Unter Drachen 5 - Wecke den Drachen
#5 of Unter Drachen
Es geht zurück zu meiner Drachenfamilie. Dort kann ich noch ein Menschenleben retten, gehe wieder auf Jagd und erlebe erstmals ein wenig, wie ein Drache sich anderen gegenüber verhält.
Teil Fünf der Geschichte um einen Menschen, der als Lord Eldingar mit und bei den Drachen lebt.
Ich versuche in dieser Story die Gedanken und Empfindungen des Menschen, der in ein Leben als Drache gestoßen wurde, in den Vordergrund zu stellen. Daher geht es eher um die Erkenntnisse und weniger um ständige Action. ;)
Ich hoffe, es gefällt trotzdem.
Unter Drachen
5. Wecke den Drachen
„Du kannst kein Drache sein..."
Die Stimme dringt in meinen Halbschlaf, den ich morgens so liebe, diese Zeit in der einem 5 Minuten wie Stunden vorkommen können.
„Mmm, ich war immer schon eine Eule." grummel ich zurück. „Morgens nicht zu gebrauchen."
Aber ich mache dann doch ein Auge auf. Eldflóð steht im Eingang zu meinem Schlafzimmer.
„Eule? Ich verstehe nicht... - Aber ich mache mir Gedanken, wie Du Dein Erlebnis gestern wohl überstehst - und finde einen Bär im Winterschlaf."
Ich recke mich ausgiebig und grinse. Das waren zwar nur drei Nächte, die ich als Riesendrachen mehr oder weniger auf der Erde zugebracht habe, aber diese Nacht in der viel vertrauteren Anthro-Form in einem Bett ist wirklich erholsam gewesen.
„Ich dachte, Drachen haben es nicht so mit dem Humor. - Die Jagd hat mich bisher weniger belastet, als ich befürchtet habe - ich konnte sie erfolgreich verdrängen. Ich hoffe, da kommt nicht noch was nach. - Danke, dass Du Dich um mich kümmerst." -
Eldflóð legt seinen Kopf auf die linke Seite.
„Humor? - Du meinst, ich habe etwas erheiterndes gesagt?"-
„Richtig. Das mit dem Bär im Winterschlaf war in dem Zusammenhang erheiternd." erkläre ich.-
„Ah ja." Er überlegt. „Entschuldige, aber - was ist an einem Bär im Winterschlaf erheiternd?" -
„Nicht, dass ein Bär Winterschlaf hält, aber so, wie Du es mit mir in den Zusammenhang gebracht hast." -
Er nickt - völlig verständnislos.
„Ah ja. - Tut mir leid, es entspricht doch den Tatsachen. Ich verstehe nicht, was daran in dem Zusammenhang erheiternd war. - Verzeih, ich möchte Dich nicht beleidigen." -
Ich hebe die Hände.
„Nein, Du beleidigst mich nicht. Wir haben nur ein unterschiedliches Verständnis über erheiternde Wortspiele oder Situationen." -
„Gut, ich muss wohl noch viel über euch Menschen lernen." er überlegt kurz.
„Das ist selbstverständlich. Nun, Du warst heute Nacht eine Zeit sehr Unruhig, aber Du bist nicht wach geworden. Ich denke, das schlimmste ist vorbei, es sei denn, Ihr Menschen reagiert da noch im Nachhinein."
Ich sehe ihn verwundert an, ehe ich begreife, dass er meinen Dank um seine Besorgnis um mich beantwortet hat. Drachen scheinen offengelassene Fragen oder Gedanken gerne bei nächster Gelegenheit abzuschließen. - Er hatte doch auch noch eine Frage offen...
„Es gibt bei den Menschen im Hinblick auf das Wachwerden zwei wesentliche Typen: Diejenigen, die früh ins Bett fallen, und sehr früh wieder aufwachen und munter sind. Und die anderen, die nachts ewig wach bleiben, aber erst spät wach werden. Besonders schwierig wird es, wenn die Nachtmenschen morgens früh hoch müssen, sie brauchen dann ewig, bis sie munter werden und man sie ansprechen darf. Als Bezeichnung für diese Typen werden die Vögel Lerche und Eule hergenommen." -
Eldflóð nickt.
„Ich verstehe. Und Du bist dann einer, der Morgens erst spät munter wird." -
„Richtig." bestätige ich. „Gerade habe ich festgestellt, was mich an Euch verwirrt. - Ich verwirre Dich, wenn ich spontan von einem Gedanken, von einem Gefühl zum anderen springe. - Du verwirrst mich, wenn Du einen alten Gedanken oder Gesprächsfaden, den ich schon wieder fast vergessen habe, irgendwann viel später wieder aufnimmst und beendest. - Ich hätte der Frage nach der Eule schon lange keine Bedeutung mehr zugemessen, Du dagegen fügst meine späte Antwort sofort wieder in den ursprünglichen Zusammenhang und schließt so den Gedanken ab." -
„Und unsere Denkweise ist für Dich dann verwirrend?" -
Ich nicke.
„Ja, zumindest kann sie mich verwirren. Wir beziehen unsere Gedanken meistens auf den Moment und konzentrieren uns auf einen Gedanken. Etwas, das offen geblieben ist, wird meistens schnell in den Hintergrund gedrängt und oft auch vergessen." -
„Wie könnt ihr dann überhaupt intelligent und zielgerichtet denken?" er wirkt verwirrt.
„Wir führen nach Möglichkeit einen Gedanken zielstrebig zu Ende und gehen dann zum nächsten. Ihr seid offenbar in der Lage, mehrere Gedanken parallel zu führen und offene Stränge auch nach längerer Zeit fortzusetzen. Das fällt uns schwerer, ist uns aber durchaus auch möglich - nur führen wir das meist nur für wirklich wichtige Themen dann auch aus. Oder wir erinnern uns später noch einmal daran und fragen dann noch einmal nach. - Dafür können wir offenbar leichter sehr spontan von einem Thema zum nächsten springen und anderen darin auch folgen."
Der Blick von Eldflóð zeigt Verständnis.
„Ich verstehe. Wir führen jeden Gedanken zum Ende und vermeiden schnelle Wechsel. Ihr entscheidet spontan, was für Euch in der Situation wichtig ist und ignoriert das für euch unwichtige. So gehen Euch zwar Informationen verloren, aber ihr habt immer die notwendige Information und könnt euch spontaner auf andere Gedanken einstellen. - Beides hat Vorteile - aber eure Denkweise scheint in Notsituationen effektiver zu sein, auch wenn euch dann vielleicht einmal wichtige Informationen entgehen."
Grinsend schüttele ich den Kopf.
„Da sitze ich nun hier und diskutiere am frühen Morgen mit einem Drachen philosophische Themen."
Eldflóð nickt.
„So ändert sich manchmal das Leben."-
„Wenn das nicht wahre Philosophie ist..." antworte ich grinsend. "- Aber ich glaube nicht, dass unsere Denkweise insgesamt effektiver ist. Dann hättet Ihr euch nicht so lange über den Menschen hier halten können. - Nein, beide Denkweisen haben ihre Vorteile. Die Menschen denken vielleicht etwas schneller und spontaner, die Drachen denken dafür an alles."
Er sieht mich an.
„Möchtest Du mich beruhigen, oder eher Dich selber? - Ich neide es euch nicht, wenn ihr in Notsituationen effektiver denkt. Wir haben in anderen Bereichen noch genug Vorteile."-
„Entschuldige Eldflóð. Ich wollte Dich nicht beleidigen."-
„Bei Erce nein. Du hast mich nicht beleidigt. Tatsächlich danke ich Dir, dass Du Dich bemühst, keine Seite zu bevorteilen. - Jedoch muss ich jetzt noch auf etwas anderes kommen:
Leider kann ich Dich im Moment nicht in Dein Reich begleiten. Ich muss etwas regeln, das früher eintritt, als gedacht. Ich kann aber Lord Kyrin kontaktieren, der Dich dann dort empfangen wird."
Ich bin mittlerweile aus dem Bett und nicke.
„Klar, kein Problem - Kann ich Dir vielleicht helfen?" -
„Nein, mach Dir darüber keine Gedanken. Willst Du heute noch dahin?"
Ich überlege, aber wozu die Hektik, das läuft mir nicht weg.
„Ich mache noch einen Zwischenstopp bei Fjörgyn. Morgen - nein, in zwei Tagen reicht auch." -
Eldflóð nickt wieder.
„Gut, sie wird sich sicher freuen, dass Du bei ihr noch vorbeischaust. - Ich gebe dann Lord Kyrin die Information. Er wird Dir dann auch die Kontaktorte zeigen, über die wir in Verbindung bleiben können. Ich werde dann später dorthin kommen, dann sehen wir uns gemeinsam um. Bis dahin wirst Du Dich sicherlich auch alleine zurechtfinden, selbst für einen Menschen bist Du ja alt genug." -
„Vielen Dank." antworte ich grinsend.
Eldflóð legt wieder den Kopf auf die linke Seite.
„Ich glaube, das meinst Du jetzt - wie sagt Ihr? - Ironisch?
Vergiss bitte nicht, dass wir Drachen uns schneller zur Selbständigkeit entwickeln, als die Menschen. Nur die Geschlechtsreife tritt etwas später ein. Wobei das bei unserer Lebenszeit sicher etwas nebensächlich ist."-
„Entschuldige, ich vergesse immer, wie schwer es euch fällt den menschlichen Humor zu verstehen." antworte ich.
Wir gehen zum Wohnraum.
„Aber es ist gut, ich freue mich schon darauf, Lord Kyrin kennenzulernen. Er ist dann ja wohl mein Nachbar dort. Und wir können dann vielleicht ja ein paar wichtige Orte dort besuchen. - Darf ich mir eine Kopie von der Karte machen? Dann habe ich eine generelle Orientierung, auch über die Windströme." -
Eldflóð nickt nochmals.
„Schon erledigt. Vortigern hat schon etwas vorbereitet, das kannst Du mitnehmen. - Und ich merke, Du bemühst Dich, wie wir zu denken."
Ich sehe ihn erstaunt an.
„Ehrlich? Eine Karte vorbereitet? Vielen Dank! Ist Vortigern da?" Kopfschütteln. „Schade, ich hätte mich gerne bedankt, würdest Du ihm meinen Dank bitte ausrichten?"-
„Natürlich. Dort, die Tasche, da sind verschiedene Kopien drin. Auch noch eine genauere Karte Deines Reiches und andere Informationen. - Kann ich sonst noch etwas für Dich tun?" -
„Nein, ich denke, vorerst habe ich alles. Ich muss mich da ohnehin vor Ort zurechtfinden. - Oder hast Du vielleicht Kaffee?"
Er legt den Kopf auf die rechte Seite.
„Kaffee? Was ist das?"
Grinsend erkläre ich kurz und ergänze.
„Das Zeug war für mich früher fast schon lebenswichtig. - natürlich nicht wirklich, aber ich habe es sehr oft getrunken, besonders morgens zum wachwerden. Aber bisher habe ich es hier noch nicht vermisst, ich komme nur gerade drauf, so etwas wie eine alte Angewohnheit. Aber etwas Wasser reicht mir schon. Und dann breche ich am besten auch auf, ein wenig dauert es ja schon, bis ich bei Fjörgyn bin. -
Hoffentlich bekomme ich dann auch wieder Kontakt zu Manvinkona - sie fehlt mir schon richtig, so habe ich mich an ihre sanfte Berührung in meinem Geist gewöhnt."
Eldflóð geht mit mir in die „Küche" wo in einer Ecke eine kleine Quelle frisches Wasser spendet und gibt mir eine Schale voll davon.
„Vielleicht traut sie sich nur nicht. Sprecht einfach darüber, dann wird es schon wieder. Du vermutest ja wohl, dass eure Verbindung einen tieferen Sinn hat - also wird Erce euch wieder zusammenbringen."
Eine weitere Schüssel Wasser lehne ich ab. Da soweit alles hier geklärt ist, brechen wir auf, denn auch Eldflóð will sich gleich auf den Weg machen. Ich nehme die Tasche mit den Unterlagen, die sich praktisch an meinem linken Handgelenk befestigen lässt wenn ich zum Feral transformiert bin und wir gehen nach draußen. Dort verabschieden wir uns.
„Ich wünsche Dir einen guten Flug, Eldingar. Grüße Deine Familie und viel Erfolg in Deinem neuen Reich." -
„Danke Eldflóð, Mein Lord. Besonders für die Informationen - und das Jagderlebnis. So werde ich beim nächsten Mal nicht davon überrascht werden. Dir viel Erfolg - ich freue mich auf unser Wiedersehen."
Eldflóð tritt etwas zurück, während ich mich transformiere. Ich befestige die Tasche, dabei fällt mein Blick auf meine Narben, die fast ausgeheilt zu sein scheinen - die erinnern mich an etwas.
„Eldflóð, Du sagtest ja, dass ich während des Tornados nur mit meiner Kraft geflogen bin. Das würde ich gerne einmal ausprobieren, bin mir aber nicht sicher, ob es dabei Entladungen geben wird - wenn ich es überhaupt schaffe. Nur damit Du nicht versehentlich einen Schlag bekommst - auch wenn der sicher nicht so stark sein dürfte." -
„Das würde ich gerne sehen - beim letzten Mal, wo Du so vor mir geschwebt bist, war ich, äh, beschäftigt..." antwortet er trocken und transformiert sich dann auch, noch innerhalb der Höhle.
Ich muss grinsen.
„Sag nicht, ihr Drachen hättet keinen Humor." -
„Oh, wir mögen auch lachen, nur verstehen wir eure Art zu wenig. Und wir zeigen es auch weniger, daher wirken wir auf euch vermutlich ernster. Ich habe aber bemerkt, dass Fjörgyn und Græðarinn Dir gegenüber sehr offen sind."
