. Bitte fühlt Euch frei, in meiner Höhle zu schlafen. Der Platz vorne am Eingang steht Euch zur Verfügung, Eure Lordschaft."
Damit geht sie ohne sich noch einmal umzusehen.
Nach einigen Momenten folge ich ihr. In der Höhle stelle ich fest, dass sie leer ist - ich erinnere mich, dass es noch einen Bereich gibt, in dem sie als Anthro schlafen können. Aber es war unmissverständlich, dass mir ein Lager hier angeboten wurde. Gestern noch war ich ein gern gesehener Gast bei Ihnen. Es ist zwar irrelevant, aber ich spüre doch einen leichten Stich im Herzen, dass ich heute ausgegrenzt bin.
Doch egal, als Drache bin ich unabhängig. Ich entschließe mich, nicht hier drinnen zu übernachten, am liebsten würde ich sogar jetzt sofort aufbrechen in mein Reich - nach Indien, wie der Mensch es nannte. Aber etwas hält mich noch zurück. Ich gehe zu dem Felsüberhang ein Stück höher, bei dem ich schon übernachtet habe und diese unangenehme Erfahrung gemacht hatte, meinen Körper nicht mehr zu fühlen. Aber so etwas kann mir nicht mehr passieren - jetzt bin ich ein Drache, auch in der Seele.
Ich falle in einen unruhigen Schlaf. Irgendwann bemerke ich Fjörgyn am Höhleneingang, die dort als Anthro steht und mich betrachtet. Deutlich spüre ich ihre Trauer, als sie wieder zurück geht. Warum trauern sie nur diesem Menschen so nach...
Endlich schlafe ich ein.
Als ich wach werde, ist es noch dunkel, aber die Vögel sagen mir, dass es nicht mehr lange bis zum Sonnenaufgang ist. Sie sind es aber nicht, die mich geweckt haben - es war ein Traum, oder war es eine Nachricht von Erce? Und es war die Bewegung, die auf mich zukommt. Meine Nase sagt mir, dass es Manvinkona ist. Ich mache meine Augen auf und sehe sie näherkommen. Sie hockt sich vor mein Gesicht.
„Mein Lord, habt Ihr auch von Erce geträumt?"
Ich sehe sie verwundert an.
„'Mein Lord'? Was ist mit Dir los, meine Kleine Schwester?"
„Bitte macht Euch nicht lustig über mich, Eure Lordschaft."
Was ist mit Manvinkona los?
„Meine Kleine, ich mache mich nicht lustig über Dich. Was ist?"
Sie sieht mir tief in die Augen.
„Ralf?"
„Nein, ich bin Heinrich Hugendubel. - Natürlich bin ich es. Was ist passiert?"
„Ralf, erinnerst Du Dich nicht an gestern? Was mit Dir war, nachdem ich Dich angesprungen habe?"
Ach Du Schreck. Ja. Ich war voll auf Drache geschaltet. Ich habe mich den ganzen Tag wie ein Drache verhalten, meist kalt und abweisend. Habe mich zurückgezogen, wo ich nur konnte. Und das am letzten Tag, an dem ich hier bei meiner Familie war.
Ich sacke stöhnend zusammen.
„Götter ja. Verzeih mir bitte, meine Kleine. Ich hatte das nicht unter Kontrolle. Es erschien mir so normal, so selbstverständlich, ein Drache zu sein, wie einer zu denken. Und ich erzähle Dir dann noch, dass der Mensch weg ist, unwiederbringlich fort. Verzeih mir bitte."
Ich transformiere zum Anthro und sofort umarmt Manvinkona mich.
Unter Tränen beruhigt sie mich.
„Alles ist gut, Ralf. Ich bin nur so froh, dass Du noch da bist. Als Drache - verzeih - aber da warst Du so schrecklich vernünftig..."
Ich muss grinsen.
„Na, wenn ich nur 'vernünftig' war... - entschuldige, dass ich Dich so hart angefasst habe - und nochmal danke für den Anteil an Deiner ersten Beute."
Sie knuddelt mich einfach nur.
Nach einigen Minuten kommt sie auf den Grund, warum sie zu mir gekommen ist.
„Ich habe wieder von Erce geträumt." sagt sie zu mir. -
„Ja, ich habe auch eine Nachricht bekommen." antworte ich.
Was besagte dieser Traum? 'Bevor ihr euch trennt, verbindet euch und teilt eure Kraft.'
„Dass wir uns trennen, wenn auch nur körperlich, ist klar - ich fliege heute nach Indien. Und verbinden - lass es uns einfach versuchen, wir werden dann schon sehen, was passiert."
Manvinkona nickt, ich setze mich ihr gegenüber und konzentriere mich auf ihre Gegenwart in meinem Geist. Sie beginnt suchend in meinem Bewusstsein und Unterbewusstsein umher zu tappen, sozusagen in alle Ecken zu schauen um die richtige Tür zu finden. Den Part, der in mir ist, den ich aber alleine nicht nutzen kann. Nach fast endlos scheinender Zeit - tatsächlich wohl nur einige Minuten - will sie aufgeben, weil sie nichts findet, was sie irgendwie aktivieren könnte.
Aber jetzt habe ich selber etwas gefunden, dass ich nicht kenne. Also halte ich sie fest, was sie mit Erstaunen bemerkt und konzentriere mich auf diese unbekannte Ecke. Als hätte es nur darauf gewartet, dass ich die beiden Pole zusammenbringe, ist es, als springt etwas auf, als ob Wände wegfallen, mein Geist, mein Bewusstsein wird größer, weiter. Mein Denken ändert sich, als ob noch jemand in mir denken würde, nein nicht würde - es denkt noch jemand in meinem Bewusstsein - Manvinkona! Ich bin in ihr und sie ist in mir.
Wir werden ein gemeinsames Bewusstsein in zwei Körpern. Und wir sehen gleichzeitig sie und mich. Ihre hellgrünen Augen haben eine türkise Farbe angenommen, genau wie meine. Manvinkona wendet ihren Blick in eine andere Richtung und wir sehen sie und gleichzeitig was sie sieht. Ein irres Gefühl finde ich/wir und sie sieht wieder mich an.
'Wie können wir das wieder beenden?' fragt sie/wir uns.
'Probieren wir es' antworte ich/wir und stelle mir vor, wie ich meinen Pol loslasse.
Sofort wird die Sicht wieder einzeln ich sehe nur noch Manvinkona - ihre Augen sind wieder hellgrün, die Barrieren erscheinen wieder und schließen mein Bewusstsein wieder vor der Außenwelt ab.
„Das ist ja verrückt." stößt Manvinkona völlig verwirrt, aber auch begeistert aus. -
„Aber das war nur die Verbindung, was ist mit dem Teilen der Kraft?" antworte ich.
„Komm, lass es uns weiter probieren, wie wir uns trennen können, wissen wir jetzt ja."
Sie nickt. Ich spüre, wie sie den Pol in mir berührt - nichts passiert. Sie versucht es noch einmal - nichts. Muss ich beide Pole zusammenbringen? Ich greife Manvinkonas und meinen Pol - und spüre sie wieder in uns denken, die Barrieren fallen und wir sehen uns wieder in unsere türkisfarbenen Augen.
'Lass uns uns erforschen' denken wir.
