Drachenmenschen - 03. eine andere Sicht
#3 of Drachenmenschen
Erst was essen, noch ein paar Informationen - und dann ein neuer Versuch. Wird die Transformation tatsächlich gelingen? Ist er ein Drache?
Und wenn er ein Drache ist, will er noch ein Mensch sein?
Der dritte Teil der Drachenmenschen-Story
Drachenmenschen
- aus einer anderen Sicht
"Natürlich kannst Du mir gerne ein wenig helfen." -
Josef hat zwischenzeitlich die Lebensmittel und benötigten Utensilien herausgeholt und stellt alles bereit. Ich übernehme das Schneiden der Schalotten, sowie den Salat. Und da variiere ich spontan, denn mir ist der Chicorée im Gemüsefach aufgefallen. Orangen sind auch da... Also zweige ich etwas vom Gorgonzola ab, dann zwei Chicorée-Knospen in Streifen schneiden, zwei Orangen filetieren und in Ermangelung von Walnüssen nehme ich einfach mal geröstete Mandelblätter. Dann mache ich mit Joghurt, Honig, dem aufgefangenen Orangensaft und etwas weichem Gorgonzola ein Dressing, das ich mit dem Mixstab schön kremig aufschlage.
Josef hat währenddessen ordentliche Medaillons geschnitten, eine Riesenmenge... Die scharf angebraten und dann noch schnell unter den Salamander gestellt, während er die feingeschnittenen Schalotten anschwitzt, mit etwas Sahne und Weißwein ablöscht und reichlich Gorgonzola dolce darin schmilzt. Simpel aber 'legger'... Dazu der Kontrast des etwas bitteren Chicorée mit der Süße und der leichten Säure der Orangen und des Dressings, das ebenfalls das Gorgonzola Thema aufnimmt. Dazu offenbar selber gebackenes Baguette... ich sehe Kyrrah, der währenddessen die Keule ausgebeint und sich ein paar ordentliche Stücke zurechtgeschnitten hat, schnuppern und schlucken... Das ganze lässt sogar ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er überlegt kurz, dann schüttelt er mit sichtlichem Bedauern den Kopf.
„Nein, dazu müsste ich als Mensch essen - und ich habe mir vorgenommen mindestens eine Woche kein Mensch zu werden - die letzten drei Tage haben mir erstmal gereicht. - Obwohl das wirklich lecker riecht, sogar für einen Drachen. -
Sag mal Ralf, Du fuhrwerkst hier so mit dem Riesenmesser herum... Beim schneiden der Zwiebeln hab ich fast Angst um Deine Finger bekommen. Das würde ich mich nicht mal mit meinen Schuppen trauen, denn richtig getroffen, kann ich mich auch in die Hand schneiden... leidvolle Erfahrung in der Küche..."
Er kramt in der Schublade und holt dann so ein Schälmesserchen heraus - ich hatte natürlich ein ordentliches Chefmesser genommen. Er hatte ja für seine Arbeit auch ein langes schmales Messer benutzt.
„...das wäre doch das richtige um so kleine Zwiebelchen zu schneiden. Kleine Dinge, kleines Werkzeug..." -
„Warte..." ich hole mein Schlüsselbund aus der Tasche und nehme das Mini-Taschenmesser ab. Die gerade mal knapp 3 cm lange - aber zugegeben scharfe - Klinge ausgeklappt halte ich es ihm hin.
„Ich habe noch was kleineres für Dich..."
Kyrrah starrt mit offenem Mund das Messerchen an und Josef lacht prustend los.
„Entschuldige Kyrrah, das musste jetzt einfach sein. - Du hast ja grundsätzlich Recht. Zwiebeln mit dem normannischen Langschwert würfeln ist sicher etwas übertrieben. Aber in der Küche hat sich so ein Chefmesser zum kleinschneiden einfach bewährt. Dann etwas Übung und immer wissen, wo das Fleisch aufhört und der eigene Finger anfängt - klappt leider nicht immer..." -
Josef stellt Fleischplatten, Brotkorb und Salatschüssel in eine Durchreiche zum Nebenraum.
„Los jetzt, rüber mit Euch." -
Kyrrah geht voran und führt mich nebenan in ein Speisezimmer. Ein klein wenig altmodisch, aber offensichtlich hochwertig eingerichtet, allerdings kein Teppich, hier oben ist außer in der Küche, anscheinend alles mit Holz ausgelegt. Ein schwerer Tisch mit 8 großen und wie ich bald merke, bequemen Stühlen, die auch Kyrrah Platz für seinen Schwanz und seine Flügel lassen.