Währenddessen lade ich mich auf. Die Muster auf meinen Schuppen beginnen zu leuchten, langsam heller werdend - auch die Narben leuchten dabei mit auf. Ich konzentriere mich auf das abheben, versuche mir vorzustellen, wie ich schwebe. Erhöhe langsam die Energie, das fällt mir mittlerweile schon einfach. Aber ich finde den Zugang noch nicht, weiß nicht welchen „Schalter" ich umlegen muss, was ich tun muss um zu schweben. Bei den Tornados und beim Kampf mit Eldflóð habe ich das unbewusst gemacht, ich weiß aber nicht, was ich gemacht habe - nicht mal wie es sich angefühlt hat, ich war viel zu abgelenkt.
Eldflóð wirkt etwas angespannt. Auf meinen fragenden Blick antwortet er:
„Es ist nichts passiert, ich spüre nur die starke Kraft, die in Dir steckt und das ist etwas unangenehm. Lass Dich nicht stören."
Aber es will nicht funktionieren. Etwas frustriert feuere ich eine Entladung aus meinem Rachen in den Himmel und aus meinen Händen in den Fels zu beiden Seiten. Dass Eldflóð dabei sein Gesicht etwas verzieht, ignoriere ich, ihm kann nichts passiert sein. Ich sehe an mir herab und sehe meine Zeichnung und die Narben jetzt deutlich leuchten - Energie steht sicher genug zur Verfügung. Und dann kommt mir plötzlich wieder das Bild in den Sinn. Das Bild von mir, dass ich von Fjörgyn während des Kampfes empfangen hatte. Über meinen Körper leckten die Entladungen und schlugen auch in den Boden ein - war es vielleicht das?
Also lasse ich meine Energie frei durch meinen Körper fließen - nicht um sie gezielt abzufeuern, einfach nur fließen. Fühle, wie sie über meine Schuppen wabert, spüre die Überschläge zwischen meinen Körperdornen, rieche das Ozon, genieße die Energie in und auf meinem Körper und muss lächeln, weil Eldflóð langsam ein Stück zurückweicht.
Plötzlich spüre ich etwas - etwas, das mich umgibt, an dem ich mich festhalten und abstoßen kann, das mir eine Orientierung gibt. Langsam dämmert mir, dass es das Magnetfeld der Erde sein muss, das ich da spüre, das mit meiner Energie in Wechselwirkung tritt. Und jetzt kann ich mich auch daran entlanghangeln, mich daran abstoßen und hebe ab, obwohl meine Schwingen zusammengefaltet auf meinem Rücken liegen.
Viel zu schnell, viel zu hoch - offenbar habe ich schon mehr Energie aufgebaut, als notwendig gewesen wäre. Aber jetzt weiß ich, was ich tun muss! Ich finde die richtigen Magnetlinien und ziehe schnell einen Kreis über den See um wieder vor der Höhle anzukommen und bleibe davor schweben.
Eldflóð steht jetzt auf der Fläche vor dem Eingang und sieht mir kopfschüttelnd zu.
„Was wirst Du noch alles für Fähigkeiten entwickeln..." -
„Glaube mir, das würde ich auch gerne wissen - und vor allem: warum? - Benötigt diese Welt eine Superwaffe? Einen Drachen, der alle und alles vernichten kann? - Und der möglicherweise auch noch dazu bereit ist...?" -
Eldflóð fällt mir scharf ins Wort.
„Genug! - Hör auf, ständig an Dir zu zweifeln! Damit treibst Du Dich nur selber in den Wahnsinn." Und wieder freundlicher:
„Du bist ein Drache. Nimm es an, nutze es - eines Tages wirst Du erkennen, warum es Dir gegeben wurde. Bis dahin erfreue Dich der Möglichkeiten die es Dir bietet."
Welche Möglichkeiten hätte ich denn eigentlich? Vermutlich könnte ich jeden der Drachen mir unterwerfen, es wäre nicht einmal sicher, ob mehrere gemeinsam mich besiegen könnten - die Menschen hier sind ohnehin kein Problem.
Will ich diese Welt beherrschen? Nein, wozu? Ich würde nichts gewinnen, was ich nicht ohnehin schon habe, nur ständigen Ärger dazubekommen. Und vor allem möchte ich Manvinkona nicht enttäuschen.
Bei dem irritierten Blick und der angespannten Haltung von Eldflóð muss ich grinsen - offenbar hatte ich wohl einen recht teuflischen Gesichtsausdruck aufgesetzt, bei meinen Gedanken eben.
„Entschuldige, da ist mir eben die Phantasie wohl durchgegangen, bei dem Gedanken, meine Kräfte zu genießen... mache Dir darüber aber keine Sorgen - ich mache mich jetzt auf den Weg. Guten Erfolg bei Deinen Geschäften."
Mit diesen Worten und einer angedeuteten Verneigung, steige ich, ohne eine Antwort abzuwarten, steil in die Höhe. Mir fehlt jetzt die Lust weiter darüber zu diskutieren. Wenn Eldflóð sich darüber Sorgen macht, können wir in ein paar Tagen weiter sprechen. Aber er weiß ja auch, dass Menschen manchmal etwas spontan reagieren. Und Drachen sind andererseits auch oft kurz angebunden.
Schnell steige ich senkrecht auf etwa 5.000 m und gehe dann auf etwas über 100° Ost, wo in etwa mein Ziel in 1.800 km Entfernung liegt. Meine Orientierungsfähigkeit ist jedenfalls eindeutig dracoid. Ein so genaues Empfinden für Geschwindigkeit, Richtung und Entfernung hatte ich als Mensch nicht, auch wenn ich mich nicht gerade ständig verlaufen habe.
So langgestreckt und stromlinienförmig wie möglich ziehe und schiebe ich mich immer schneller entlang der Magnetfelder der Erde, dabei weiter steigend. Ich bin froh darüber, meine Nickhäute zu haben, um noch etwas sehen zu können, so schnell bin ich unterwegs. Und als auch eine weitere Energiesteigerung mir keinen Geschwindigkeitszuwachs mehr bringt, sagt mir mein Gefühl für die Geschwindigkeit, dass ich ungefähr 900 km/h erreicht habe.
Wahnsinn: mit der Reisegeschwindigkeit eines Verkehrsflugzeuges bin ich eigentlich auf keinen Windstrom mehr angewiesen. - Mal sehen, wieviel Energie ich dabei verbrauche.
Nach etwas über einer Stunde bin ich wieder über der Krim. Irgendwie ist mir dieses Fliegen zu technisch, fast langweilig, also entscheide ich mich dazu ab hier wieder normal zu fliegen. Ich breite also meine Schwingen aus und nehme meine Energie wieder zurück, schließe sie wieder ein. Nur einen Moment später bin ich wieder ein ganz normaler Drache, der das Gleiten in der späten Vormittagssonne auskostet. Aus dieser Höhe ist das Asovsche Meer kein Problem, eine Stunde später bin ich wieder über Land und kann die Thermik nutzen.
Ich genieße das Spiel des Windes auf meinen Schuppen, das Gleiten über das grüne Hügelland das langsam in den Kaukasus übergeht. Spielerisch mache ich eine halbe Rolle, tauche mit einem halben Abschwung steil ab, wieder eine halbe Rolle, ich beschleunige, fange etwas ab und jage zum nächsten Thermikbart hinüber. Der Wind rauscht über meine Schwingen, so schnell bin ich - Drachen fliegen eigentlich sehr leise, selbst bei kräftigsten Schwingenschlägen hört man nur ein dezentes 'Fupp' - aber bei jetzt über 400 km/h bin ich doch deutlich über der für Drachen üblichen Geschwindigkeit. Ich fange ab, tauche in die Thermik und kurbele mich wieder nach oben. Diese Spiele im Raum kosten zwar Zeit, machen aber irrsinnig Spaß. So brauche ich für die 300 km bis zu den ersten höheren Ausläufern des Kaukasus zwar weit über 2 Stunden, aber habe dabei soviel Spaß, dass ich fast überrascht bin, schon da zu sein. Nun kann ich auch die Hangaufwinde nutzen, was mich etwas schneller macht, mir gleichzeitig aber auch die Möglichkeit zum Konturenflug gibt. Dagegen dürfte ein Wingsuit noch ein harmloses Spielzeug sein. Die verbleibenden knapp 300 km sind viel zu schnell zurückgelegt, auch wenn ich weite Bögen fliege um die Täler zu nutzen.
Nach nochmal gut 2 Stunden bin ich hoch über der Hangwiese, an deren Rand Fjörgyns Höhle liegt. Und gerade jetzt kommt aus der entgegengesetzten Richtung ein anderer Großer Drache, eine tannengrüne Drachin: Fjörgyn.
„Eldingar!" ruft sie mir entgegen. „Schön, dass Du noch hier vorbeischaust, bevor Du Dein Reich beziehst."
Wir umkreisen uns spielerisch, fast schon wie ein Liebespaar, aber mein Verhältnis zu Fjörgyn ist nicht nur das eines Blutsverwandten. Dennoch sind wir eins, in uns beiden fließt dasselbe Blut, wir sind enger verbunden, als eine Mutter mit ihrem Sohn, fast wie Zwillinge - auch wenn mir klar ist, dass wir uns genetisch schon noch unterscheiden, spüre ich doch eine nahe Verwandtschaft in ihrem Geruch. Und ich fühle, das ich tief in mir etwas vermisst habe in der kurzen Zeit, in der wir jetzt getrennt waren - und es wird ja noch länger werden, wenn ich erstmal in Indien bin.
Weiter einander umkreisend gehen wir tiefer und setzen gleichzeitig zur Landung auf der Wiese an. Fjörgyn umarmt mich gleich, was ich erwidere, so stehen wir einige Minuten mit aneinandergelegten Köpfen, atmen den so ähnlichen Duft des andern, spüren, wie sich unser Herzschlag angleicht, einen gemeinsamen Rhythmus annimmt. Wir werden eins, auch ohne die enge Verbindung unserer Seelen, wie mit Manvinkona. Jetzt spüre ich, wie sehr sie mir gefehlt hat - das Blut eines Drachen verbindet sehr stark.
Erst nach langen Minuten löst sie sich langsam. Ich sehe sie an.
„Mir war gar nicht bewusst, wie sehr Du mir gefehlt hast, Jörð. Wie sehr ich tatsächlich Dein Blut bin. Da mag ich gar nicht mehr so weit weg in mein Reich gehen und Dich so lange verlassen." -
Sie stupst mich an.
„Geh bitte. Verbaue Dir nicht Deine Zukunft wegen ein wenig Blut. Es ist immer nur dann so intensiv, wenn wir uns wiedertreffen. Und das ist dann um so schöner. - Eldflóð hatte mir schon drüben bei sich erzählt, dass er vorhat, Dir das große Reich im Osten zu geben. Unsere Reiche grenzen ja auch aneinander, notfalls suche ich mir ein Quartier dort an der Grenze."
Ein Schrei unterbricht uns. Manvinkona ist aus der Höhle gekommen und galoppiert jetzt auf uns zu. Aber schon nach einigen wenigen Sprüngen wird sie plötzlich langsamer. Sie macht jetzt plötzlich einen irgendwie niedergeschlagenen und unsicheren Eindruck und geht nur noch langsam weiter in unsere Richtung.
Ich sehe Fjörgyn etwas besorgt an. Aber sie beruhigt mich.
„Manvinkona ist nur etwas unsicher, weil sie Dich gestern einfach verlassen hat. Sie hat sich über Deine Jagd erschreckt, als Du den Hirsch gehetzt hast, weil sie das selber noch nie erlebt hat, welche Gefühle das wecken kann. Und nun traut sie sich nicht, wieder Kontakt zu Dir aufzunehmen, weil sie befürchtet, Dich damit verletzt zu haben. -
Dafür hat sie dann seit gestern auch den Kontakt zu mir und zu Græðarinn aufgenommen. Ein schönes, intensives Geschenk, dass euch so besonders verbindet. Mit mir und ihrem Bruder kann sie nur die Empfindungen teilen, aber mit Dir kann sie auch Gedanken austauschen, wie sie mir gesagt hat." -
Ich atme auf - sie hat meine Mordlust und den Blutdurst nicht mitbekommen.
„Ein Glück, dass sie nicht länger dabei war - den Blutdurst und die Lust am Töten, die ich dabei gefühlt habe, haben mich hinterher selber sehr erschreckt, obwohl Eldflóð mich etwas vorbereitet hatte. Besonders, weil ich es genossen habe und am liebsten sofort wieder machen möchte, wenn ich nur daran denke. -
Ich hoffe nur, dass ich es beim nächsten Mal besser vor Ihr verbergen kann. - Ich gehe ihr mal ein Stück entgegen."
Wir hatten Manvinkona nicht in unser Gespräch mit einbezogen. Fjörgyn nickt ermunternd und ich transformiere mich, um als Anthro der Kleinen entgegenzugehen. Ich rede lieber in dieser passenden Größe mit ihr und war ja nicht viel kleiner, als wir uns kennengelernt haben. Als sie sieht, dass ich ihr entgegengehe, kann ich erkennen, dass sie tief durchatmet - 'nun kommt er auch noch...' - Mädel, das wird halb so wild...
Ein paar Schritte weiter, stehen wir uns gegenüber. Sie sieht mich nur halb an.
„Hallo Eldingar." sagt sie leise. -
„Bist Du mir böse?" frage ich zurück.
Jetzt sieht sie mich doch ganz an und sagt verwundert:
„Ich? - Nein, aber ich dachte, Du?" -
Ich fordere Sie mit einer Kopfbewegung auf, sich mit mir an den Teich zu setzen. Fjörgyn bleibt zurück und sieht uns leicht lächelnd zu.
„Kleine Schwester," beginne ich, als wir beide uns gegenüber am Teich sitzen. „warum sollte ich Dir böse sein?" -
„Weil ich Dich einfach so alleingelassen habe..." -
„Deswegen bin ich Dir doch nicht böse - ich habe da einfach vergessen, Dich zu warnen und als es soweit war, konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an die Jagd."
Soll ich Ihr die ganze Sache sagen? Vermutlich ist es besser, irgendwann wird es ja wieder passieren.
„Ich habe sogar befürchtet, dass ich Dich damit so erschreckt habe, dass Du mir Böse bist." -
Sie sieht mich verdutzt an.