Jeder Gedanke ist offen und gemeinsam. Ein großer Teil unseres Gedächtnisses liegt offen vor uns, aber wir haben auch noch gesperrte Bereiche. Jeder hat noch eine Privatsphäre in unserem Geist, einen Ort zu dem wir uns zwischendurch trotz der Verbindung zurückziehen können und in dem Dinge verborgen bleiben, die wir nicht gemeinsam wissen müssen. Ich/wir spüren Jörð/Mama und Græðarinn, der gerade wach wird.
'Lass uns etwas ausprobieren' -
Ich öffne einen Energiespeicher und lasse einen Funken zwischen meinem Daumen und Zeigefinger überspringen. Auf meinen Gedanken hält Manvinkona ihre Finger genauso und ich lasse auch zwischen ihren Fingern den Funken springen.
'Nun Du' fordert mein Part, ihren Part unseres Bewusstseins auf.
Ich lasse mich ganz los, will sie nicht unterstützen oder blockieren. Zeige ihr nur, wo sie die notwendige Energie findet. Nach einiger Zeit schafft sie es, die richtigen Wege zu nehmen und der Funke zuckt zwischen ihren Fingern.
'Super, und nun bei mir' feuert mein Part ihren Part weiter an.
'Deine Finger' -
'nein, ich spüre, Du kannst auch meinen Körper steuern, wenn ich Dich lasse, also los.'
antworte ich und ziehe mich in meine Privatsphäre zurück um sie von dort zu beobachten. Sie ist etwas verwirrt, aber sie versucht es. Zuerst zuckt mein linker Arm, sie merkt, dass sie meinen Körper auch von innen steuern muss, nicht von außen. Es dauert zwar etwas, bis sie die Koordination hat, aber dann zucken die Entladungen zwischen meinem Daumen und Zeigefinger, von Manvinkona gesteuert. Ich komme wieder aus meiner Deckung uns schwimme in totalem Erstaunen, dass durch unser Bewusstsein fließt.
'Nicht erschrecken.' sage ich uns.
Schnell habe ich ihre linke Hand unter Kontrolle und halte alle Finger kreisförmig um dann einen Funken immer im Kreis laufen zu lassen. Wir glucksen vor Vergnügen und sie lässt die Entladung in meiner Hand größer werden.
In dem Moment kommt Græðarinn aus der Höhle und sieht uns.
„Was macht ihr denn so früh... - Manvinkona! Wie... Blitze?" -
„Die sind von Eldingar" sagt sie/wir
„wir üben nur ein wenig" ergänze ich/wir.
Dann stoppe ich die Funken in ihrer Linken und hebe ihre rechte Hand, ziele auf den Felsen, den ich vor ein paar Tagen schon mal unter Feuer genommen hatte. Ich konzentriere mich, sende die notwendige Energie und feuere einen kleinen Kugelblitz aus ihrer Hand auf den Felsen ab.
„Wow" sagen wir.
Græðarinn sagt nichts, er steht nur staunend da.
Wir beenden die Blitzerei und die gegenseitige Kontrolle, bleiben aber noch zusammen.
„Sei bitte nicht traurig, dass Du nicht mit eingebunden bist..." -
„...Möchtest Du uns in deinem Geist haben?..." -
„...Und brauchen werden wir diese Fähigkeit..." -
„mit Sicherheit im Kampf."
sagen wir im Wechsel, es sind ja unsere gemeinsamen Gedanken und Worte.
„Äh, ja - nein... könnt Ihr etwa meine Gedanken lesen?" -
„Nein" antworten wir jetzt gleichzeitig.
„Aber wir können uns denken, woran Du gedacht hast."
Irgendwie klingt das gemeinsame Sprechen merkwürdig, wir sollten uns einigen, wer spricht. Manvinkona lässt mir den Vortritt.
„Und ihr wisst, dass ihr kämpfen müsst?, Wann, wo, gegen wen?" fragt Græðarinn weiter.
„Nein, wir wissen es nicht. Aber Erce wird uns die Fähigkeit unser Bewusstsein miteinander zu verbinden und unsere Fähigkeiten zu übertragen - zumindest teilweise - bestimmt nicht gegeben haben, damit ein junges Drachenmädchen ein paar Blitze schleudern kann." antworte ich für uns. -
„Ja, klingt richtig." gibt er zu.
„Das wäre wirklich nichts für mich - Aber - Moment, Du sagst Eldingar? Ist er nicht mehr der Drachenlord?" -
Ich schüttele den Kopf.
„Heute Nacht, vielleicht durch den Kontakt mit Erce, habe ich wieder zurückgefunden. Ich hoffe, ich habe euch gestern nicht zu sehr erschreckt."
„Oh, ich bin damit noch zurechtgekommen, aber Mom und Manvinkona nicht so. Trotzdem schön, dass Du wieder da bist. - Ich fliege noch einmal zu der Energiequelle. Gestern habe ich mich nicht richtig aufladen können. Also wenn Mom fragt..."
„Warum?" fragt Manvinkona in schönster Kinderstimme.
Sie hatte schon länger etwas bemerkt, das ich jetzt bestätigen kann. -
„Ach Schwesterchen, das weißt Du doch - achso, ihr seid noch...?" Wir nicken.
„Trotzdem solltet ihr doch wissen, dass es noch nie einen Heiler gegeben hat, der seine Kraft selber generieren kann, wir müssen uns an einer Quelle aufladen." -
„Bisher musstest Du." konstatiert Manvinkona.
Ich stehe auf und gehe zu Græðarinn. Es fühlt sich zwar merkwürdig an, sich gleichzeitig weggehen zu sehen aber das wird sich sicher mit der Zeit geben.
„Hast Du nichts in Dir gespürt in der letzten Zeit, seit ich hier bin?" frage ich.
'Das hätte ich ihn gerne gefragt.' kichert Manvinkona in unserem gemeinsamen Bewusstsein. Ich grinse mit. -
„Nein, ich habe nichts gespürt - was ist mit Deinen Augen passiert?"
Er starrt mich an. Inzwischen ist der Horizont hell geworden, die Sonne geht bald auf.
„Als Arzt immer im Dienst, was?" grinse ich weiter.
„Da ist nichts weiter mit, wenn sich unsere Seelen vereinen, mischt sich auch unsere Augenfarbe, trennen wir uns, ist auch die Farbe wieder normal." -
„Aha. Na so kann man es dann ja sehen."-
„Wer vereint hier Seelen?"
Fjörgyn ist wach und kommt aus der Höhle auf uns zu. Sie sieht mir in die Augen und sagt leise.
„Was macht Ihr mit meinen Kindern, mein Lord..."
„Verzeih mir Jörð, bitte verzeih mir alles, was ich gestern gesagt habe."
„Eldingar - Ralf? Bist Du es wirklich?"
„Ja, heute Nacht hat Erce mich wieder zurückgebracht. Der Drache war ihr wohl jetzt noch nicht recht."
Sie umarmt mich.
„Erce sei Dank. Ich hatte gestern Abend die Hoffnung aufgegeben und damit gerechnet nur noch den Drachenlord vor mir zu haben. - Es war so schrecklich, mir von Dir sagen lassen zu müssen, ich wäre kein Drache... - nein nicht deswegen, aber weil Du es gesagt hast. Dass der Mensch plötzlich mehr Drache war als ich. Und ich Dich verloren glaubte."