Zur Küche hin sind drei Plätze eingedeckt. Große schwere Porzellanteller, ein eher modernes Besteck, Gläser, auf dem Tisch stehen Rotwein und Wasser.
Josef nimmt am Kopfende Platz und lässt mich rechts von ihm sitzen, Kyrrah stellt die Schüsseln aus der Durchreiche auf den Tisch und setzt sich mir gegenüber. Wir bedienen uns und ich sauge den Geruch ein - mir scheint, dass ich wirklich alles intensiver rieche. Etwas merkwürdig sieht es schon aus, dass bei Kyrrah nur eine Scheibe rohes Fleisch auf dem Teller liegt.
„Guten Appetit." wünscht Josef uns und ich schneide mir ein Stück vom Filet herunter, das wunderbar aromatisch schmeckt.
Ich versuche Kyrrah nicht zu auffällig zu beobachten, denn es sieht doch irgendwie ungewohnt aus, wie er sich ein Stück Fleisch abschneidet und sich das mit der Gabel in den Mund steckt, der ja durch die Drachenschnauze doch ein wenig anders aussieht... und das Stück Fleisch dann offensichtlich so im Stück herunterschluckt... - naja, wie soll er auch kauen können, seine Zähne scheinen komplett nur zum schneiden und Knochenbrechen geeignet zu sein, denn alle Zähne sind kegelförmig mit scharfen Spitzen.
Er bemerkt meine Blicke und grinst.
„Schau ruhig, es stört mich nicht." -
„Entschuldige, aber ein Drache mit Messer und Gabel wirkt doch irgendwie ungewöhnlich..." -
„Wenn ich ehrlich sein soll, muss ich auch den Drang beherrschen, mir das große Stück zu nehmen und da ordentlich rein zu beißen, mir die Stücke herausreißen und herunterschlingen. Aber ich weiß, wie das auf Menschen wirkt und mag Josef das nicht zumuten hier am Tisch." -
„Wofür ich Dir danke..." wirft Josef ein.
„Aber Du weißt, dass ich euch und eure Instinkte recht gut kenne und es mich nicht wirklich stören würde." -
„Trotzdem..." Kyrrah schiebt ein weiteres Stück Fleisch hinter seine Zähne und schluckt es.
„... Auch als Drrékh kann man sich an gewisse Sitten halten." -
Ich genieße das Fleisch.
„Wie ist das... schmeckst Du viel vom Fleisch? Das entwickelt sich ja beim Kauen, aber wenn ich das einfach so runter schlucke, entgeht mir doch viel..." -
„Stimmt schon, wenn ich voll rein beiße schmecke ich viel mehr. Aber ich rieche das Fleisch, das ersetzt schon sehr viel. Und wenn es noch sehr frisch und blutig ist, dann ist das schon sehr lecker. - Ach übrigens, Dein Blut schmeckt sehr angenehm..."
Josef sieht uns fragend an.
„Ralf hatte sich versehentlich an meinen Krallen verletzt und mir erlaubt, seine Wunden zu lecken. Nichts großes, ein paar Tropfen nur." -
„Ah..." Josef nickt und sieht mich an.
„... hat er Dir auch diese Geschichte mit dem heilenden Speichel erzählt? - Dabei liebt er einfach nur Blut, als wäre er ein Vampir..."
Kyrrah sieht ihn sichtlich entrüstet an, worauf er breit grinst.
„... nein - ich will ihn nur ein wenig ärgern. Zwar mag er wirklich gerne Blut, aber das mit dem Speichel stimmt. Er hat nur ein wenig die Neigung, jeden mal probieren zu wollen. Mich mag er nicht so, ich bin dann wohl so eine Art Notration, wenn sonst nichts mehr da ist." -
Kyrrah knallt fast das Besteck auf den Teller.
„Josef! - Warum erzählst Du sowas? Selbst als Drrékh muss Ralf mich ja für einen Perversen halten! Für einen Drachen, der geil auf Menschenfleisch ist...! Sind wir alleine kannst Du Deine Späßchen gerne machen, aber Ralf muss uns schließlich erst kennenlernen." -
„Entschuldige bitte." Josef wirkt recht kleinlaut.
„Ich... - bitte verzeih einem verbitterten, alten Mann am Ende seines Lebens den Neid auf einen jungen Drachen, dem die Welt offensteht..." -
Oha, da habe ich wohl ohne mein Zutun eine schmerzende Wunde freigelegt... denn auch Kyrrah sieht ihn überrascht und betroffen an.