„Ja, ich habe mich da schon erschreckt, aber ich bin Dir deswegen doch nicht böse. Eigentlich habe ich mir ja schon gedacht, dass jagen für die meisten etwas anderes ist, als für Græðarinn. Und Mama hat es mir auch erklärt. -
Nur habe ich mich dann nicht getraut, wieder zu Dir zu kommen, weil ich Angst hatte, Du willst mich nicht mehr." -
Ich breite meine Arme aus.
„Doch, natürlich will ich Dich immer noch bei mir haben - Du hast mir die ganze Zeit gefehlt."
Sie fällt mir so mit Anlauf um den Hals, dass ich fast umfalle. Und gleich spüre ich auch wieder Ihre Anwesenheit in mir.
„Trotzdem bin ich eigentlich auch ganz froh, dass Du Dich schon so früh zurückgezogen hast. Denn das, was ich dann während der Jagd erlebt und gefühlt habe, hat mich hinterher selber erschreckt, besonders, weil ich das hetzen und töten so intensiv und ... gerne erlebt habe, dass ich es wieder machen möchte." -
Sie löst die Umarmung etwas und sieht mich an.
„Du hast den Hirsch gerne getötet?" -
„Ja, ich hätte es von mir nicht gedacht, aber das Erleben der Todesangst des Hirsches und sein Sterben - das ist so ein aufregendes, intensives und - für den Jäger - gutes Gefühl. Ja, ich muss gestehen, ich habe ihn gerne getötet." -
Sie umarmt mich wieder fest.
„Mmmm - ich weiß nicht, ob ich das so miterleben möchte, wenn Deine Beute stirbt." -
„Wir können ja vereinbaren, dass ich Dich warne und Du Dich dann für eine Stunde oder so zurückziehst. Dann sollte alles vorbei sein und Du kannst wieder zu mir kommen. Ich will eigentlich auch nicht jeden Tag so jagen, das ist auch für mich etwas erschreckend, dass es mir soviel Freude bereitet, ein Tier zu töten." -
Sie nickt.
„Ja, lass uns das so machen."
Dann grinst sie mich an und leckt mir mal wieder das Gesicht, froh, dass alles geregelt ist. Mir fällt dabei was ein.
„Sag mal Schwester, wenn ich so dran denke, wie der Hirsch geschmeckt hat, als ich ihn ergriffen hatte ... das ist vielleicht eine komische Frage, aber Du hast mich ja auch abgeleckt, als ich noch ein Mensch war... wie schmeckt so ein Mensch eigentlich?"
Ich grinse.
„Ich will keinen jagen, ich bin einfach nur neugierig - und mir irgendeinen Menschen greifen um ihn mal abzulecken, könnte für ihn etwas beängstigend sein..."
Sie grinst mit.
„Du hast gut geschmeckt. Richtig gut. Nicht nach Essen, jedenfalls für mich. Aber ich mag den Geschmack und Geruch von Menschen. - Vielleicht knabbere ich mal einen an..."
Sie kichert, als sie meinen Blick sieht.
„Nee, natürlich nicht. - Aber komisch, Du warst wirklich lecker. - So ein bisschen ist da übrigens immer noch zu schmecken. Auch wenn Du gleichzeitig ein bisschen wie Mama schmeckst - und dann noch irgendwie nach Drache, aber anders." -
Das Menschen für einen Drachen gut schmecken macht mich dann doch ein wenig besorgt. - Nicht wegen Manvinkona, aber bei anderen...?
„Na hoffentlich haben die anderen Drachen noch nicht an Menschen genascht, sonst gibt es irgendwann noch ein Problem, Menschen sind meistens ja eine leichtere Beute, als ein Hirsch oder so..."
Jetzt wird auch sie ernst.
„Meinst Du, das könnte passieren?" -
„Ich glaube kaum, dass einer der großen Hüter das machen würde - aber bei den anderen... Hoffentlich nicht - ich will nicht deswegen gegen Drachen kämpfen müssen." -
„Und wenn - die haben doch keine Chance gegen uns." -
Was meint sie damit? Ich sehe sie verwirrt an.
„Keine Chance gegen uns...?" -
Sie zuckt die Schultern.
„Ich weiß es auch nicht, ist mir gerade wieder eingefallen. - Heute Nacht habe ich von Erce geträumt und sie hat mir auch gesagt, dass Dein jagen normal ist. Und dass wir beide zusammen kämpfen werden - Irgendwann einmal." -
Das hatte ich gestern auch so ähnlich vermutet. Hatte Erce auch mir diese Information irgendwann gegeben?
Ich drücke sie noch mal und lecke ihr auch ein paar mal über die Nase.
„Mmm, du würdest bestimmt auch gut schmecken... rawrrr." -
Sie boxt mich in die Seite.
„Ich kratze und beiße Dich den ganzen Hals runter." faucht sie grinsend.
„Aber bitte erst morgen, heute habe ich keine Kraft mehr, das wieder zu heilen."
kommt Græðarinns Stimme von hinten. Ich drehe mich um und sehe ihn langsam auf uns zukommen. Er sieht recht müde aus.
„Was ist passiert?"
Er winkt ab und transformiert sich zum Anthro bevor er sich neben uns ins Gras fallen lässt.
„Es hat einen Erdrutsch gegeben und hat einige Dörfer der Menschen getroffen. Mom und ich haben dort geholfen, sie ist schon früher wieder hierher geflogen und ich habe noch Verletzten geholfen - aber nun bin ich völlig ausgelaugt. Würdest Du mir bitte ein wenig zu Essen jagen? Ich fühle mich jetzt dazu nicht in der Lage." -
„Natürlich. Ich bin gleich wieder da."
Manvinkona hat mich schon losgelassen und ich schwinge mich nach wenigen Schritten in die Luft.
Über dem Tal nach unten kreisend, habe ich schnell ein Rudel Rehe ausgemacht und mir eine ältere Ricke, die kein Kitz führt und auch nicht mehr sehr kräftig wirkt, ausgesucht. Manvinkonas Gedanken kann ich beruhigen, da ich es schnell machen will.
Wenig später bin ich weit genug unten, um meine Beute mit einer kurzen Entladung zu töten, bevor sie überhaupt merkt, was passiert. Das Rudel lässt sich selbst durch meine Landung kaum verschrecken, nach ein paar Sprüngen bleiben sie schon wieder stehen.
Für das knapp 30kg schwere Tier transformiere ich mich nicht erst, sondern schleppe es in meiner Anthro-Form wieder nach oben. Das kostet zwar ein wenig Kraft, aber es geht doch recht gut.
Kaum 20 Minuten nach meinem Start bin ich wieder über der Wiese. Græðarinn sitzt noch in seiner Anthro-Form dort und Fjörgyn ist bei ihm, wie üblich als Feral. Ich lande und Græðarinn lächelt mich dankbar an.
„Danke Eldingar, das hilft mir jetzt wirklich." -
„Gerne, kein Problem. - Kann ich bei dem Unglück noch irgendwie helfen?"
Fjörgyn sieht ihren Sohn an, der aber nur mit den Schultern zuckt.
„Lass uns einfach noch einmal rüberfliegen. Vielleicht gibt es ja noch etwas, was getan werden muss, damit nicht noch etwas passiert." sagt sie zu mir.
Ich nicke bestätigend.
Wir wechseln noch ein paar Worte mir Græðarinn und Manvinkona und starten dann. Nur kurz in der Luft, sieht Fjörgyn mich an und fragt:
„Soll ich Dich mitziehen? Ich denke, ganz so schnell wirst Du so nicht sein..."
Da erst fällt mir ein, dass ich immer noch in der Anthro-Form bin. Ich gehe in den Gleitflug und transformiere mich. Jetzt komme ich auch problemlos mit Fjörgyn mit - vorher musste ich doch etwas härter arbeiten. Der Tag bei Eldflóð als Anthro hat mich doch etwas beeinflusst und die Größe ist mir irgendwie doch gewohnter.
„Eine Transformation im Flug habe ich auch noch nicht gesehen."
meint Fjörgyn mit leichtem Staunen.
„Aber wir machen das ja überhaupt nur selten. Nur Eldflóð lebt ja privat häufig so - und Græðarinn hat eine Neigung dazu, seit Manvinkona geschlüpft ist. Du unterstützt ihn nun darin, da Dir das ja nichts ausmacht." -
„Man kann sich schon daran gewöhnen, so groß zu sein - aber nach kurzer Zeit erscheint mir die Anthro-Größe einfach wieder normaler." entschuldige ich mich. -
„Mache Dir darüber keine Gedanken. Ich habe nichts dagegen und manchmal transformiere ich mich ja auch. Nur ist es für mich eben sehr ungewohnt, so klein zu sein und auf zwei Beinen zu gehen. Umgekehrt muss es für Dich sehr merkwürdig gewesen sein, plötzlich so groß und vierbeinig zu sein."
Ich nicke.
„Ja anfangs schon, aber es ging doch überraschend schnell - da hatte Erce wohl ihre Hand im Spiel." -
„Schon möglich. - Wir sind gleich da. Dort hinten ist der Felssturz." Sie zeigt nach vorne.
Es ist wohl noch über ein Kilometer weg, aber ich kann deutlich die frischen Spuren am Berghang sehen. Ein paar Schwingenschläge weiter sind wir schon über dem Abbruch. Ich kann am Berg keine weiteren Schwachstellen erkennen und auch Fjörgyn befindet es jetzt als sicher. Auch im Umfeld scheint es keine weitere Gefahr zu geben.
Ich konzentriere mich auf den Schuttkegel. Der Wald am Berghang wurde im Bereich des Abganges komplett wegrasiert und im Tal liegt jetzt ein wilder Mix von Felsbrocken, Geröll und Baumstämmen. Das wird sich sicher noch eine ganze Zeit bewegen, ehe es sich gesetzt hat, aber eine große Gefahr ist auch hier nicht mehr gegeben. Soweit ich das sehen kann, ist auch die Siedlung noch glimpflich davongekommen. Der Schuttkegel hat nur den Rand der Siedlung gestreift und einige Gebäude beschädigt.
Auf der Seite des Felssturzes haben offenbar keine Gebäude gestanden, da dort der Fluss dicht am Wald entlangläuft. Fjörgyn informiert mich beiläufig, dass zwei Gebäude zerstört wurden, wobei drei Menschen umgekommen sind. Es gab aber eine Reihe Verletzter, um die Græðarinn sich gekümmert hatte.
Eine direkte Gefahr ist hier demnach nicht zu erwarten, aber der Schuttkegel blockiert nun den Fluss, der bereits beginnt sich aufzustauen. Je nachdem, wie dicht die Sperre ist, könnte über eine größere Strecke der gesamte Talboden zu einem See werden und so die Siedlung und viele Felder überfluten. Während wir noch über dem Tal kreisen, frage ich Fjörgyn.
„Der Schuttkegel wird den Fluss auf jeden Fall aufstauen. Das kann ein stabiler See werden, aber auch früher oder später brechen und eine Flutwelle verursachen. Aus Sicht der Menschen hier wäre das Aufstauen eine Katastrophe, sie müssten ihre Siedlung aufgeben und alles neu aufbauen und werden vor allem einen Großteil ihrer Ernte verlieren und hungern über den Winter. -
Aus Sicht der Natur ist es dagegen ein normaler Vorgang und sollte der See stabil sein, nicht einmal nachteilig.
Ich tendiere dazu, den Menschen zu helfen und die Blockade zumindest teilweise zu beseitigen. Aber ich denke da auch noch sehr wie ein Mensch. Wie ein Erddrache dazu steht, weiß ich nicht - Außerdem ist es Dein Reich, ich möchte Dir da nicht reinreden und werde Deinen Entschluss natürlich akzeptieren."
Fjörgyn überlegt nicht lange.
„Wir haben schon angefangen, den Menschen hier zu helfen. Sie fügen sich auch sehr gut in die Natur hier ein. Ein Damm würde Laichplätze einiger wichtiger Fischarten abschneiden. Und wenn er bricht, verursacht die Flutwelle weitere Störungen. Ich bin dafür, das Hindernis zu beseitigen. - Wenn ich das mache, wird es allerdings recht lange dauern, das Bewegen von Felsen braucht seine Zeit. Anders als in der belebten Natur kann ich nur indirekt Einfluss auf sie ausüben. Könntest Du vielleicht die großen Felsen ein wenig ... bearbeiten...?" -
Ich grinse.
„Klar, lass uns das ganze mal vor Ort anschauen. - Ich habe so eine Ahnung, dass ich da sogar etwas mehr machen kann, als nur 'bearbeiten'."
Mit 'bearbeiten' meint sie sicher, dass ich die großen Felsen brechen, zerkleinern soll. Wie den oben auf ihrer Wiese, als ich erstmals meine Fähigkeiten entdeckte.
Wir landen direkt unterhalb des Schuttkegels am jetzt trocken gefallenen Flusslauf. Nur einige Wasserlachen stehen noch zwischen den Kiesbänken des Flussbettes. Auch hier ist es ein Gemenge von Fels, Geröll und mehr oder weniger zertrümmerten Bäumen.
Und gerade das frische Holz zwischen und unter den Felsen kommt mir sehr entgegen. Einen Felsen kann ich zwar mit einer starken Entladung spalten, aber der Schutt bleibt liegen und macht die Sperre nur dichter. Das Holz, bzw. das Wasser darin, aber wird schlagartig verdampfen und das umliegende Geröll weg sprengen. Ich nicke Fjörgyn zu, dass ich da einiges machen kann.
Zwischenzeitlich sind die Menschen der Siedlung, die uns schon in der Luft beobachtet hatten, näher gekommen und drei Männer kommen auf uns zu. Obwohl sie offenbar nicht direkt Angst vor uns haben, kann ich doch ihr Unbehagen deutlich spüren. Einige Schritte von uns entfernt bleiben sie stehen und verneigen sich vor uns. Ein älterer Mann spricht uns an.
„Meine Lady Fjörgyn, mein Lord Drache, wir danken für Euren Besuch. - Lady Fjörgyn, wir sind Euch sehr dankbar für Eure Hilfe bei diesem Unglück, besonders auch für die Hilfe von Lord Græðarinn."