Ich lege zusätzlich auch meine Flugarme um sie. Manvinkona atmet tief, denn so hat sie noch nie ihre Mutter gespürt, unsere Empfindungen für Fjörgyn vermischen sich. Die tiefe Zuneigung, die Fjörgyn und ich durch unser gemeinsames Blut füreinander haben, ist neu für meine kleine Partnerin.
Fjörgyn zwingt mir ihre Fangzähne zwischen meine und ihre Zunge beginnt zärtlich mit meiner zu spielen. - Das scheint ein Kuss zu sein, aber eindeutig mehr, als zwischen Mutter und Sohn üblich ist, jedenfalls schauen Græðarinn und Manvinkona zur Seite - wobei Manvinkona ja nicht einmal wirklich entkommen kann, sie ist ja auch ich...
Nach einer Minute löst Fjörgyn den Kuss und sieht verlegen zu Boden. Sich so zu küssen ist unter Drachen nur üblich, wenn zwei sich als Lebenspartner gefunden haben und sich lieben. Sonst muss das leichte Spiel mit der Zunge über die Nüstern als Kuss reichen, auch zwischen einer Mutter und ihren Kindern. Sie muss meine menschliche Seite wirklich lieben und sehr erleichtert darüber sein, dass ich mich nicht an den Drachen verloren habe. - Wieder kommt mir der Gedanke, warum Eldflóð mir nicht sein Blut gegeben hat, dann...
„Schon gut Mama, ich hätte es gerne selber getan." sagt Manvinkona leise und holt mich damit zurück.
Und erst jetzt bemerkt Fjörgyn wieder, dass wir verbunden sind.
„Verzeih, meine Kleine. Das wollte ich nicht... - Nicht mal eine Nacht kann man in Ruhe schlafen, ohne dass Erce wieder etwas mit euch anstellt. - Verliert euch bitte nicht, es macht mir Angst euch beide gleichzeitig in nur einem Augenpaar zu sehen."
„Mama, Jörð - mache Dir bitte keine Sorgen. Nur noch eine kleine Hilfe für Græðarinn und wir machen für heute Schluss."
Sie nickt. Ich lasse sie etwas zögernd los, Manvinkona würde sie am liebsten noch stundenlang so spüren, aber sie macht mit. Ich drehe mich zu Græðarinn, wir fassen seinen Kopf und legen unsere Stirn gegen seine. Er atmet etwas nervös.
„Keine Angst Brüderchen, folge uns einfach."
Manvinkona übernimmt die Führung über ihren Kontakt, den sie mit seinem Bewusstsein hat und verstärkt durch unsere verbundenen Seelen. Wir leiten ihn zu der zusätzlichen Fähigkeit, die Erce in ihm geschaffen hat. Er ist kein Elemental, wie alle Heiler - aber Erce hat ihm die Fähigkeit verliehen, eine Quelle der Energie, die diese Welt durchströmt, an jedem Ort für sich zu öffnen. Er braucht nicht zu einer Quelle reisen um sich wieder aufzuladen, er schafft sich einfach eine.
In dem Moment, in dem er begreift, was da in ihm steckt, weiten sich vor Überraschung seine Pupillen, dass seine Augen komplett schwarz werden und er sinkt mit zitternden Knien in sich zusammen. Fjörgyn sieht in erschreckt an.
„Alles in Ordnung? Wir verlassen Dich jetzt wieder." sagen Manvinkona/wir.
„Es ist alles Gut, Jörð. Es ist nur die Überraschung." beruhige ich sie.
Wir verlassen Græðarinns Bewusstsein und lassen ihn wieder los. Er bleibt noch sitzen und starrt ins Leere. Ich sehe wieder Fjörgyn an.
'Bist Du bereit für die Trennung Schwesterchen?' -
'Eine Frage noch, Großer. Ist das zwischen Dir und Mama immer so? Das habe ich nie bemerkt.' -
'Ja, so ähnlich ist es immer. Der Kuss war jetzt aber etwas besonderes. Und Deine Gefühle sind natürlich sonst nicht dabei.' -
'Dann könntest Du und Mama doch Partner werden... - entschuldige, Du hast recht. Du hast ihr Blut, Schade. Ja ich bin bereit für die Trennung, Großer.'
Ich löse die Pole und unsere Bewusstseine hüllen sich wieder in ihre natürlichen Schranken.
„Deine Augen sind wieder Blau. Alles in Ordnung?" fragt Fjörgyn besorgt -
Manvinkona sendet über ihre normale Verbindung ein positives Gefühl. Diese weitere, ständige Verbindung macht uns das „Alleinsein" das sich schon nach so kurzer Zeit der Verbindung einstellt, sehr viel einfacher. Ich nicke.
„Ja, wir sind wieder getrennt und alles ist in Ordnung."
Græðarinn hat sich wieder halbwegs gefangen, sieht uns alle an und flüstert.
„Wahnsinn... Ich glaube es nicht..." Ich lächele und erkläre Fjörgyn.
„Erce hat ihm eine neue Fähigkeit gegeben. Wir, genauer Manvinkona mit meiner Unterstützung, hat ihm den Weg zu dieser Fähigkeit gewiesen. Er kann jetzt jederzeit und an jedem Ort eine Energiequelle öffnen und seine Energien aufladen. Diese Quelle können über ihn auch andere Heiler nutzen, sonst aber niemand und sie schließt sich danach auch wieder. - Zwar ist er weiter kein echter Elemental, aber der Unterschied ist im Ergebnis ja minimal."
Fjörgyn sieht mich an, ein freudiges Lächeln im Gesicht und kniet sich dann neben ihren Sohn um ihn zu umarmen.
Ich fasse einen Entschluss, irgendeinen Sinn muss es ja haben, dass Fjörgyn mich ständig als Lordpaladin betitelt hat. Ich gehe einige Schritte beiseite und transformiere mich wieder zum Feral.
Fjörgyn sieht mich erstaunt an.
„Eldingar? Was ist?"
Ich lächele.
„Oh, nichts besonderes. Ich möchte nur als Paladin nun Græðarinn offiziell als Lord in den Kreis der Großen Drachen aufnehmen. Ich weiß, dass er noch recht jung ist, aber mit dieser neuen Fähigkeit ist es mehr als gerechtfertigt."
Græðarinn verneigt sich vor mir.
„Ich danke Euch mein Lord."
„Lord Eldflóð wird es sicher bestätigen, erhebt Euch, Lord Græðarinn."
Dann wende ich mich an Manvinkona.
„Nun, Manvinkona - Erce hat heute Nacht Eure Fähigkeiten erweckt, wie ich in Eurem Bewusstsein erkennen konnte. Euch sind noch nicht alle diese Fähigkeiten bewusst, sie werden erst im Laufe der Zeit in Euer Bewusstsein treten. Nur die Fähigkeit, die Euer Bewusstsein mit meinem verbindet wurde Euch direkt bewusst gemacht.
Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich gestern zu Eurer Mutter gesagt, dass Ihr jetzt in der Lage seit, selbständig zu leben. Nachdem jetzt Eure Fähigkeiten erweckt wurden, darf ich auch Euch im Kreise der Großen Drachen begrüßen, Dame Sálleiðtogi."
„Wie hast Du mich genannt?" Sie sieht mich völlig erstaunt an. -
„Nun, ich sprach Euch als Dame Sálleiðtogi an." wiederhole ich. -
„Euch ... Dame ... Sálleiðtogi...? - Aber, wie...?" -
„Deine Fähigkeiten beginnen zu erwachen, sind zum Teil bereits aktiv. Also steht Dir Dein Erweckungsname zu. Und auch wenn Du noch sehr jung bist, erfüllst Du alle Voraussetzungen für den Titel." -
„Darfst Du das denn so einfach?" fragt Sálleiðtogi - Fjörgyn antwortet für mich.