Während Fjörgyn mit einem Kopfnicken dankt, stockt er und sieht seine Begleiter an. Alle Drei sinken auf die Knie.
„Wir wagen nicht, Euch um einen weiteren Gefallen zu bitten, aber..." -
Fjörgyn wirft mir einen kurzen Blick zu und erwidert:
„Wir, Lord Eldingar und ich, sind gekommen, um zu prüfen, ob ein weiterer Felssturz bevorsteht. Von dort besteht keine Gefahr, aber wir haben die Gefahr durch die Aufstauung des Flusses erkannt. Lord Eldingar ist bereit, diese zu beseitigen."
Die drei werfen sich vor mir nahezu in den Dreck.
„Mein Lord Eldingar, Herr - wir sind Euch zu großem Dank verpfl..." -
Auf mein leicht wütendes Schnauben zucken die drei zusammen und der Alte verstummt erschreckt.
„Schon gut, ich wollte euch nicht erschrecken - aber hört auf damit..." sage ich zu ihm.
„... Lady Fjörgyn hat mich darum gebeten, weil sie euch als dessen Wert erachtet, das ist Grund genug. - Sorgt dafür, dass sich die Menschen aus der Umgebung dieser Sperre zurückziehen. Ich werde die Felsen hier sprengen, das wird aber dazu führen, dass Trümmer herumfliegen. Dabei können auch noch Schäden an den Gebäuden entstehen, da ich nicht kontrollieren kann, wohin die Bruchstücke fliegen." -
Der Alte hat sich inzwischen aufgerichtet.
„Entschuldigt, Lord Eldingar, dass ich Euch verärgert habe. Wir werden uns sofort an den Waldrand zurückziehen, dort haben wir einige starke Unterstände, wo wir Schutz suchen können. - Macht Euch keine Gedanken über Schäden an den Gebäuden, das ist schnell repariert."
Die drei drehen sich um und machen sich schnell auf den Weg zurück zu den anderen Menschen. Die ganze Gruppe bewegt sich darauf zum Wald, während einige noch die Siedlung auf Nachzügler durchsuchen.
„Du magst die Unterwürfigkeit uns gegenüber nicht so gerne?" spricht Fjörgyn mich an. -
„Sie sollen uns respektieren und als freundschaftliche Ratgeber sehen - und ein wenig Dankbarkeit, wenn wir helfen, ist sicher angebracht. Aber unterwürfig brauchen sie sich mir gegenüber nicht verhalten - ich mag das nicht und im Zweifel führt das nur zu unnötigen Spannungen, weil die Menschen sich so nur noch mehr unterlegen fühlen und schnell heimlichen Widerstand entwickeln."
Sie sieht mich nachdenklich an.
„Besonderen Wert habe ich nie darauf gelegt, es nicht gefordert, aber auch nie abgelehnt. Du meinst also, es könnte irgendwann einmal problematisch werden, auch wenn sie es freiwillig tun?" -
„Wenn sie es von sich aus machen, zeigen sie schon damit, dass sie sich weit unterlegen fühlen und so versuchen uns freundlich zu stimmen, damit wir ihnen nichts tun. Und das kann irgendwann zu einer heimlichen Feindschaft führen, auch wenn wir dazu keinen Anlass geben - einfach nur aus Furcht vor uns und weil Menschen es nicht mögen, Fremden gegenüber besonders freundlich sein zu müssen, nur um nicht bestraft zu werden. Selbst wenn es nicht verlangt wird."
Fjörgyn überlegt.
„Ja, es klingt richtig. Am besten komme ich auch mit den Menschen zurecht, die sich nicht ängstlich unterwürfig zeigen. - Das machen die Menschen hier sonst auch nicht so, Du bist ihnen eben fremd und sie wissen nicht, wie sie Dich behandeln sollen, da sind sie lieber vorsichtig."
Ich lächele sie an und weise mit einer leichten Kopfbewegung auf einen Menschen hin, der zu uns gelaufen kommt.
„Alles klar - da kommt einer, vermutlich sind sie alle in Deckung gegangen." -
Sie schaut auch in die Richtung. Es ist ein junger Mann, der wohl wegen seiner Laufschnelligkeit zu uns geschickt wurde. Jedenfalls ist er kaum außer Atem, als er uns anspricht.
„Verehrte Drachen. Alle aus der Siedlung sind in Deckung gegangen. Ihr könnt also, ohne uns zu gefährden beginnen." -
Das klingt ja schon anders. Ich nicke ihm zu, aber er läuft nicht zurück.
„Äh, Lord Eldingar... dürfte ich hierbleiben und Euch zusehen, ich bin neugierig, einen Drachen bei so etwas zu erleben, es wird sicher sehr eindrucksvoll sein..."
Auf mein breites Grinsen wird er doch etwas unsicher - wenn ein so großer Drache sein Gebiss zeigt... - Fjörgyn beruhigt ihn.
„Er will Dich nicht verspeisen - Wenn Du willst, kannst Du hier bleiben."
Ich bemühe mich, das Grinsen aus dem Gesicht zu bekommen und nicke. Trotz Fjörgyns recht kalter, gleichgültiger Stimme, entspannt der junge Mann sich sichtlich wieder.
„Erschreckt bitte nicht - ich werde hier ein wenig Feuerwerk veranstalten." warne ich die Beiden.
Um die Felsbrocken zu spalten und die Baumstämme zu zertrümmern werde ich einiges an Energie einsetzen müssen, sonst bleibt das alles hier liegen und müsste langwierig weggeschafft werden. Also öffne ich meine Speicher und beginne mich aufzuladen. Wieder durchströmt mich die Energie, erfüllt mich mit diesem erregenden Gefühl.
So sehr ich auch die Jagd genossen habe, sie mich erregt hat - gegen das hier, ist das nur ein laues Lüftchen. Wäre da nicht dieser Kick der Todesangst meiner Beute und der Geschmack des lebenden Blutes... - egal. Jetzt genieße ich die prickelnde Energie, die in jeder Faser meines Körpers pulsiert. Und immer weiter steigt die Spannung in mir. Ich halte sie nicht zurück, lasse sie fließen, fühle mich wunderbar dabei. Die Energie wabert über meinen Körper, die Entladungen zucken zwischen mir und dem Boden.
Ohne darüber nachzudenken habe ich mich aufgerichtet und schwebe in einigen Metern Höhe über dem Boden - bereit, meine Entladungen freizulassen. Fjörgyn sieht jetzt wieder das Bild vor sich, dass sich auch in mir eingebrannt hat. Nur mit dem Unterschied, dass jetzt kein wütender Drache vor ihr schwebt. Ich schaue kurz zu ihr.
„Es kann losgehen." sage ich mit einem leichten Lächeln.
Der Mensch versteckt sich hinter Fjörgyn - mit reichlich Sicherheitsabstand zu ihr - und starrt mich entgeistert an.
Zuerst nehme ich mir die großen Brocken vor. Ich weiß nicht warum, aber ich erkenne, wohin ich zielen muss, um die Felsen optimal zu spalten. Mit einigen Entladungen aus meinen Händen sind die nach und nach in kleinere Stücke zerbröselt. Und jetzt jage ich eine kräftige Dreierentladung aus meinem Rachen und den Händen in die Basis des Gerölldammes vor mir. Wie erwartet explodieren die Holzteile mit einigen lauten Explosionen und schleudern eine Menge des Gerölls heraus.
Fjörgyn und mich schütze ich mit den Energiewirbeln, die ich vor uns aufbaue. Direkt danach meine ich etwas zu hören, dass ich im herunter prasselnden Geröll aber nicht zuordnen kann.
Der erste Schritt ist getan, ich bearbeite jetzt die nächsten großen Brocken und zerkleinere sie. Und dann höre ich es wieder, ein unterdrückter Ruf, eher ein Schrei - sehr leise und wie hinter einer Wand. Sofort unterbreche ich meine Tätigkeit und horche. Ja da ist etwas, ich bewege mich langsam, immer noch schwebend, über den Schuttkegel und habe alle Sinne offen. Einige Meter weiter, direkt neben meiner geplanten Strecke glaube ich die Quelle zu haben und hier dringt auch ein Geruch in meine Nase, der von einem Menschen kommen müsste.
Fjörgyn ist aufmerksam geworden und ist mir gefolgt. Wir wechseln nur einen Blick und sie landet vorsichtig und versucht auch, ob sie etwas feststellen kann. Nach einer Minute bestätigt sie.
„Hier liegt ein Mensch - und der lebt noch."
Wieder sehen wir uns kurz an. Ich lande auch und beginne die größeren Felsbrocken zu zertrümmern. Wenn ich meine Hände darauflege und dann die Energie durch sie jage, kann ich sie sehr gezielt zerkleinern. Nach und nach graben wir uns vorsichtig an einem sehr großen Felsen entlang zu einem Hohlraum vor, der durch einige Baumstämme neben diesem Felsen entstanden ist.
Und hier wird auch der Geruch sehr deutlich und wir können leise Atemgeräusche hören. Offenbar ist der Mensch bewusstlos geworden. Dummerweise können wir nicht weitermachen ohne das zusammenbrechen des Hohlraumes zu riskieren. Nur ein Loch, durch das ein Mensch passt, konnten wir schaffen. Ich sehe mich nach dem jungen Mann um, der noch da unten steht und uns beobachtet und winke ihn zu uns. Schnell kommt er hochgeklettert.
„Junger Mann, Du könntest einem der Euren helfen, wir haben hier noch einen lebenden Menschen gefunden - allerdings ist das Herunterklettern nicht ganz ungefährlich."
Er überlegt nicht lange.
„Natürlich - dort in das Loch?"
Schnell, aber vorsichtig klettert er hinunter und verschwindet in dem Hohlraum. Der scheint recht geräumig zu sein, denn er klettert dort recht weit rein, kein Wunder, dass wir den Verschütteten nicht sehen konnten. Dann hören wir einen Schrei, der gleichzeitig Schreck und Freude ausdrückt. Nach einiger Zeit, in der er den Geräuschen nach offenbar versucht, den Verschütteten herauszuholen kommt der junge Mann wieder zurück zum Loch.
„Lady Fjörgyn, Lord Eldingar - es ist meine kleine Schwester, die wir für Tot hielten, ich kann sie nicht befreien, ihr Fuß ist eingeklemmt, bitte, Ihr müsst mir helfen."
Auch das noch, er ist der Bruder der Verschütteten. Ich sehe Fjörgyn an, sie verdreht die Augen und schüttelt leicht den Kopf. Mit einem Seufzer sagt sie leise.
„Ich kann Dich ja doch nicht davon abhalten. Also los." -
Schnell habe ich mich transformiert. Meine Energie kapsele ich ein, damit ich niemanden einen Schlag versetze. Fjörgyn hat den Jungen inzwischen davon überzeugt, den Hohlraum wieder zu verlassen, damit ich dort Platz habe und sich zwischen uns und den anderen Menschen am Waldrand gestellt. Als ich als Anthro vor ihm stehe, starrt er mich mit offenem Mund an.
„Das... Ihr..."
Fjörgyn zischt ihn an.
„Du täuscht Dich. Du siehst nichts ungewöhnliches."
Er macht den Mund zu - starrt mich aber immer noch an. Ich lasse mich mit den Füssen voran in den Hohlraum gleiten, das Loch ist zum Glück groß genug, dass ich gut durchkomme, ohne mit den Schwingen hängen zu bleiben. Im Hohlraum ist es recht eng, aber er zieht sich ein ganzes Stück zwischen zwei starken Baumstämmen entlang. Und dort ein Stück weiter liegt das Mädchen. Ihr linker Fuß ist zwischen dem Baumstamm und einem Felsbrocken eingeklemmt, scheint aber nicht schwer verletzt zu sein, da gerade dort ein wenig Luft ist. Erce scheint über das Mädchen zu wachen.
Am einfachsten scheint mir, den Felsen zu zertrümmern. Ich lege eine Hand auf den Stein und mit einigen gezielten Entladungen zerkrümelt er. Vorsichtig ziehe ich den Fuß der Kleinen heraus. Das heißt, so klein ist sie eigentlich gar nicht mehr, sie wird so 13 oder 14 sein. Durch die Bewegungen kommt sie wieder zu sich und sieht mich mit großen Augen an.
„Ruhig, gleich bist Du hier raus" sage ich zu ihr.
Sie nickt nur.
Vorsichtig ziehe ich sie zur Oeffnung. Zwar scheint sie Schmerzen zu haben, aber nickt nur wieder, als ich sie ansehe. Unter der Oeffnung lege ich sie hin.
„Ich klettere jetzt raus und ziehe Dich dann hoch, das ist am einfachsten. Einen Moment noch, dann bist Du wieder an der Luft."
Schnell bin ich aus dem Loch heraus und ziehe sie dann ebenfalls heraus. Sie blinzelt im Licht, sieht aber jetzt doch sehr erleichtert aus. Ich halte sie in den Armen und ehe ich mich umsehen kann, hat Fjörgyn mich schon gegriffen und hebt so uns beide hoch. Mit einem schnellen Schwung gleitet sie mit uns nach unten auf die Wiese, wo der Bruder von der Kleinen wartet. Ich lege sie ins Gras, nach einer schnellen Untersuchung scheint sie keine ernsthaften Verletzungen zu haben, auch Fjörgyn kann nichts feststellen.
„Hallo Sergej" sagt sie leise zu ihrem Bruder, der neben ihr hockt.
„Sie hat zwar noch etwas Schmerzen, aber wird bald wieder auf den Beinen sein." sage ich zu ihm.
Er springt auf, steigt vorsichtig über seine Schwester und fällt mir um den Hals. Da ich neben ihr im Gras hocke, bin ich auch nicht größer als er. Mit einem Seitenblick auf Fjörgyn sehe ich, dass sie grinst, das aber schnell wieder unterdrückt.
Nach einem Moment lässt Sergej mich wieder los.
„Bitte entschuldigt, Lord Eldingar. Aber im Namen meiner Eltern, meiner Schwester, die sicher gerne selber machen möchte, und von mir musste ich es einfach tun. Ich hoffe, Ihr nehmt es einem Menschen nicht übel, dass..." -
„Zzzt. - mir ist eine ehrlich gemeinte Umarmung lieber, als stundenlanges unterwürfiges Dankgeschwafel."
unterbreche ich ihn.
Nun streckt mir die Kleine auch die Arme entgegen, also beuge ich mir zu ihr hinunter und auch sie umarmt mich.
„Danke. Es war so finster und..." -
„Alles ist jetzt in Ordnung. - Wie heißt Du eigentlich?" -
„Raissa" antwortet sie leise und drückt mir noch schnell einen Kuss auf die Nase, ehe sie mich loslässt.
Ihr Bruder grinst jetzt verschmitzt.
„Das können wohl nicht viele Menschen von sich sagen, dass sie einen Hüter Erces umarmt haben. - Wir haben aber noch nie gehört, dass ein Großer Drache sich in die Gestalt eines Menschendrachen gewandelt hat. Ihr werdet dadurch sicher eine hohe Achtung bei den Menschen erfahren, dass Ihr es für die Rettung von Raissa getan habt. -
... Aber von uns wird es niemand erfahren, wenn Ihr es wünscht."
Er hat den tiefen Atemzug von Fjörgyn richtig gedeutet. Sie antwortet für mich.
„Es ist in unserem Volk nicht üblich, dass diejenigen, die es vermögen, sich anderen so zeigen. Wir wären euch dankbar, wenn Ihr es nicht jedem erzählt. Auch wenn ich weiß, dass Lord Eldingar da nicht ganz so streng denkt."
Mit 'nicht jedem erzählen' und dem Hinweis, das es mich nicht so stören würde, hat sie das Hintertürchen offengelassen, das Sergej offenbar auch entdeckt hat, wie ich seinem Blick entnehmen kann. Über kurz oder lang werden zumindest die Führer der Menschen hier wissen, dass es einen Großen Drachen gibt, der für das Leben eines Menschen seinen Stolz auch mal vergessen kann.
Fjörgyn schnappt sich jetzt die beiden um sie zu den anderen zu bringen, ich transformiere mich zurück und mache weiter, den Schuttkegel zu durchbrechen. Nun weiß ich, wie es am besten geht und komme schnell voran. Als Sie zurückkommt, bin ich schon zu dreiviertel durch - hier ist jetzt mehr Wasser enthalten, das vom Fluss eingesickert ist und dadurch werden die Dampfexplosionen immer heftiger und es geht dadurch immer schneller voran.
Nach drei weiteren Sprengungen ist nur noch ein schmaler Rest von der Barriere übrig. Den beseitige ich mit einer massiven Entladung, ohne große Vorbereitungen. Dazu ziehe ich mich sicherheitshalber auch noch etwas zurück und lasse dann die Entladung frei. Mit einem lauten Knall fliegen die Felsen zur Seite und der Fluss stürzt rauschend durch die Lücke zurück in sein altes Bett. Die von mir aufgebauten Energiefelder zum Schutz von Fjörgyn und mich brauche ich nicht wirklich, die Brocken kommen hauptsächlich seitlich runter.
„So, das wäre geschafft." sage ich erleichtert zu ihr. -
„Sehr gut. Komm bitte noch mit zu den Menschen, sie wollen sich noch einmal bei Dir bedanken." -
„Ja gut, mache ich. Flieg bitte schon vor, ich sehe noch einmal nach, ob es zu größeren Schäden gekommen ist durch Felsen." antworte ich.
Sie nickt und schwingt sich in die Luft.
Da ich immer noch in den Magnetfeldern schwebe, nutze ich das um langsam über die Gebäude am Rand des Schuttkegels zu fliegen und nach weiteren Schäden zu suchen. Es liegt zwar eine Menge kleiner Brocken und Splitter herum, aber ernsthafte Schäden kann ich nicht erkennen. Also bewege ich mich schnell dorthin, wo ich Fjörgyn sehe. Dort lasse ich mich zu Boden sinken und baue die Energie in mir ab, verkapsele sie wieder in meinen Speichern.
Schnell stehe ich wieder normal neben Fjörgyn und sehe zu den Menschen, die jetzt alle um einige stabile Speicher stehen.
Noch bevor der Alte sich zu uns in Bewegung setzt, kommt schon Sergej in Begleitung einer Frau und eines Mannes in mittlerem Alter auf uns zu.
„Lord Eldingar, darf ich auch Euch meine Eltern vorstellen, Elena und Vadim."
Die beiden verbeugen sich. Ich deute ebenfalls eine Verneigung an.
„Ich freue mich, dass unser Zusammentreffen bei diesem Unglück doch unter einem guten Stern steht. Erce hält ihre schützende Hand über Raissa." sage ich zu ihnen.
Vadim räuspert sich und antwortet.
„Trotzdem sind wir Euch zu großem Dank verpflichtet. Was können wir für Euch tun - ich bin nur ein einfacher Schmied und Schwertfeger und meine Frau baut ein wenig Gemüse an, aber wir werden uns bemühen Euren Wunsch zu erfüllen."
Ich wehre ab.
„Nein, es ist gut. Eure Tochter hat mir bereits genug gedankt."
Sergej grinst im Hintergrund verschmitzt. Aber ich habe plötzlich einen Gedanken, den ich auszusprechen habe...
„Ich bitte euch nur darum, Raissa nicht aufzuhalten, wenn in einigen Jahren die Tochter von Lady Fjörgyn nach ihr ruft. Sie wird euch nicht genommen und euch oft besuchen können - aber sie hat eine Aufgabe zusammen mit Lady Sálleiðtogi zu erfüllen."
Fjörgyn sieht mich fragend an, sagt aber nichts. Elena antwortet mir.
„Natürlich, wenn Erce unserer Tochter eine Aufgabe zugedacht hat, werden wir sie gehen lassen."
Und Vadim ergänzt.
„Erce hat sie uns erhalten, da können wir nicht im Wege stehen. - Aber mir fällt gerade etwas ein, dass ich Euch geben möchte als Dank. Einen Moment."
mit diesen Worten läuft er zu einem in der Nähe stehendem Gebäude, das offensichtlich seine Schmiede ist. Nach wenigen Minuten kommt er mit einem mit einem Tuch verhüllten Gegenstand zurück.
„Lord Eldingar, zwar bin ich hier nicht mehr als Schwertschmied tätig, seit ich meiner Frau hierher gefolgt bin, aber meine Messer sind weit im Umkreis sehr begehrt und manchmal mache ich auch noch einmal ein Schwert - weil ich Freude daran habe und um es nicht zu verlernen oder um eine Idee zu verwirklichen."
Er beginnt den Gegenstand auszuwickeln.
„Dieses hier ist wohl mein bestes Meisterwerk bisher. Geschmiedet aus Stahl von einem Himmelsstein, den ich gefunden habe, zehn mal gefaltet, schlank, leicht und sehr schnitthaltig. Natürlich ist es für Euch viel zu klein und Ihr tragt solche Waffen nicht, aber es ist eines Drachens würdig. Ich bitte Euch, es als Zeichen unseres Dankes und zum Andenken anzunehmen."
Er hält mir das Schwert und einen Parierdolch entgegen. Mit den Fingerspitzen nehme ich vorsichtig das Schwert und ziehe es ein Stück aus der schlichten, aber fein gearbeiteten Scheide. Es ist einem frühen Rapier ähnlich, mit einem schön geformten Korb und einem mehrfachen Korbbügel. Die feine Damaszierung ist sehr schön herauspoliert.
Das ist tatsächlich ein Meisterwerk. Ich sehe ihn an - er ist ernsthaft gewillt, mir diese Waffen zu geben, als Dank für die Rettung der Siedlung und vor allem seiner Tochter.
„Ich danke Dir für dieses Geschenk. Ich erkenne die Meisterschaft, die diesem Schwert innewohnt und werde es in Ehren halten." sage ich zu ihm.
Er freut sich aufrichtig und wickelt Schwert und Dolch wieder in das Tuch und befestigt einen stabilen Lederriemen daran, mit dem ich das Paket an meinem Arm befestigen kann und überreicht es mir.
Fjörgyn weist darauf hin, dass wir jetzt aufbrechen müssen und wir verabschieden uns von den Menschen, die inzwischen alle nähergekommen sind. Wieder in der Luft spricht Fjörgyn mich nach kurzer Zeit an.
„Es ist noch früh, lass uns dort hinten auf der Bergwiese eine Pause machen - Du musst mir da etwas erklären..."
Ich stimme zu, weiß aber nicht, was ich ihr sagen soll, denn was sie wissen möchte, ist mir schon klar. Wir landen kurz darauf auf einer Almwiese. Und dann klappt mir fast der Unterkiefer runter - Fjörgyn transformiert sich zur einer Anthro.
Ich muss sie so verdutzt angestarrt haben, dass sie lacht.
„Nun komm schon - ich habe Dir doch gesagt, dass ich es manchmal mache. Und ich finde, Du solltest mich auch einmal so sehen, bevor Du in Dein Reich ziehst."
Das weckt mich wieder und ich transformiere mich auch. Ich stehe vor einer attraktiven, tannengrünen Anthrodrachin, deren Körperformen sogar für einen Menschen als weiblich zu erkennen sind.
Verrückt - ich habe in den letzten Tagen ein paar Menschenfrauen gesehen, bei denen ich früher sicher ein zweites Mal hingesehen hätte - jetzt lassen sie mich kalt. Und obwohl das Blut Fjörgyns in mir fließt und ich mich nicht sexuell angezogen fühle, finde ich sie sehr attraktiv.
Sie hat mein Kopfschütteln bemerkt.
„Was ist, gefalle ich Dir so nicht?" -
„Nein. - Doch, aber..." ich seufze und grinse verlegen. „... Ich habe nur gerade festgestellt, dass mich nach nur 5 Tagen als Drache Menschenfrauen schon nicht mehr interessieren - ich eine Drachenfrau aber sehr attraktiv finde, auch wenn es meine Mutter ist." -
Sie lächelt.
„Das ist doch von Vorteil, immerhin bist Du ja jetzt ein Drache." -
„Ja, natürlich. Es ist mir schon klar, dass ich jetzt nur zu einer Drachin eine sexuelle Beziehung haben kann - aber es erschreckt mich doch ein wenig, dass ich offenbar stärker von Erce manipuliert werde, als mir klar ist."
Fjörgyn wird ernst.
„Da sind wir schon beim richtigen Thema. Ich nehme an, das was Du vorhin über Manvinkona gesagt hast, kommt auch von Erce?"
Ich nicke.
„Ja. Denke ich jedenfalls. Ich wusste es plötzlich - und ich hatte es so auszusprechen. Ebenso dass ihr Erweckungsname Sálleiðtogi sein wird - nein, eigentlich jetzt schon ist." -
„Ralf - mach mir bitte keine Angst. Meine Tochter hat da noch zwei oder drei Jahre Zeit - mindestens." -
Ich sinke auf den Boden und hocke mit hochgezogenen Schultern, als ob ich frieren würde, so unwohl fühle ich mich dabei.
„Es tut mir leid Jörð, aber Deine Tochter ist sehr viel weiter, als wir alle denken. Auch wenn Sie Ihre Fähigkeiten noch nicht voll erkennt und sie auch noch genug Zeit hat, sie zu entwickeln und erproben."
Sie setzt sich mir gegenüber und sieht mich ernsthaft besorgt an.
„Was machst Du mit ihr...?"
Sie sieht meinen entsetzten Blick.
„Entschuldige, ich weiß, dass Du Sie nicht in Gefahr bringen würdest, aber... Du bist irgendwie der Schlüssel zu allem." -
„Ja, ich bin offenbar die zentrale Figur in Erces Spiel - wohl eine mächtige Figur mit großer Stärke, die Erce, oder diese Welt, zu schützen hat. Sálleiðtogi ist dann eine starke Unterstützerin, die aber nicht unbedingt in der ersten Reihe stehen muss. Und ihr alle, auch Du und Eldflóð sind weitere Figuren. So in der Art sehe ich das momentan.
Aber ich weiß nicht, was Erce mit mir machen wird, wenn das Spiel gespielt ist, die Gefahr vorbei ist. - Und das macht mir Angst. Ihr seid als Drachen geschlüpft, seid schon Jahrhunderte alt - euch wird nichts geschehen. Aber ich wurde in dieses Spiel hineingeworfen, mir wurde offenbar große Macht gegeben - aber wenn das Spiel vorbei ist, die Gefahr vorüber, was dann?
Ich habe Angst, dass Erce mir alles wieder nimmt und ich als unerwünschter Mischling in der Versenkung ende. Ohne Hoffnung und ohne Weg zurück in meine Welt. -
Entschuldige bitte, eigentlich wollte ich Dich beruhigen und nun belaste ich Dich mit meinen finsteren Gedanken."
Fjörgyn sieht mich liebevoll an, setzt sich neben mich und umarmt mich.
„Ralf, mein Sohn. Vertraue auf Erce, sie wird Dich nicht fallenlassen. Und selbst wenn es geschehen sollte, ich werde Dich immer als meinen Sohn sehen. Du wirst immer einen Platz bei mir finden, was auch geschieht. Und dass Manvinkona Dir immer zur Seite stehen wird, weißt Du besser als ich."
Eben diese letzten Worte durchfluten mich auch gerade mit der warmen Liebe von Manvinkona. Sie kann offenbar meine ausgesprochenen Gedanken inzwischen verfolgen, wenn sie es möchte.
Ich lege meinen Kopf auf Jörð s Schulter.
„Danke - euch beiden."
Sie hält mich weiter fest. Nach einer Weile geht ein Ruck durch ihren Körper.
„Weißt Du, ich habe jetzt Lust zu jagen. - So richtig jagen, wie Du gestern. Ich nehme ja gerne Rücksicht auf Græðarinn, aber manchmal fehlt mir das Erlebnis einer echten Jagd, das Erleben des Todes der Beute. - Lass uns das heute einfach mal machen. So, jetzt als Anthro, genauso wie Du gestern."
Ich sehe sie verwundert an.