„Wer, wenn nicht der Lordpaladin von Erce soll das dürfen."
Jetzt bin ich an der Reihe erstaunt zu gucken.
„Ja Ralf, Eldflóð hat mir gesagt, dass er Dich nicht zu seinem Paladin erklärt, sondern Dich als Paladin Erces begrüßt hat. Und das ist allen Drachen so bekannt." -
„Oh - der Paladin von Erce bin ich...? Nun, wenn das so ist, dann wird der Lordpaladin Erces heute vor Lord Kyrin offiziell Græðarinn zum Lord und Sálleiðtogi zur Dame erklären."
Fjörgyn sieht mich ernst an.
„Ja, leider ist es bald Zeit zum Abschied. Wir haben Deine Sachen vorbereitet Ralf, obwohl ich fürchtete, Du hättest kein Interesse mehr daran."
„Ja, ich erinnere mich daran, wie ich gedacht habe -
Was soll ein Drache mit diesem merkwürdigen Menschenzeug anfangen? Dieses... Zeugs mit dem sie ihre weichen Körper bedecken, oder dieser eigenartige Technikkram... Warum sollte ich so etwas mit mir herumschleppen? -
Nein, verzeih Fjörgyn. So denke ich als Drache darüber, aber der Mensch möchte es als Erinnerung mitnehmen. Und die Kamera ist ja auch praktisch, nur braucht auch die Technik Energie - da werde ich mir etwas einfallen lassen müssen."
„Mach mir bitte keine Angst, dass es schon wieder losgeht." sagt sie kopfschüttelnd.
„Wir sind gestern morgen ja etwas abrupt unterbrochen worden - möchtest Du noch einmal Tee mit uns trinken, bevor Du aufbrichst?"
„Ja, das ist eine gute Idee, so können wir auf den Sonnenaufgang warten. Vorher muss ich nun wirklich nicht fort."
Wieder als Anthro helfe ich Fjörgyn wieder mit dem Tee, meine kleine Sálleiðtogi - an den Namen muss ich mich auch erst gewöhnen - bringt mir meinen Rucksack nach draußen.
Wir setzen uns wieder an die Felsplatte und schlürfen den heißen Tee.
„Ich hatte wirklich Angst vor Dir gestern." spricht Sálleiðtogi meine Art als Drache an.
„Erst als Du oben beim Fliegen angefangen hast, es mir zu erklären, spürte ich, dass Deine Wut nachließ. Nur die Art, wie Du mit uns gesprochen hast, fast wie ein fremder Drache, so ohne Gefühle, hat sich die ganze Zeit nicht geändert. Du warst richtig fremd."
Fjörgyn nickt nachdenklich.
„Ja, auch ich fürchtete noch lange um das Leben meiner Tochter. Ich wusste nicht, was ich tun sollte - gegen Dich kämpfen oder darauf hoffen, dass die Jugend Manvinkonas - oh verzeih, Sálleiðtogi - dass ihre Jugend und eure vorherige enge Verbundenheit sie schützt. Als mich Dein kalter Blick durchbohrte, habe ich begriffen, dass der Versuch sie zu verteidigen nur dazu führen wird, dass Du uns alle tötest. Also habe ich auf Erce vertraut und gehofft, dass Du sie am Leben lässt."
„Das war die richtige Entscheidung. Ich war am Anfang kurz davor..." ich spreche lieber nicht weiter.
„Ich weiß, ich bin auch ein Drache - auch wenn meine Denkweise sich etwas geändert hat. Dein Verhalten war normal für einen Drachen, mache Dir bitte keine Gedanken darüber." beruhigt Fjörgyn mich.
„Eigenartig war, dass ich zwar immer noch menschliches Wissen hatte, aber die Menschen nicht mehr begreifen konnte. Ich war wohl zu sehr Drache geworden, vielleicht hat Erce mich deshalb zurückgeholt."
„Sie hat Dich zurückgeholt, weil sie Dich haben will. Sonst hätte sie Dich gleich mit der Seele eines Drachen geweckt. - War das vorhin gespielt, dass Du wie ein Drache denkst?"
„Könnt Ihr einen Menschen spielen, Fjörgyn?"
Sie schüttelt den Kopf, während Sálleiðtogi sich hinter ihrer Mutter in Sicherheit bringt.
„Wie kann dann so ein Nackthäuter einen Drachen spielen?" Ich schüttele den Kopf.
„Denkt wieder wie ein Drache, Fjörgyn. Es wäre für Eure Tochter besser."
„Er ist wieder da." Sálleiðtogis Stimme zittert leicht.
Ich sehe sie kalt an, sie versteckt sich hinter Fjörgyn.
„Richtig."
„Der Tee?" Fjörgyn ist alarmiert.
„Wie kommt Ihr auf einen so menschlich unlogischen Gedanken?"
„Natürlich, Ihr habt Recht. Wann brecht Ihr auf, Eldingar?" sie verhält sich jetzt angemessen neutral.
„Oh, ein wenig Tee, kann ich schon noch vertragen, bevor ich mich von meiner Familie verabschiede." Es gelingt mir jetzt die Denkweise des Drachen selber wieder zu verdrängen.
Sálleiðtogi spürt das sofort und kommt zu mir um mich zu umarmen.
„Ralf ist wieder da. Kannst Du jetzt den Drachen rufen und wieder verdrängen?" fragt sie mich.
„Ich verdränge ihn nicht, er widersetzt sich nicht. Ich weiß jetzt aber, wie ich als Drache zu denken habe und bin dann auch der Drache. Und ich kann wieder zurück und menschlich denken."
Sálleiðtogi nutzt die Gelegenheit und bleibt bei mir liegen, den Kopf in meinem Schoß.
„Gewöhne Dich nicht daran, Eldingar wird uns bald verlassen." meint Fjörgyn kühl.
„Wie ich merke, habt Ihr meinen Rat angenommen, Fjörgyn."
„Du hast ihn oft genug wiederholt, Eldingar." ihre Stimme klingt wieder weicher.
Wir reden noch eine Weile über das, was mich wohl erwartet, wobei Fjörgyn mich beruhigt. Ich brauche keinen Drachen fürchten, andere Wesen ohnehin nicht.
Und Kyrin beschreibt sie mir als sehr umgänglichen Drachen, der Menschen offen gegenüber tritt. Bei Ihm brauche ich offenbar nicht als Drache auftreten.
Ich trinke den letzten Schluck Tee. Die Sonne steht schon über dem Pass und wärmt uns die Schuppen.
„Du solltest wirklich aufbrechen, so ungerne ich Dich auch fortscheuche." erinnert Fjörgyn mich -
„Ja, es ist soweit." Irgendwie ist mir schon etwas komisch, immerhin gehe ich jetzt in ein selbständiges Leben als Drache hier in dieser Welt. Und ich muss mich in einer mir fremden Umgebung nach nur 6 Tagen Eingewöhnung behaupten. Mit mir noch völlig unbekannten Drachen zurechtkommen, die mich sicher sehr argwöhnisch beobachten werden. Immerhin wissen sie, dass ich ein Mensch war - auch wenn Fjörgyn und Eldflóð mich ja zu beruhigen versuchen.