„Wenn Du möchtest, natürlich gerne." -
„Und wie ich möchte, zudem als Anthro jagen - das habe ich schon über tausend Jahre nicht mehr gemacht. Aber heute habe ich wirklich Lust dazu." -
„So lange? Dann hast Du wohl wirklich selten die Anthroform angenommen. Græðarinn ist ja jünger als ich, jedenfalls hat er mir das gesagt."
Sie nickt.
„Ja, Du bist sozusagen mein Ältester, wenn auch erst seit 5 Tagen." grinst sie. „Und bevor Du vor Neugierde stirbst: ich bin Eintausendsechshundertvierunddreißig Jahre alt. Aber erst mein letzter Partner war der, mit dem ich Kinder haben wollte."
Irgendwie weiß ich, dass Drachenfrauen das sehr genau steuern können.
„Na dann, wenn Du nach so langer Zeit heute Lust darauf hast, wird es wohl am besten sein, wenn wir jetzt jagen gehen. Und so komme ich auch auf andere Gedanken."
stimme ich zu. -
„Na dann los."
Fjörgyn lässt mich los und steht auf. Ich schnappe mir das Schwert und folge ihr. Zuerst fliegen wir auf direktem Weg in Richtung ihrer Höhle und fangen dort in der Umgebung mit unseren Suchkreisen an. Nach kurzer Zeit entdecken wir ein größeres Hirschrudel auf einer großen Wiese und setzen in einem großen Bogen gegen die Windrichtung zur Landung an. Wir schleichen uns an die Wiese heran, die Tiere haben uns nicht bemerkt.
Fjörgyn will sich auf die Wiese schleichen - auch wenn Drachen ein komplexes Familienleben haben, sind sie nach außen doch eher Einzelgänger und jagen normalerweise immer alleine. Ich plane aber eine einfache Jagdtaktik, bei der wir uns die Hirsche gegenseitig zutreiben. Da sie hier zu den Seiten nicht so einfach wegkommen, weil die Waldränder optisch geschlossen sind, werden sie versuchen zu den offenen Enden zu flüchten. Stellen wir uns also da auf, können wir sie hin und her treiben und uns jeweils unsere Beute aussuchen. So ganz scheint sie den Sinn aber nicht zu verstehen.
„So jagen Menschen? Warum so umständlich?" fragt sie. -
„Menschen sind nicht so schnell und können sich nicht so gut anschleichen an eine Beute. Also arbeiten sie zusammen und treiben sich die Tiere zu, um so genügend Beute zu machen."
Sie schüttelt den Kopf.
„Du bist kein Mensch mehr. Denke mehr wie ein Drache."
Diesen harten Unterton habe ich bei ihr so noch nie gehört - ist das ihr Jagdfieber?
„Und wie denkt ein Drache? Ihr habt mir diesen Körper gegeben - aber meine Seele dabei vergessen." gebe ich mindestens ebenso kalt zurück.
In ihrem Blick liegt noch die altbekannte Wärme.
„Das ist doch schon nicht schlecht..." sagt sie mit einem leichten Lächeln. „... aber ernsthaft - Du warst bisher nur mit uns zusammen, mit Deiner Familie - auch Eldflóð gehört mit dazu, er sieht sich da sehr in einer Verantwortung für Dich und versucht daher Dir gegenüber möglichst menschlich zu agieren. -
Aber Du wirst jetzt von uns getrennt sein und mit Dir fremden Drachen zu tun haben, da ist es besser, wenn Du dann mehr denkst und agierst, wie wir. Auch gegenüber den Menschen, solltest Du mehr wie ein Drache handeln, selbst wenn es Dir fremd erscheint."
Ich sehe sie zweifelnd an.
„Ich weiß nicht, wie ein Drache wirklich denkt und handelt. Du sagst mir, ihr habt euch mir angepasst um es mir einfacher zu machen, dafür bin ich euch auch sehr dankbar - aber ich weiß dadurch auch nicht so wirklich, was von mir als Drache erwartet wird." -
„Agiere mehr nach Deinen Instinkten, überdenke dabei was Du tust, aber denke nicht soviel nach. Ein Drache lebt viel mehr im jetzt und heute, handelt spontan und reagiert auf das, was seine Sinne ihm mitteilen. Er grübelt nicht darüber was morgen wird und noch viel weniger über das was gestern war. - Natürlich erinnern wir uns und wir planen auch, das erfordert schon unsere Aufgabe hier, aber sehr viel weniger als die Menschen.
Wir sind auch viel mehr auf uns selber bezogen. Wollen wir etwas, nehmen wir es uns - naja, unsere Intelligenz setzt da natürlich schon ein paar Grenzen. Aber auch da agieren wir viel freier, als die Menschen. Haben wir Hunger, jagen wir - keine lange Planung, keine Vorräte - einfach los. Wollen wir uns paaren, suchen wir uns einen Partner, der ebenfalls dazu bereit ist - auch einen der Kleinen Drachen - und gehen anschließend wieder unserer Wege. Warum die Menschen da so umständlich sind, verstehen wir einfach nicht.
Ansonsten sind wir, außer teilweise gegenüber einem festen Partner, eher Einzelgänger - auch wenn es bei Dir jetzt am Anfang noch etwas anders sein wird. Ein neuer Elemental Drache ist natürlich schon erstmal interessant - schon möglich, dass auch eine Deiner Nachbarinnen sich für Dich als festen Partner interessieren könnte. Aber ansonsten kümmern wir uns um einen anderen Drachen, der einen Rang hat, nicht weiter. - Du hast ja bereits einen Rang unter uns, also erwarte nach einem ersten Kontakt kein besonderes Interesses von den anderen.
Sei Du Dir selber das wichtigste, nimm keine Rücksicht auf andere - Du stehst an der Spitze des Lebens in dieser Welt - einzig Erce verpflichtet, sonst nur Dir selber. Einige wenige Drachen stehen neben Dir, alles anderes Leben beherrscht Du - auch die Menschen sind für uns nur intelligente Tiere.
Einzig einige der anderen Großen Drachen und vielleicht die Menschen in großen Massen _könnten_Dir gefährlich werden. -
Denke und handle so und Du kommst dem Denken eines Drachen nahe. - Und jetzt lass uns endlich jagen."
Sie dreht sich um und schleicht auf die Wiese hinaus. Ganz die egozentrische Drachin, wie sie es mir erklärt hat. Die nächste Zeit wird sie mich wohl recht distanziert behandeln, um mich vorzubereiten. Na gut, dann werde ich eben versuchen meinen Gefühlen zu folgen, weniger dem, was mir richtig erscheint. Aber Manvinkona möchte ich doch informieren, dass wir jetzt jagen gehen, so wie wir es besprochen hatten. Sie antwortet mit „Viel Spaß" und zieht sich aus meinem Bewusstsein zurück.
Nun, ich soll ja so handeln, wie ich es für richtig halte, also folge ich Fjörgyn nicht. Ich habe ja den kleinen Nachteil, dass mein dunkles Blau auf der Wiese mehr auffällt, als ihr Tannengrün. Also schleiche ich mich in der Deckung der Bäume seitlich ein gutes Stück an dem Rudel vorbei und erreiche eine Stelle wo ich mich zwischen einigen Büschen weit auf die Wiese heraus pirschen kann. Mein Schwert lege ich hier ab um beweglich zu sein. Durch meine gute Deckung bin ich doch deutlich schneller als Fjörgyn und liege so schon bereit, ehe sie ihren Angriff startet.
Sobald sie angreift, wird das Rudel fliehen und an mir vorbeikommen, bei meinem Beutegriff werden sicherlich einige wieder umkehren und sie bekommt so die Gelegenheit für einen zweiten Beuteschlag. Wir brauchen ja drei Stücke und egal was sie sagt, ich lasse Græðarinn und Manvinkona nicht hungern. Und nochmal ein Rudel suchen um das dritte Tier zu jagen, ist mir einfach zu umständlich, egal ob es Drachenart ist, oder nicht.
Sie lässt sich recht viel Zeit, wartet sie auf mich? Egal, ich lasse jetzt die Sinneseindrücke auf mich einwirken, suche mir einige mögliche Beutetiere aus, auf die ich mich konzentriere. Höre die Hirsche sich bewegen, grasen, atmen - rieche ihren angenehmen Geruch einer schmackhaften Beute, spüre, dass sie ahnungslos und zwar aufmerksam aber ganz ruhig sind.
Langsam und ruhig bereite ich mich zum Sprung vor, spanne meine Muskeln an und warte auf den Beginn der Jagd. Jetzt spüre ich die Welle der Aufregung durch das Rudel rasen, sie haben Fjörgyn bemerkt, sie hat die Jagd begonnen. Unmittelbar bevor die Hirsche beginnen, in meine Richtung zu fliehen, dringt auch der Geruch ihrer Angst und des Adrenalin zu mir - steigert mein Jagdfieber. Es geht los, der Boden vibriert unter ihren Hufen, ich vibriere vor Erregung.
Einer der von mir ausgesuchten Hirsche macht den Fehler und läuft fast genau auf mich zu. Ja, komm, komm zu mir. Noch rieche ich nur seine Aufregung, spüre nur vorsichtige Furcht - in dem Moment, in dem ich mich abstoße und mit ausgebreiteten Schwingen auf ihn zu schnelle, ändert sich das schlagartig.
Ich sehe in seine plötzlich angstvoll aufgerissenen Augen, rieche die aufblitzende Todesangst und spüre die Panik, die ihn ergreift. Doch es ist für ihn schon zu spät - meine Krallen schlagen in seinen Körper, und meine Fangzähne graben sich in seine Kehle. Noch bevor wir richtig auf dem Boden landen, habe ich auch die Krallen meiner Füße in ihm vergraben. Ich schmecke sein Blut - dieser süße Geschmack des lebenden Blutes, gemischt mit dem Adrenalin, der direkte Duft seiner panischen Todesangst, das wild schlagende Herz - das kickt mich wieder über die Grenze.
Ich genieße einfach nur dieses unglaubliche Gefühl der absoluten Macht über den Tod eines anderen Lebewesens. Ist dies das tiefere Wesen eines Drachen? Wenn ja, dann will ich gerne ein Drachen sein, wie einer zu denken, ganz und gar ein Drache werden.
Auch dieser Hirsch versucht mich zu treten, mich zu verletzen um so vielleicht noch zu entkommen, aber es ist für ihn hoffnungslos, seine Hufe gleiten an meinen Schuppen ab. Bald spüre ich, dass seine Kräfte schwinden, sein verzweifeltes Ringen um Luft - heute lasse ich nicht nach. Ich ziehe es durch, verstärke meinen Biss noch. Einige unkontrollierte Zuckungen seiner Beine noch, dann läuft ein Zittern durch seinen Körper und er erschlafft. Nach kurzer Zeit setzt dann auch sein Herz aus - meine Beute ist tot. Ich lasse ihn los und stoße einen kurzen Triumpfschrei aus.
Heute trinke ich nur noch ein wenig von seinem frischen, noch lebendig schmeckenden Blut. Die Menschen mit ihrem beschränkten Geschmack wissen gar nicht, was ihnen da entgeht. Das Beutestück werde ich nachher gemeinsam mit den anderen essen.
Ein wenig später strecke ich die Nase in die Luft - ja, offenbar hat mein Plan funktioniert, ich rieche zwei weitere Beutestücke. Mich aufrichtend gehe ich die paar Schritte zurück und hole mein Schwert. Dann transformiere ich mich und nehme meine Beute zwischen die Zähne, um zu Fjörgyn zu gehen. Ich finde sie am anderen Ende der Wiese, noch verkrallt und verbissen in einen Hirsch, wie ich vorhin. Einige Schritte weiter liegt ihr erster Beuteschlag, dem sie das Genick gebrochen hat, ansonsten ohne größere Verletzungen. Anscheinend hat ihr Jagdtrieb beim zweiten Hirsch die Oberhand gewonnen.
Sie lässt jetzt ihre Beute los und sieht mich an, in ihren Augen flackert noch das Jagdfieber. Ich greife nach ihrer ersten Beute um beide Stücke zu ihrer Höhle zu bringen. Aber das gefällt ihr anscheinend nicht. Sie transformiert sich ebenfalls und faucht mich wütend an - ist das ihr Ernst?
Ich schiebe das jetzt mal auf das Jagdfieber, aber gefallen lasse ich es mir nicht. Mit kaltem, fast verächtlichen Blick stoße ich ein drohendes Grollen aus. Unbeabsichtigt fahre ich dabei langsam, aber gerade deswegen umso bedrohlicher wirkend, meine Krallen aus, die Ihre an Länge noch übertreffen. Ein eindeutiges Zeichen an sie, mich nicht unnötig zu reizen.
Und es wirkt, ihr eben noch wütender Blick wird unsicher und sie weicht, den Kopf senkend, zurück. Das ist nicht gespielt - sie ist immer noch im Jagdfieber gefangen, aber sie hat auch Respekt vor mir und meiner Kraft und wagt es nicht, es auf einen Kampf ankommen lassen.
Zumindest heute habe ich mich schneller wieder unter Kontrolle gehabt. Ich werde ihr die Zeit lassen.
„Wir sehen uns dann bei der Höhle."
sage ich beiläufig zu ihr, greife mir die beiden Hirsche und springe hoch.
Mit kräftigen Schwingenschlägen gewinne ich schnell an Höhe und fliege dann direkt in Richtung ihrer Höhle. Ich sehe mich nicht um, spüre aber, dass sie mir noch nicht folgt. Vermutlich muss sie noch richtig zu sich kommen. Ich brauchte beim ersten Mal ja auch recht lange und nach so langer Zeit geht es ihr anscheinend nicht viel anders.
Gleichzeitig bin ich aber auch froh, dass sie mir vorher die Hinweise gegeben hatte. Ich wäre sonst wohl sehr verwirrt gewesen über ihre Reaktion auf mich eben - obwohl ja auch ich gestern kurz versucht hatte, Eldflóð zu vertreiben. So hatte ich offenbar auch die richtige Antwort darauf. Gestern hatte ich dann ja eher menschlich reagiert und hatte geteilt.