Sálleiðtogi lässt mich aufstehen. Græðarinn hat meine Sachen bereit. Mein Rucksack, die Tasche von Eldflóð und das Schwert. Alles gut verschnürt, damit ich es einfach transportieren kann. -
„Die Nahrungsmittel hatten wir herausgenommen, bevor sie verderben." bemerkt Fjörgyn. Ich nicke bestätigend, zumindest die restlichen Brote würden sonst wohl schon laufen. Das Gepäck lege ich erstmal zur Seite, fasse Græðarinn bei den Schultern und lege kurz meine Stirn gegen seine.
„Danke für alles, was Du für mich getan hast. Und treibe es mit den Energiequellen nicht zu bunt, Du Lord Du." -
„Ich habe Dir zu danken. Ich werde sicher bald zu Besuch kommen. Vielleicht brauchst Du mal einen Heiler da."
Dann fällt Sálleiðtogi mir um den Hals und klammert sich fest, als wäre ich der Damhirsch.
„Wir beide bleiben ja in Kontakt. Ich bin gespannt, wie das über diese Entfernung ist." -
Sie grinst.
„Klar. Ich bin schon gespannt, wie es da aussieht."
Nachdem Sálleiðtogi mir noch mal richtig die Nase abgeleckt hat, lasse ich sie los und wende mich an Fjörgyn.
„Auch Dir danke ich noch einmal, Jörð. Für Deine Bereitschaft, Dein Blut mit mir zu teilen. Und alles andere."
Wir umarmen uns und legen unsere Köpfe Stirn an Stirn. Nach einer Minute lösen wir uns und sie antwortet.
„Wir werden in ein oder zwei Monden für einige Zeit in den Osten meines Reiches gehen, dann sind wir dicht an der Grenze zu Deinem Reich und können uns sicher ein paar Mal sehen." -
„Ich freue mich schon darauf." erwidere ich.
Ich gehe ein paar Schritte zurück und transformiere mich zum Feral, greife meine Sachen und befestige sie am linken Unterarm. Die Energie habe ich schon bereit, ich kann gleich mit meiner Kraft starten. Mich verneigend verabschiede ich mich von den Drei.
„Lebt lang, Schützt die Kraft und gute Jagd."
Eldflóð hatte mir erzählt, das dieses die offizielle Abschiedsformel der Großen Drachen ist. Græðarinn und Fjörgyn antworten mit der selben Formel, Sálleiðtogi winkt mir grinsend zu.
Ich gehe noch einige Schritte weiter und lade mich auf. Die Energie wabert über meinen Körper, ich orientiere mich an den Magnetlinien suche mir den richtigen Weg und steige auf, den drei staunenden noch einmal zuwinkend - sie haben mich so ja noch nie fliegen sehen. Ich schließe meine Nickhäute und steige dann schnell auf ca. 3.000m, nehme Kurs auf 97° und beschleunige, langsam weiter auf 8.000m steigend. Bald habe ich volle Geschwindigkeit erreicht. In knapp 2.900 km Entfernung ist der Nanga Parbat mein Ziel, wo Lord Kyrin mich erwarten wird. Ungefähr dreieinhalb Stunden Flugzeit.
Nach einer halben Stunde bin ich über dem Kaspischen Meer. Die flache Landschaft danach ist in dieser Welt hier sehr viel grüner und es gibt einige Seen, als es mir von meiner alten bekannt ist. Wenigstens ist das nicht die Schuld der Menschen dort. Später wird es zunehmend bergiger, ich nähere mich dem Hindukusch. Auch wenn ich mir die Landschaft betrachte und auch die Veränderungen im Magnetfeld registriere, habe ich nebenbei doch Zeit zum Überlegen. Ich denke zurück, was passiert ist, überlege, was passieren wird.
Und ich wundere mich, dass ich einerseits ein sehr genaues Zeitgefühl habe, aber immer noch in meiner Zeit rechne, ebenso die Entfernungen. Wie die Menschen hier messen, ist mir nicht bekannt. Für die Drachen ist Zeit eine untergeordnete Größe und hat nur Wert, wenn ein Treffen verabredet wird, wie in meinem Fall jetzt. Sonst rechnen sie eher langfristig in Monaten oder Jahreszeiten, wenn überhaupt. Entfernungen messen sie im größerem Maßstab in Flugzeiten in der Form von Tagesbruchteilen - wobei sie einen gemittelten Lichttag von etwa 12 Stunden zu Grunde legen, wie ich festgestellt habe. Da Drachen unterschiedlich schnell fliegen, kommen so auch unterschiedliche Entfernungen zustande, zum einen interessiert es sie nicht weiter, zum anderen kennen sie meist die normale Flugschwindigkeit von vielen anderen Drachen. -
Als im dreidimensionalen Raum lebende Wesen, haben sie natürlich ein exaktes Raum- und Entfernungsgefühl, es ist für sie nur nicht so wichtig. Drachen können gut rechnen und auch sehr exakte Angaben machen, sobald sie die Notwendigkeit dazu erkennen. Kurze Strecken können sie z.B. einem Menschen mit sehr genau auf seinen Körper berechneten Maßen benennen, wie Schritt, Elle, Handbreite etc. Und mir gegenüber werden sie sicher schon von sich aus auf einen allgemeinen Standard zurückrechnen, da sie meine Werte noch nicht kennen.
Ich bin da noch anders, als ursprünglich in der modernen, hektischen und sehr zeitbestimmten Gesellschaft lebender Mensch bin ich noch in dieser erlernten Notwendigkeit der genauen Bestimmung von Zeit und Raum gefangen. Und aus mir nicht bekannten Gründen kann ich alles auch überraschend genau bestimmen.
Den Hauptkamm überquere ich nach etwa drei Stunden, dreihundert Kilometer noch. Ich entscheide mich dazu, den Rest der Strecke im Segelflug zurückzulegen, also baue ich die Geschwindigkeit ab und breite dann meine Schwingen aus, bevor ich die Energie wieder einschließe.
Hier oben muss ich zwar immer wieder mit Schwingenschlägen dafür sorgen, dass ich die Höhe halte, aber mir ist das eigene Fliegen mit dem Wind auf den Schuppen einfach angenehmer. Und nach etwas einer weiteren Stunde beginnt sich jetzt das Nanga Parbat Massiv über den Horizont zu erheben.
Obwohl die Westfront nicht ganz so Eindrucksvoll wirkt, wie die Nordseite, ist es schon ein Erlebnis, diesen recht freistehenden Achttausender zu sehen. Kurz vor dem Gipfel, der noch etwas höher ragt, als meine Flughöhe, schaue ich mich um, aber ich sehe noch keinen anderen Drachen in der Nähe. Kein Problem, eigentlich bin ich trotz des normalen Fluges auch recht früh hier angekommen. Also kreise ich erst einmal um den Gipfel und betrachte die Landschaft. Es gibt dauerhaft Eis hier in dieser Welt, der Gipfel ist weiß und sogar Gletscher kann ich sehen. Aber insgesamt sind die Hochflächen hier grüner, auch der Indus wird hier von viel Grün begleitet.