Lange brauche ich nicht, bald bin ich über der Bergwiese. Unten, neben dem See sehe ich Manvinkona und Græðarinn sitzen und fühle ein 'Hallo, da bist Du ja' von Manvinkona. Schnell gehe in in Kreisen nach unten und lande direkt vor den beiden.
„Ich habe etwas zu Essen mitgebracht, eure Mutter hatte Lust auf eine Jagd. - Ich bin schon vorgeflogen, weil sie noch etwas Zeit braucht, um sich davon wieder zu befreien. Und sie hat sich entschieden, mich auf die Begegnung mit fremden Drachen vorzubereiten - unser Verhältnis ist daher im Moment etwas anders als bisher.
Wundert euch also nicht, wenn wir uns wie ein Fremde behandeln. Das ändert aber nicht meine Beziehung zu euch allen - selbst wenn Fjörgyn und ich uns eventuell gegenseitig Dominanz beweisen wollen. Sie möchte mir einfach nur mein menschliches Benehmen austreiben. - Græðarinn, die Jagd ist hoffentlich kein Problem für Dich, aber ich wollte es euch sagen."
Er schüttelt den Kopf.
„Nein, kein Problem. Ich bin Mom dankbar, dass sie Rücksicht auf mich nimmt, aber mir ist das Wesen von uns Drachen ja bekannt, es steckt ja auch in mir selber - nur dass ich mich nicht zu einer Jagd überwinden konnte bisher. Ich bin froh, dass sie einmal normal gejagt hat. Am besten spreche ich mal mit Ihr, dass sie das gerne öfter machen kann."
„Mama macht sich gerade auf den Weg hierher." informiert Manvinkona uns.
So, wie sie mich ansieht, hat sie irgendwas vor - aber sie kommt nicht damit raus. Græðarinn wirkt erleichtert.
„Gut, dann können wir ja bald etwas essen. Das Reh von Dir heute war zwar sehr hilfreich, aber ich habe wieder ordentlich Hunger." -
Mir fällt ein, dass ihn sicher die Rettung des Mädchens interessieren wird.
„Ich habe auch eine gute Nachricht. Wir haben in der Siedlung den Schuttkegel durchbrochen, um dem Fluss wieder Weg zu bahnen. Und dabei haben wir ein Menschenmädchen entdeckt, die wir lebend und nur gering verletzt bergen konnten."
Græðarinns Augen leuchten auf.
„Ihr habt das vermisste Mädchen entdeckt? Und dazu lebend? Erce sei Dank - das ist wirklich eine gute Nachricht. Die beiden alten Menschen, die in ihrem Haus gestorben sind - damit komme ich gut zurecht, aber die junge Menschenfrau, die nicht gefunden wurde, hatte mich bedrückt."
Er wirkt plötzlich, als hätte er neue Energie gefunden - er kommt zu mir und versucht, mich zu umarmen, was etwas schwierig ist, da ich ja als Feral vor ihm als Anthro stehe. Ich senke vorerst meinen Kopf, damit er herankommt und umfasse ihn vorsichtig mit meiner rechten Hand.
Wir stehen so einen Moment, in dem er einfach nur unendlich erleichtert zu sein scheint, da huscht ein Schatten über uns hinweg, der mich an eine ähnliche Situation mit Manvinkona vor einigen Tagen erinnert: Fjörgyn kommt zurück.
Es dauert auch nicht lange und sie landet direkt neben uns. Nur anders als beim letzten Mal steht jetzt kein wutschäumender Drache vor mir, sondern eine sehr vorsichtige, fast zitternde Drachin.
„Mein Lord Eldingar, Hoher Lordpaladin - bitte verzeiht mir meine Unbesonnenheit vorhin. Ich wollte Euch nicht verärgern."
Sie kauert vor mir, den Kopf fast auf dem Boden, den Blick gesenkt. Gehört das noch zu ihrem Spiel, oder meint sie das ernst? Ihre Kinder sehen sie völlig verwirrt an. Ich habe Græðarinn zwar losgelassen, meine Hand liegt aber noch „griffbereit" vor den beiden.
„Hoher Lordpaladin, bitte bestraft mich - verschont meine Kinder, sie haben keine Schuld an meiner Verfehlung."
'Ist das ernstgemeint, oder spielt Deine Mutter das nur?' sende ich Manvinkona. -
'Ich glaube, das meint sie wirklich so' kommt ratlos zurück.
„Was meinst Du?" frage ich mit emotionsloser Stimme.
„Verzeiht hoher Lordpaladin. Ich hatte gewagt, Eure Dominanz anzuzweifeln und verweigerte Euch die Euch zustehende Beute. Bitte bestraft mich, wenn es Euch gefällt, doch verschont meine Kinder."
Ihre Haltung zeigt jetzt bedingungslose Unterwerfung.
„Du bist nicht bereit, um Deine Kinder, um Deine wehrlose Tochter zu kämpfen?" frage ich kalt.
Ihr Kopf ruckt hoch, sie sieht mich mit funkelnden Augen an.
„Bitte zwingt mich nicht, gegen Euch um meine Kinder zu kämpfen, Lord Eldingar. Ich werde sie mit meinem Leben verteidigen." Sie senkt den Kopf wieder. „Doch ich vertraue auf eure Gnade. Bitte straft mich, wenn ihr müsst."
Ich atme tief durch und lege die Wärme meiner Liebe zu Ihr in meine Stimme.
„Fjörgyn... Jörð - es ist alles in Ordnung." frage ich sie. „Ich bin Dir wegen Deiner Reaktion vorhin nicht böse."
Sie hebt den Kopf und sieht mich an.
„Ralf?" -
Ich nicke.
„Erce sei Dank - ich hatte Angst, in Dir etwas geweckt zu haben..."
Ihre Anspannung entweicht aus ihrem Körper und sie sinkt zu Boden.
„... Ich... - vorhin, als Du mir den zweiten Hirsch abnehmen wolltest, da war ich noch so im Jagdrausch, dass ich Dich verjagen wollte - verhindern wollte, dass Du mir die Beute stiehlst." -
„Das Erlebnis hatte Eldflóð gestern mit mir auch." -
„Aber Deine Reaktion darauf war eine so eindeutige, kalte und harte Drohung - nicht böse oder wütend, einfach nur kalt, ohne Gefühle. Die eindeutige Warnung:
Würde ich es wagen zu versuchen, Dich davon abzuhalten, wirst Du mich zerfetzen und meine Knochen in den Boden stampfen.
Wenn ich nur daran denke, wie Du Deine Krallen so gnadenlos langsam als Drohung ausgefahren hast, sträuben sich mir noch die Schuppen. -
Zuerst, im Jagdrausch, habe ich nicht weiter darüber nachgedacht und habe mich erstmal an der Beute satt gegessen. Aber als der Rausch abgeklungen war, wurde mir erst richtig klar, was passiert ist. Und ich fürchtete, dass ich mit dem Versuch, Dich dazu zu bringen, wie ein Drache zu denken, Dich durch die Jagd verloren zu haben - und einen gefühllosen, nur auf sich selbst bezogenen Drachenlord geschaffen habe.
Einen Drachenlord, der jetzt bei meinen Kindern ist und sie in seiner Gewalt hat. Und dann sehe ich Græðarinn in Deiner Hand..." -
„Jörð, bitte."
Ich gehe auf sie zu, halte ihren Kopf und lege meine Stirn an ihre.
„Jörð, es tut mir leid, dass es so hart ausgefallen ist. Ich wollte nur so reagieren, wie es meine Instinkte mir sagten. Aber ich wollte Dich nicht erschrecken. Und nie hatte ich auch nur den Hauch eines Gedanken, meinen Geschwistern etwas anzutun."
Ihr Körper strafft sich wieder und ich lasse sie los.
„Aber es hat doch etwas in mir bewirkt, der Drache würde Dir am liebsten sagen: 'Hör auf, so menschlich zu denken. Da ich nicht vorhabe, Nachwuchs mit Dir zu bekommen, hat Manvinkona noch Welpenschutz - und Græðarinn hätte sich schon selber helfen können, so schnell tötet ein Drache keinen Heiler. Und ich habe keinen Grund, Deine Kinder zu töten.' - meine menschliche Antwort hast Du ja bereits gehört." -
Sie sieht mich verwundert an, dann ihre Kinder, anschließend wieder mich.
„Du meinst... ich denke ... wie ein Mensch?" -
Ich zucke mit den Schultern.
„Ich kenne außer euch und Eldflóð - ah und Vortigern - keine anderen Drachen. Aber die Art, wie ihr mit mir umgeht hat mehr menschliches an sich, als das, was Du mir als Art der Drachen erklärt hast - und was der Drache in mir dazu sagt... der möchte gerade verächtlich schnauben und dem ist außer Hunger im Moment alles egal..."
Fjörgyn wirkt völlig verwirrt.
„Wie... obwohl... aber wann?"
„Jörð, bitte, höre auf zu grübeln - das kann ich nicht mit ansehen. Hast Du schon so gedacht, bevor wir uns getroffen haben?" -
„Wir nordischen Drachen haben unter uns schon ein anderes Verhältnis als die anderen Drachen und wir gehen auch mehr auf die Menschen ein - das hast Du selber erlebt - aber ganz so eigentlich nicht" -
„Dann wird Erce Dir und Eldflóð das mitgegeben haben, als ich zum Drachen wurde, so wie Manvinkona ihre Fähigkeiten bekam. Græðarinn anscheinend auch. Vielleicht ist das sogar schon früher passiert, schon bevor wir uns getroffen haben.
Vermutlich zum einen, damit wir uns besser verstehen und es für mich einfacher wird - zum anderen werdet ihr das in Zukunft sicher im Umgang mit den Menschen gebrauchen können, weil ihr sie dadurch auch besser verstehen könnt. Denke nicht darüber nach, nutze die Fähigkeit, wenn Du sie brauchst, so wie ich den Drachen in mir nutzen werde, wenn ich in Indien bin." -
„Wo bist Du?"
Jetzt scheint sie ganz durcheinander zu sein.
„Indien. - Achso, ja - einen großen Teil des Gebietes über das ich zukünftig wachen werde, kenne ich aus meiner alten Welt als Indien. Entschuldige bitte, ich wollte Dich nicht weiter verwirren."
Sie lächelt.
„Schon gut - ich muss erstmal sortieren, welcher Gedankengang von mir menschlich, und welcher drachen ist. Sonst komme ich noch in Schwierigkeiten, wenn ich mit anderen Drachen zusammentreffe. Schon merkwürdig - ich fordere Dich auf, wie ein Drache zu denken - und Du zeigst mir, dass ich in den letzten Tagen wie ein Mensch denke." -
„Du wirst es sicher schnell wieder auf der Reihe haben. - Aber jetzt habe ich einen drachenmäßigen Hunger!"
Genau passend knurrt mein Magen dazu.
„Dann schnell..." kommt von Græðarinn.
„... ehe Du noch auf die Idee kommst, Deine Ankündigung von heute Nachmittag wahrzumachen..."
Auf den fragenden Blick seiner Mutter winkt er nur grinsend und kopfschüttelnd ab - zum Glück, sonst hätte ich den Scherz mit dem gegenseitigen Anknabbern erklären müssen, bei ihrem derzeitigen Gemütszustand - und ich brauche jetzt was zu essen, sonst übernimmt doch noch der Drache die Kontrolle, ich spüre seine Macht in mir anwachsen.
Irgendetwas hat sich in mir bei der Jagd tatsächlich verändert. Das habe ich so bisher nie bemerkt, der Drache war immer ganz tief in mir drin und von mir nur mit Mühe zu erreichen - und nun muss ich fast aufpassen, dass er mich nicht beiseite schiebt. Auch wenn ich mir sicher bin, dass ich immer in der Lage sein werde, die Kontrolle wieder zu erlangen.
Manvinkona, Græðarinn und ich machen uns also über die zwei Hirsche her, wobei mir am Ende mehr als anderthalb zufällt. Die beiden - Græðarinn ja derzeit als Anthro - essen halt nicht soviel. Aber das passt mir gut, da ich heute doch eine Menge Energie verbraucht habe.
Dann unterhalten wir uns noch über das, was heute passiert ist, auch noch mal über die Bergung des Menschenmädchens und Fjörgyn erzählt, wie sie die Jagd erlebt hat. Dabei sieht Manvinkona mich wieder so merkwürdig an - irgendetwas plant sie, aber sie verheimlicht mir das, ich kann es nicht aus unserer Verbindung greifen.
'Du hast doch irgendetwas vor...' versuche ich es aus ihr herauszukitzeln. Sie macht ein harmloses Gesicht.
„Bist Du morgen noch hier?" fragt sie mich.
„Ja. Ich möchte morgen den Tag noch bei euch verbringen, ehe ich so weit weg sein werde. Ich habe Eldflóð gebeten, er möchte Lord Kyrin mitteilen, dass ich übermorgen am Nachmittag dort eintreffen werde um Lord Kyrin zu treffen, ich werde etwa dreieinhalb Stunden brauchen, also brauche ich auch erst am Vormittag aufbrechen." -
Manvinkona verzieht ihr Gesicht.
„Deine Zeitangaben verstehe ich nicht wirklich. Aber ich glaube, dass Du mit Mittag den Stand der höchsten Sonne meinst. Das mit den Stunden musst Du mir mal erklären - und Übermorgen... ist das der Tag nach Morgen? Also haben wir morgen den ganzen Tag Zeit. - Das ist gut, dann kannst Du mir noch beibringen, so wie Du im Wind zu schweben, damit ich das auch kann. - Schließlich sind meine Schwingen gewachsen, guck mal."
Sie breitet ihre Schwingen aus, sich anstrengend, noch den letzten Millimeter Spannweite herauszuholen. - Tatsächlich, wenn ich mich an den ersten Tag zurückerinnere, haben sie ungefähr 50 cm in den paar Tagen zugelegt. Ansonsten ist sie nicht merklich gewachsen - also müsste sie jetzt besser gleiten können.
„Ist so ein Wachstum der Schwingen normal?" frage ich Fjörgyn. -
Sie nickt.