Die Runde ist schnell erledigt, hier oben ist der Hauptgipfel nicht mehr sehr breit. Weiterhin kein Drache zu sehen, nur mein Schatten auf dem Schnee. Vermutlich wird Lord Kyrin von seiner Seite, also aus Südwest etwa kommen. Ich fliege ihm einfach mal ein Stück entgegen und nehme mir den Toshe Ri in 20 km Entfernung als Ziel. Fünf Minuten später bin ich über dem Ziel und richtig, dort unten, noch ein gutes Stück tiefer, erkenne ich die Silhouette eines Drachens. Offenbar hat er mich auch entdeckt, denn er ändert seinen Kurs etwas um in meine Richtung zu fliegen.
Ich mache einen halben Split-S um in den Sturzflug zu gehen, rolle weiter, ziehe die Schwingen an und nehme Kurs auf den Drachen. Er fliegt normal weiter, ein schlanker, langgezogener, sehr stromlinienförmiger Körper, etwa so groß wie ich, sein Schwanz kürzer, aber kräftiger - ein Ruderschwanz mit starken Finnen ausgestattet. Seine Schwingen deutlich länger als meine, aber schmaler, ähnlich einem Albatros. Durch meine zwar kürzeren, dafür aber breiteren Schwingen, die einem Adler ähnlicher sind, habe ich in etwa die gleiche Flächenlast, wir dürften also ähnlich gut gleiten. Er wird aber als dynamischer Gleiter schneller sein, dafür bin ich als Thermikgleiter sehr viel wendiger. Näher kommend erkenne ich seine Zeichnung, auf einem tiefen Himmelblau hat er auf seiner Oberseite ein Streifenmuster in marineblau und dunklem Schieferblau. Ich vermute, dass seine Bauchseite eher hell sein wird, insgesamt eine typische Tarnfarbe im Meer. Ich dagegen tarne mich gegen einen hellen Himmel ja eher gar nicht. Dafür bin ich gegen eine tiefdunkle Gewitterwolke kaum zu erkennen und eigentlich ist das ja meine natürliche Umgebung...
Jetzt bemerkt er, dass ich im Sturzflug auf ihn zuschieße, er weicht aus - ich bleibe auf meinem Kurs, ich will ihn ja nicht angreifen, breite jetzt meine Schwingen voll aus und stelle sie in den Wind. Schlagartig verliere ich Geschwindigkeit, fast wie mit einem Fallschirm und gehe nur wenig höher als Lord Kyrin, der er nach der Beschreibung von Eldflóð sein muss, in den Gleitflug über.
Wir kreisen jetzt umeinander und er spricht mich an.
„Ihr müsst Lord Eldingar sein. Ich darf Euch in Eurem Reich begrüßen." -
„Ich Danke Euch Lord Kyrin, darf ich vorschlagen, dort zu landen, es spricht sich einfacher." -
„Verzeiht, ich denke wir sollten gleich zum westlichen Wohnsitz Valarinns - bzw. Eurem westlichen Wohnsitz - fliegen. Es sind nur etwa 20 Meilen von hier, dort können wir angenehmer sprechen." -
Ich nicke zustimmend.
„Gut."
Er nimmt Kurs Süd und ich folge ihm. Er fliegt recht langsam, deshalb hole ich schnell auf, um ihm zu zeigen, dass ich schneller kann. Er nickt und beschleunigt, bis ich im einfachen Gleitflug nicht mehr folgen kann. Darauf nimmt er etwas seine Geschwindigkeit zurück und wir segeln in den Hangaufwinden südwärts. Kyrin beobachtet mich immer wieder mit einem Blick, der eine Mischung von Achtung und Verwunderung beinhaltet.
Ich nutze die Gelegenheit und suche den Kontakt zu Sálleiðtogi - tatsächlich ist sie wie gewohnt in der Ecke meines Bewusstseins.
'Ich bin angekommen und habe gerade Lord Kyrin getroffen.'
Nach einem Moment spüre ich eine Antwort
'Toll, es funktioniert noch - wir lieben Dich.'
zusammen mit dem warmen Gefühl, mit dem sie mich erfüllt. Dann zieht sie sich wieder auf den kleinen Kontakt zurück.
Wir sind jetzt etwa zehn Minuten unterwegs, zuletzt entlang eines südwärts fließenden Bergbachs und kommen über ein quer verlaufendes Flusstal, das deutlich tiefer liegt und sehr grün ist. Noch sind wir hoch genug, dass ich über den südlichen Höhenzug in der Ferne eine Ebene sehen kann, Das müsste die Hochebene sein in der Srinagar liegt - drüben jedenfalls. Kyrin dreht flussaufwärts und geht tiefer. Wir folgen dem Flusslauf noch etwa fünf oder sechs Minuten hinauf und oberhalb eines Wasserfalls, mit dem ein Bach in den Fluss stürzt, geht Kyrin zum Landeanflug auf eine relativ ebene Fläche am Südhang. So edel er im Flug erscheint, seine Landung hier in den Bergen wirkt doch etwas umständlich. Dennoch landet er sicher auf den Punkt. Um ihn nicht unnötig in Verlegenheit zu bringen, lande ich mit einigen Schwingenschlägen neben ihm, obwohl ich auch eine Punktlandung mit nur einem einzigen Abfangschlag hätte machen können. Er wendet sich an mich und verneigt sich.
„Ich grüße Euch nochmals, Lordpaladin Eldingar." -
„Auch ich grüße Euch wiederum, Lord Kyrin und danke Euch für Euren Empfang."
Auch ich verneige mich. Ich hatte recht mit meiner Vermutung, dass seine Bauchseite von heller Farbe ist, ein helles Azur oder Eisblau, seine Finnen und die Schwimmhäute zwischen den Zehen sind aquamarin, die Augen auch Kobaltblau, vielleicht einen Tick heller als meine. Hörner und Krallen sind elfenbeinfarben. Bei seinem Anblick sehe ich förmlich das Meer vor meinen Augen. - Er betrachtet mich genauso interessiert.
„Ihr fliegt sehr gut, Lord Eldingar. - Verzeiht, es ist unüblich, jedoch..." - Mit dezentem Lächeln winke ich ab.
„Unüblich ist es, doch kennt Ihr meine Herkunft. Fühlt Euch also frei, Lord Kyrin." - Er verneigt sich dankend.
„Ja, Hochlord Eldflóð hat Eure Herkunft erwähnt, ein weiterer Punkt, der mein Interesse weckt. - Bitte versteht, Ich habe mich lange mit den Menschen beschäftigt, versuche Ihre Denkweise zu verstehen - und habe wohl ein wenig von ihrer Art angenommen. - Doch für Fragen ist noch genug Zeit. Ich darf Euch Euren westlichen Wohnsitz zeigen." -
Ich sehe mich um, ein Höhleneingang am oberen Ende dieser Wiese, viel zu klein für uns, sonst sehe ich nichts. Fragend lege ich den Kopf nach links.
„Ganz recht, Lord Eldingar, der Eingang ist zu klein für einen großen Drachen. Valarinn war merkwürdig, er verachtete die Menschen, nutzte aber ihre Fertigkeiten. Noch mehr aber zog er sich vor seiner eigenen Art zurück. So nutzte er unsere Weigerung zu transformieren - er legte seine Wohnstätten überwiegend in Anthrogröße an und stattete sie mit Menschenwerk aus. -
Verzeiht, doch Hochlord Eldflóð versicherte mir, es würde Euch nicht viel ausmachen, auch in Gegenwart eines anderen unseres Volkes zu transformieren." -
Wie schön - hat Eldflóð noch mehr Dinge über mich erzählt, die für einen Drachen peinlich sind? Kyrin hat meinen wohl nicht sehr erfreuten Gesichtsausdruck gesehen.