„Ja, es ist wohl bald soweit, dass sie das erste Mal fliegen kann. In der Zeit wachsen die Schwingen sehr schnell. Es ist nur nicht sehr angenehm, weil man dann einige Tage lang ein ständiges schmerzhaftes Ziehen in den Schwingen spürt. -
Ach deshalb warst Du vor allem nachts so unruhig in den letzten Tagen. Warum hast Du denn nichts gesagt?" -
Manvinkona zuckt mit den Schultern.
„Ich wollte Dich nicht stören und am Tag spüre ich es auch kaum." -
Fjörgyn sieht mich an.
„Nun, wenn Ralf die Zeit hat und es machen möchte und ihr es nicht übertreibt - aber dass muss er entscheiden." -
„Ich habe ihr versprochen, ihr das Fliegen beizubringen. Nur bin ich ja bald einige Flugstunden entfernt - trotzdem werde ich kommen, wenn ihr mich ruft. Aber ein stabiler Gleitflug im Aufwind ist schon mal die Grundlage zum Fliegen. Das bekommen wir morgen schon noch untergebracht."
Ich bringe ihr gerne das Fliegen bei. Nur bin ich mir sicher, dass sie noch was anderes im Sinn hat. Aber sie will damit nicht rausrücken. Bei meiner Antwort freut sie sich und sieht mich strahlend an.
Mich ein wenig streckend entschuldige ich mich.
„Wenn ihr nichts dagegen habt, möchte ich einfach mal einen Moment die Sinne und Gedanken treiben lassen. Ich muss mal ein wenig zur Ruhe kommen."
Manvinkona und Græðarinn wirken zwar ein klein wenig enttäuscht, anscheinend wollten sie mir zu irgendetwas Löcher in den Bauch fragen, nicken aber nur.
Etwas oberhalb gibt es einen Felsvorsprung, von dem aus man einen guten Blick über die Umgebung hat, zu dem fliege ich und lege mich hin, um mit der Aussicht über die Täler ein wenig die Gedanken schweifen zu lassen - aber nicht lange und ich transformiere mich, die liegende Position als Feral auf Fels ist für mich noch nicht wirklich bequem.
So sitze ich auf einem Moosbewachsenen Felsen, lehne mich an einen Baumstamm und schaue, ohne konkreten Gedanken, in die Landschaft und den Himmel. Der würzige Duft der Nadelbäume mischt sich mit den frischen Düften der Laubbäume und den süßen der Blüten auf den Wiesen. Die Gräser verbreiten eine Mischung von frischem Grün, kräftigen Kräutern und leichtem Heu, dazu die würzige Erde und die frische Leichtigkeit der Bäche.
Zwischendrin die verschiedenen Aromen der Tiere - die jetzt vor mir nichts zu befürchten haben. Einige Nager scheinen das zu wissen, sie wuseln mir ohne Angst fast über die Klauen. Dazu kommen die Bewegungen der Blätter, Halme, Nadeln, die ich höre, die feinen Geräusche aus dem Tal, wo ich die Rehe äsen höre, das Trippeln der Nager um mich herum und ihr Mampfen, mit dem sie die Gräser und Kräuter vertilgen.
Das plätschern des Wassers, in der Ferne das Rauschen eines Wasserfalles, der Hauch des Windes im Gras und in den Wipfeln. Die Luft, die über meine Schuppen streicht, die Wirbel von Insekten die an mir vorbeifliegen. Sehe die verschiedenen Farben des Himmels, die Schattierungen des Grün, das Glitzern der Insektenflügel. Meine Gedanken schweben wie die Wolken am Himmel ohne Form und Ziel. Selbst das Nähern von Drachenschwingen holt mich nicht wirklich zurück auf den Boden.
Der Drache landet und eine Stimme fragt.
„Ich hoffe, ich störe nicht?"
Ohne hinzusehen, schüttele ich den Kopf, obwohl ich mich schon gestört fühle, aber mir sagt etwas, das ist eine bekannte Stimme, sie ist zu tolerieren.
„Darf ich mich zu Dir setzten?" fragt die Stimme weiter.
Ich nicke, immer noch den Besuch ansonsten ignorierend.
„Denkst Du daran, was Dich erwartet?"
Ich schüttele den Kopf mit einem leichten, ablehnenden Knurren. Hoffentlich lässt mich die Stimme jetzt in Ruhe. Mit einem enttäuscht klingenden Seufzen bleibt die Stimme jetzt ruhig.
Nach einem Moment registriert meine menschliche Seite dieses Seufzen. Ich schaue zur Seite und sehe Fjörgyn als Anthro neben mir sitzen, sie wirkt ein wenig traurig, verloren. 'Egal, solange sie mich nicht stört' - Moment, das ist Fjörgyn, Jörð - ich kann doch nicht... - ich spüre, wie sich der Drache wieder zurücknimmt. Ich habe ihm in dieser Stimmung Freiraum gelassen, aber gewinne sofort wieder die Oberhand.
Sie sitzt direkt neben mir, auch in ihrer Anthroform, was ich als Beweis ihrer engen Verbundenheit zu mir deute. Umso unangenehmer ist mir die dracoide Gleichgültigkeit, die ich eben gezeigt hatte. Ich lege meine Hand auf ihre.
„Jörð, entschuldige bitte. Du gibst Dir Mühe, mir menschlich zu begegnen, und ich reagiere auf kalte Drachenart." -
Sie sieht mich mit warmen Lächeln an.
„Es ist nur so plötzlich - und ungewohnt. Ich habe mich in den paar Tagen so daran gewöhnt..." -
Ich zucke mit den Schultern.
„Ich weiß nicht, heute ist der Drache in mir stärker geworden. Er war schon die ganze Zeit da, aber erst seit der Jagd wartet er unmittelbar hinter mir, immer bereit um mich zu leiten oder sogar zu übernehmen, wenn der Mensch in mir ihn lässt oder zu schwach wird. Er ändert nicht direkt meine Ansichten oder Ziele, aber eben die Art des Denkens und Handelns. Vermutlich wird er in der nächsten Zeit mehr mein Handeln bestimmen, als bisher.
Schwierig ist für mich, dass er ja auch ich bin und ich es manchmal nur schwer unterscheiden kann, ob ich nun dracoid oder menschlich denke. Hoffentlich verliere ich meine menschliche Seite dabei nicht in den Tiefen meines Bewusstseins."
Sie hockt sich vor mich und ergreift meine Hände.
„Hab' Vertrauen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Erce mir die Fähigkeit wie ein Mensch zu denken gegeben hat, um sie Dir zu nehmen." -
Jetzt seufze ich nachdenklich.
„Du hast sicher recht, aber es ist irgendwie auch erschreckend wenn man plötzlich so fremd denkt, als ob etwas völlig anderes in einem steckt. - Du hattest Recht, ein Drache ist so anders in seiner Denkweise, seiner Haltung anderen gegenüber... - als Mensch bin ich glücklich, dass Du hier bist, aber als Drache habe ich Dich gerade mal so akzeptiert, weil wir unser Blut teilen. - Es interessiert mich nicht mal, dass es ja_Dein_ Blut ist, das_ich_ bekommen habe." -
Sie grinst.
„Ja, Du bist ein echter Drache. Besonders ihr Kerle seid so. - Aber, warum ich hier bin: meine beiden sind sehr neugierig, mehr über das Leben als Mensch zu hören, wie Dein Leben drüben war und die Menschen dort sind. Und mich würde das schon auch interessieren." -
„Himmel hilf..." sage ich grinsend. „... Aber ich verstehe, dass ihr mehr über mich und meinen Hintergrund wissen wollt - und da ich bald ja erstmal für längere Zeit weg bin, ist das heute vielleicht die vorerst letzte Gelegenheit."
Sie legt ihre Stirn an meine und wir verharren einen Moment so, dann lösen wir uns. Ich folge ihr zur Höhle, wo Græðarinn am Teichufer schon ein kleines Lagerfeuer vorbereitet hat. Bald sitzen oder liegen drei Anthros und eine junge Feral um das Feuer und unterhalten sich, bzw. sie fragen mich und hören mir interessiert zu, wie meine Vergangenheit war und das Leben und die Menschen drüben in meiner alten Welt so sind.
Nachdem wir lange nach Sonnenuntergang dann immer häufiger das Gebiss von Manvinkona in ganzer Pracht bewundern dürfen, machen wir Schluss und sie zieht mit Græðarinn ab, um schlafen zu gehen. Fjörgyn bleibt mit mir noch ein wenig am ausbrennenden Feuer sitzen.
„Wenn ich an Deine Beschreibungen über euer Familienleben denke - das dann mit meiner neuen, mehr menschlichen Sichtweise sehe, dann ist mir zwar vieles fremd, aber verständlich..."
beginnt sie nachdenklich.
„... aber von der Sichtweise des Drachen, der ich war, ist das so unendlich fremd, unverständlich und übertrieben in der ständigen Sorge umeinander - jetzt erst kann ich ein wenig verstehen, wie fremd Dir unserer Volk, dem Du jetzt angehörst, sein muss und noch sein wird. - Das Menschenmädchen heute Nachmittag, wie alt war sie?" -
„Sie wird so etwa dreizehn oder vierzehn sein." antworte ich. -
„Dann wird sie also jetzt noch doppelt so lange bei Ihren Eltern leben, wie Manvinkona normalerweise insgesamt bei mir bleiben würde. - Ich hätte keine große Mühe verschwendet sie zu retten, die Kinder sind nach etwa zwei bis drei Jahren selbstständig und Menschen sind sterblich - also warum darüber einen Gedanken verlieren. Selbst heute hatte ich es nicht wirklich verstanden, nur eben, dass die Menschen sich oft helfen. Jetzt weiß ich aber, warum Du das alles gemacht hast."
„Kinder nach zwei Jahren selbstständig?" frage ich sie etwas verständnislos. -
„Ja, Manvinkona wird ungefähr in sechs Monden fliegen können und ihren Feueratem beherrschen und ist dann dem Nestlingsalter entwachsen. Und in längstens einem Jahr, wie Du sagst, würde ich sie normalerweise alleine lassen, oder sie vertreiben - sie kann dann für sich selber sorgen und ihr - wie sagtest Du, Welpenschutz? - ist dann vorbei. Und das haben wir auch immer auf die Menschen so bezogen."
Sie sieht mich an.
„Nein, ich glaube, jetzt kann ich Manvinkona nicht mehr so einfach wegjagen, egal ob das Drachenart ist. - Du bringst meine Welt ganz schön durcheinander..."
Ich muss grinsen.
„Naja, mit Deiner Lebenserfahrung, wirst Du es schon packen. Nur, was ist mit Græðarinn?" -
„Græðarinn hat als Heiler auch unter den Drachen einen anderen Status, die meisten Heiler können sich nicht selber versorgen, werden aber so hoch geachtet, dass selbst wir Drachen uns um sie kümmern. Græðarinn ist zwar fähig selber zu jagen, auch wenn er es nicht gerne macht und ist so in der Lage sich zu versorgen, aber den Status hat er trotzdem, daher ist er noch bei mir. - Zudem verlieren wir auch nie ganz den Kontakt zu unseren Kindern. Mit drei oder vier Jahren, erlangen sie ja ihre volle Fähigkeit, dann sind wir normalerweise ja auch dabei und begleiten sie. Auch später kommen wir immer wieder mal zusammen."
Ich atme tief durch.
„Ich sehe schon, mein neues Volk ist hart gegen sich und andere. - Huh, die eigenen Kinder nach zwei Jahren vor die Tür setzen, obwohl sie dann noch lange nicht ausgewachsen sind - für Menschen undenkbar, doch als Drache weiß ich, dass es normal ist, sie sind bereit und können für sich selber sorgen. Und als Drache frage ich mich, ob es richtig wäre, Manvinkona nicht zur rechten Zeit auf ihren eigenen Weg zu führen." -
„Und wenn sie dann vor Deiner Höhle steht? Was machst Du dann?" fragt sie. -
„Als Drache?" -
„Du." -
„Ich... tja, selbst wenn ich sicher wäre, dass es falsch ist, würde ich sie aufnehmen. Als Drache, weil sie mir das Leben geschenkt hat, als Mensch, weil ich sie schon geliebt habe, bevor ich Dich ... äh, kennengelernt habe. Aber das weißt Du doch." -
Fjörgyn kommt zu mir und kniet sich vor mich hin.
„Aber jetzt weiß ich, dass auch der Drache in Dir sie liebt."
Sie umarmt mich auf eine so menschliche Art, dass ich überrascht einige Zeit brauche, bis ich die Umarmung erwidere.
„Ich wünschte, Eldflóð hätte Dir sein Blut gegeben..."
Wenn das keine Liebeserklärung war...
„Oh, Jörð. - Bitte ... nicht..."
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber sie hält einfach die Umarmung noch eine Zeit weiter und lässt mich dann los.
„Aber dann würden wir uns sicher nicht so verbunden fühlen und deswegen ist es gut so, wie es ist." ergänzt sie ihren Satz mit einem warmen Lächeln.
„Komm, lass uns auch Schluss machen für heute, Du hast morgen viel vor und wie ich meine Tochter kenne, fängt Dein Tag früh an."
Ich folge ihr in die Höhle und nehme heute auch ihr Angebot an, gemeinsam mit der Familie zu schlafen. So einzelgängerisch die Drachen sonst auch sind - bilden sie einen Familienverband, dann leben und schlafen sie auch gemeinsam. Jetzt sehe ich auch, dass auch Fjörgyn einen Bereich hat, in der sie sich als Anthros aufhalten können. Und auch sie haben dort Strohmatratzen, die doch bequemer sind, als der nur leicht gepolsterte Höhlenboden. Diesen Bereich nutzen sie hauptsächlich im Winter, denn dieser hintere Bereich ist durch eine heiße Quelle immer warm.
Leise gehen wir hinein und Fjörgyn bietet mir das Lager nahe des Eingangs. Ich lege mich hin, höre das Rascheln, wie sie sich hinlegt, bald nur noch das ruhige Atmen der drei. Wenig später bin auch ich eingeschlafen.