„Verzeiht, ich wollte Euch nicht beleidigen." sagt er mit einer Verneigung.
„Selbstverständlich hatte Valarinn auch Wohnstätten, die einem großen Drachen angemessen sind. Doch ist die nächste mehr als eine Flugstunde entfernt." -
Ich hole tief Luft und setze ein entschuldigendes Lächeln auf.
„Nein, nicht nötig. Ich frage mich nur gerade, was Eldflóð noch über mich erzählt hat." -
Bei dem Weglassen des „Lord" legt Kyrin verwundert den Kopf schief.
„Äh, nichts weiter, verzeiht Lordpaladin. Lord Eldflóð erwähnte es auch nur im Zusammenhang mit den Wohnstätten. Und keiner unseres Volkes wird Euch darum weniger achten, denn mehr von uns als Ihr vielleicht denkt, bevorzugen in ihren Wohnstätten zumindest zeitweise auch die Anthro-Form."
Mit diesen Worten transformiert er sich und steht als Anthro vor mir.
„Und es bleibt auch unter uns, wenn Ihr es wünscht." -
Seufzend transformiere ich mich ebenfalls.
„Ihr müsst mir verzeihen, Lord Kyrin. Ich hätte wissen müssen, dass mein Erweckungspate so private Dinge nur in vertrauenswürdige Hände gibt." -
„Ah, Lord Eldflóð ist Euer Pate, daher... - Aber lasst uns hineingehen. Ich habe die Wohnstätten von den Kleinen entsiegeln und für Eure Ankunft vorbereiten lassen."
Ich folge ihm zum Höhleneingang, während er fortfährt.
„Ich muss gestehen, die Kleinen in Eurem Reich sind wesentlich brauchbarer, als ich bisher von ihrer Art gewohnt bin. Gemeinhin sind es überwiegend nutzlose Gesellen, doch diese hier haben sehr viele Aufgaben übernehmen können." -
Ein überraschend gesprächiger Drache ist dieser Kyrin.
„Ja, Lord Eldflóð sprach bereits davon, dass ich mit Hilfe der kleinen Drachen eine Organisation aufbauen kann, die mir die Aufgaben erleichtert." antworte ich.
Wir betreten die Höhle, die aussieht, wie eben eine Höhle aussieht. Kyrin führt mich rechts in einen Seitengang der steil nach oben führt, aber gut zu begehen ist. Nach einer Kehre gehen wir auf eine Tür zu. Eine Tür in einer Drachenhöhle?
„Valarinn hat seine Wohnstätten von den Menschen ausbauen lassen. - Hier diese Oeffnung, darin findet Ihr einen Griff, den Ihr drehen müsst, dann könnt Ihr die Tür öffnen."
Er zeigt auf eine Spalte in der natürlich wirkenden Decke des Ganges. Ich greife hinein und finde seitlich tatsächlich so etwas wie einen Griff. Mit einiger Kraft lässt sich der auch drehen, ein leises Klicken ertönt. Position und notwendige Kraft lässt mich schließen, dass Menschen nicht so einfach in die Höhle kommen sollten - sofern sie den Oeffner überhaupt entdecken. Kyrin schiebt noch einen Riegel an der Tür zur Seite und drückt sie dann auf. Mit leichtem Knarren schwingt sie beiseite.
„Aha, da ist etwas Fett in den Angeln notwendig." stelle ich fest.
Kyrin grinst.
„Das wisst Ihr sicher besser als ich - wenn ich vorgehen darf."
Hinter der Tür öffnet sich ein dunkler Gang, nur spärlich durch mehrere Türen auf der linken Seite erhellt. Dank unserer guten Nachtsichtigkeit haben wir aber keine Orientierungsprobleme. Ich betrachte mir noch die Tür, die zwar schlicht, aber fest gefügt ist und in ihrer Festigkeit wohl auch einem Anthro ein wenig Widerstand bietet. Ich schließe sie und sehe, dass sie sauber in die Zarge passt und dicht schließt. Die Riegel lassen sich leicht schieben, der Sicherungsgriff ist auch hier unter der Decke, aber nicht versteckt.
Kyrin führt mich den Gang entlang, an dessen rechter Wand Oellampen hängen. Hinter der ersten Tür ist ein Vorratsraum, in einer Ecke fließt frisches Wasser durch ein Becken, an den Wänden Regale, die aber außer Geschirr überwiegend leer sind, nur einige frische Früchte und ein paar Krüge stehen in der Nähe des Wasserbeckens und zwei Hirsche, ein Axis und ein Barasingha, hängen an Haken. Beide sind vor höchstens einer Stunde erbeutet worden, wie ich rieche. Kyrin schmunzelt.
„Wie ich sehe, sind die Kleinen bemüht, Eure Laune zu heben..."
Ich nicke nur. Im nächsten Raum steht ein Tisch von vier Liegen umgeben, es wirkt fast wie ein römisches Speisezimmer - und es ist wohl auch das Speisezimmer. Der nächste Raum ist ein Wohnraum, vier bequem aussehende Sessel, die wie bei Eldflóð so gebaut sind, dass wir unseren Schwanz zwischen Sitz und Rückenlehne durchstecken können, zwischen den Sesseln stehen Beistelltische. An einer Wand ist ein Bücherregal, in dem viele Bücher stehen. Lesen Drachen tatsächlich soviel? Mir kommt es aber durchaus entgegen.
Hier steht auch ein Ofen in einer Ecke, der offenbar auch Wärme in die angrenzenden Räume leitet. Dann folgen vier - eigentlich fünf - Schlafkammern, nicht allzu groß - nur die beiden letzten sind ein wenig geräumiger. An die letzte schließt sich noch eine weitere, kleine Kammer an. In den Kammern sind jeweils ein Lager und ein Regal für persönliche Sachen. Die Lager in den größeren Kammern sind breiter. Die Polster wirken bequem, sie sind anscheinend mit Tierhaar gestopft. Am Ende des Ganges findet sich rechts ein Lagerraum, verschiedene Haushaltsgegenstände finden sich hier in den Regalen und noch einiges an Ausstattung. Ein Nebenraum scheint für private Dinge gedacht zu sein, die Regale sind aber leer.
Geradeaus am Ende des Ganges ist sogar eine Bad vorhanden. Auch hier läuft frisches Wasser zum Teil durch ein Waschbecken, ein anderer Teil durch eine Rinne im Boden und anschließend durch die Wand offenbar ins Freie. Das besondere ist aber ein Becken, das mit Thermalwasser gespeist wird und das zwei Anthros Platz bietet.
Das ist eine fast schon luxuriöse Wohnung, die auch einem Menschen gefallen würde. Auch wenn die Wände nicht verkleidet sind und den geglätteten Fels zeigen.
„Nun?" fragt Kyrin. -
„Akzeptabel." antworte ich. -
Kyrin sieht mich zweifelnd an.
„Und ihr wart wirklich ein Mensch?" - Was will er damit sagen?
„Ja." gebe ich knapp zur Antwort. -
„Gut."
Er wirkt, als wollte er eigentlich etwas anderes sagen. Da fühle ich ein 'Oller Drache' von Sálleiðtogi in meinen Gedanken. - Das ist es: Kyrin hat eigentlich eine menschlichere Reaktion von mir erwartet.
„Verzeiht Lord Kyrin. Aber seit kurzem wird der Drache in mir stärker und beeinflusst mein Verhalten." -
„Ah, ich verstehe, Bedauerlich." - Ich sehe in fragend an.
„Bedauerlich?" -
Er lächelt,
„Ich hätte gerne nähere Informationen über die Menschen bekommen mit einem Gesprächspartner, der nicht vor Angst zitternd vor mir liegt. - Nein, nicht was Ihr denkt - außer, dass ich als Feral vor ihnen stehe, gebe ich ihnen nur sehr selten Grund, Angst vor mir zu haben." -
„Nun, wenn es Euch gefällt, Lord Kyrin, lade ich Euch ein, bei mir zu speisen und zu übernachten und wir unterhalten uns über die Dinge, die Euch interessieren."
Kyrin verneigt sich.
„Ich danke Euch für Euer Angebot Lordpaladin, dass ich gerne annehme." -
Ich deute eine Verneigung an.
„Gut."
Er lächelt etwas schief. Ich bin ihm wohl wieder zu sehr Drache und ergänze:
„Sonst wüsste ich auch nicht, wohin mit dem ganzen Fleisch..." - Jetzt grinst er.
Wir stehen inzwischen wieder vor dem Wohnraum, der ebenso wie alle anderen Räume auf dieser Seite, Fenster hat, die mit Läden von innen verschlossen sind. Durch kleine Oeffnungen in diesen Läden fällt das wenige Licht, dass die Räume nur notdürftig erhellt. Ich gehe zu den Fenstern und öffne die Läden, sofort ist der Raum in Licht getaucht. Angenehm überrascht stelle ich fest, dass eine Art Butzenscheiben in den Oeffnungen sind, die sich auch öffnen lassen.
„Bitte, setzt Euch, Lord Kyrin. - Da fällt mir ein, schauen wir doch mal, was ich Euch anbieten kann."
Er folgt mir in den Vorratsraum. Auch hier machen wir die Fensterläden auf und ich sehe mich um. In einer Ecke ist eine Art Schrank, den ich öffne. Auch durch diesen Schrank fließt frisches Quellwasser, es ist recht kühl in ihm und er bietet genug Platz, um die Hirsche hineinzuhängen - ein Kühlraum. Da ja erst früher Nachmittag ist und Kyrin jetzt auch noch nicht essen möchte, hänge ich die beiden Tiere in den Schrank, damit sie sich besser frisch halten. Auf den fragenden Blick erkläre ich Kyrin kurz die Zusammenhänge.
Anschließend schaue ich in die Krüge. Drei Krüge mit unterschiedlichem Fruchtsaft und zwei Krüge mit Wein. Da in einem Krug reichlich drei Liter sind, sollte das für einen ordentlichen Brand für uns beide reichen.
Aber vorerst entscheiden wir uns für einen Fruchtsaft, den wir in einem weiteren Krug mit frischem Wasser verdünnen. Ich greife mir noch zwei Tonbecher und wir gehen wieder in den Wohnraum. Fast fühle ich mich wie früher als Mensch zu Hause, nur dass mein Gast blaugrüne Schuppen, Schwingen und ein sehr scharfes Gebiss hat. - Wie ich auch.
Wir setzen uns in die Sessel, trinken den Saft und unterhalten uns. Das mir bekannte Spiel: Kyrin fragt und ich erzähle. Darüber vergehen die Stunden recht schnell und wir essen zwischendurch etwas - recht menschlich, Fleischstücke auf Platten und wir dann wie die Römer auf den Liegen nach Fleischstücken greifend. Kyrin findet es hochspannend, wie das so abläuft. Anschließend spüle ich die Platten und Teller ab und nehme einen Krug Wein, frisches Wasser und neue Becher und wir führen unsere Unterhaltung fort. Kyrin greift auf meinen Hinweis, dass Alkohol gewisse Auswirkungen hat, nur zu stark verdünntem Wein, aber auch ich mische Wasser hinzu. Es ist ein kräftiger, sehr süßer Wein, der mir sehr gut schmeckt.
Später zünde ich mit einem kleinen Funken die wohlgefüllten Oellampen an.
Auch Kyrin erzählt mir einiges über sich, sein Reich, insbesondere aber über mein Reich, um mich auf einen aktuellen Stand zu bringen. Am Ende informiert er mich über zwei Königreiche der Menschen, die sich im südlichen Teil meines Reiches befinden und im Streit liegen.
„Sie werden vermutlich bald einen Krieg gegeneinander führen. Jedenfalls sollen beide bereits ihre Krieger ausrüsten und ausbilden." informiert er mich.
„Krieg - also auch hier bekriegen sich die Menschen untereinander." sage ich kopfschüttelnd.
„Ich weiß nicht, als Mensch möchte ich den Krieg verhindern, weil er unnötig Leben kostet. - Als Drache sage ich: egal, so sind sie beschäftigt und dezimieren sich gegenseitig - da brauchen wir nicht dafür sorgen, dass sie nicht überhand nehmen. - Lord Kyrin, habt Ihr einen Rat für mich?" -
Er zuckt mit den Schultern.
„Ich bin als Drache geschlüpft, welche Antwort werde ich Euch dann geben? Ich stimme Eurer Meinung als Drache zu - lasst sie gewähren, achtet nur darauf, dass durch ihren Krieg keine Gefahr für die Schöpfung Erces in ihrem Umfeld entsteht. Ihre unwichtigen Geplänkel untereinander interessieren uns nicht." -
„Ja, ich fürchte, auch ich muss so denken, denn die Gefahr, dass sie sich sonst gegen mich verbünden und versuchen mich zu bekämpfen, ist sonst durchaus gegeben." -
Kyrin sieht mich fragend an.
„Glaubt ihr? - Obwohl Ihr ihnen doch helft?" -
„Ja, weil sich immer eine Seite benachteiligt fühlen wird, möglicherweise sogar beide. Und dann müsste ich sie beide bekämpfen - mit möglicherweise mehr Toten, als bei ihren kleinen Kriegen." -
„Menschen sind wahrlich merkwürdige Wesen..." bemerkt Kyrin.
„Leider muss ich sagen, dass Ihr Recht damit habt."
Eine Zeitlang unterhalten wir uns noch über das, was mich erwarten könnte und Kyrin beschreibt mir noch die Schönheiten der Unterwasserwelt, von denen einige auch zu meinem Reich gehören. Er will mit mir auf jeden Fall die Malediven gemeinsam besuchen, die noch zu meinem Gebiet gehören. Da dort nur eine winzige Gruppe Menschen dauerhaft lebt, brauche ich mich nicht besonders um die doch recht entlegen gelegenen Inseln zu kümmern. Kyrin bietet mir an, dort nach dem Rechten zu schauen, wenn er in der Nähe ist. Er besucht öfters Lady Alissia, die in der Indonesischen Inselwelt ihr Reich hat und kann dann einen kurzen Abstecher machen, da er dabei um Indien herumfliegt.
Später dann beschließen wir, schlafen zu gehen. Ich lösche die Oellampen bis auf zwei auf dem Gang und wir wählen uns eine Schlafkammer. Kyrin überlässt mir die erste Schlafkammer, die mir auch ausreicht und wählt die nächste.
Bevor ich mich hinlege, öffne ich auch hier das Fenster und schlafe trotz der Gedanken über das, was mir in diesem Land noch bevorsteht, schnell ein.