„Josef... Du... bist neidisch auf mich...? Du hast immer den Eindruck gemacht, dass Du eher froh darüber bist, kein Drrékh zu sein...?" -
„Ja, das war auch immer so... aber in meinem Leben ist der Herbst bereits vorüber, die Bäume sind kahl und der dunkle kalte Winter zieht immer mehr auf... Und dann sehe ich euch Drachenmenschen... jung, agil... Ein langes interessantes Leben noch vor euch, der Frühling eures Lebens hat noch nicht mal begonnen... - Ich gönne es euch ja, wirklich... aber ich kann es nur noch mit Sarkasmus und kleinen Gemeinheiten notdürftig kompensieren. Es wird Zeit für mich, zu gehen, diesen Job zu beenden und Dir die Verantwortung zu übergeben, Kyrrah. Ich bin nur noch aktiv dabei, weil ich Ralf bereits kenne. Vor 30 Jahren habe ich ihn beobachtet, es war damals nicht vorgesehen, dass er erwacht und ich sollte auf Anzeichen achten, damit es notfalls verhindert werden konnte. Aber das war nicht notwendig, er erwachte nicht, lebte das normale Leben eines Menschen und so hatte ich nur gelegentlich mal ein Auge auf ihn." -
Aha, bei mir war der Drache offensichtlich nicht so stark und hat sich viel Zeit gelassen zum wachwerden. Das belastet mich nicht weiter, also beschäftige ich mich weiter mit meinem Essen.
Kyrrah blickt zwischen Josef und mir hin und her.
„Josef... natürlich verzeihe ich Dir das. Bitte sei mir nicht böse, dass ich Dich so angefahren habe... Mir war das nicht bewusst..." -
„Nein. Ich glaube es war auch gut so, so weißt Du, warum ich manchmal so kleine Gemeinheiten von mir gebe, es ist nicht persönlich gemeint." -
Kyrrah nickt und blickt mich dann an.
„Und Du? Ich wäre ihn schon ins Gesicht gesprungen, wenn er mir erzählt hätte, dass ich vor 30 Jahren nicht erwachen durfte..." -
„Durfte oder wollte ich damals nicht erwachen? Dann weiß ich ja nicht, was mir vielleicht entgangen ist, oder wozu es gut war. Nun ist es ja doch noch passiert, also worüber soll ich mich aufregen. Wie alt werden Drachen?" -
„Wir Drrékh können bis 500 Jahre alt werden, 300 mindestens. Die Drrá'Kin leicht 1.000 Jahre und mehr." -
„Also habe ich höchstens 10 Prozent davon verpasst, genau genommen ja nicht mal. Warum soll ich mich darüber aufregen? Und würde ich jetzt nicht erwachen, wüsste ich ohnehin nichts davon. So what?" -
„Weil Du jetzt nur erwachst, weil ich den Auftrag erhalten habe, Dich zu wecken." -
„Warum?" -
„Ich weiß es nicht, das wurde mir nicht gesagt. Die Weisen sind nicht sehr gesprächig..." -
„OK, vielleicht erfahre ich es ja irgendwann, solange scheint es mir sinnlos, darüber nachzudenken." -
„Liegt es am Alter?" -
„Was?" -
„Dass Du wie ein Drrá'Kin redest." -
„Reden die so?" -
„Ja, wenn man sie so hört, wirken sie irgendwie immer etwas gleichgültig..." -
„Es ist mir nicht gleichgültig, was mit mir geschieht und warum. Aber von uns kann keiner eine Antwort darauf geben, also hat es wenig Sinn, sich darüber jetzt den Kopf zu zerbrechen. Wenn es einen Grund gibt, werde ich ihn irgendwann auch erfahren. Das reicht mir. - Entschuldige, darf ich ein Stück von dem rohen Fleisch probieren?" -
Kyrrah nickt erstaunt und verwirrt. -
„Äh ja, gerne... - Du bist jetzt schon mehr Drache, als ich wohl je sein werde... Mir ist diese strenge Logik irgendwie unbehaglich... - alleine schon, dass Du rohes Fleisch isst..." -
„Entschuldige, aber was ist daran so ungewöhnlich? Ich esse Carpaccio, Beefhack, auch mal so ein Filet 'Rar' gebraten - alles mehr oder weniger roh. Halt nur durch lagern etwas mürber als dieses frische Fleisch. Du hast schon recht, das schmeckt gut, richtig gut - nur ist es kaum zu kauen..."
Ich schneide mir deshalb ganz dünne Scheiben, quer zur Faser herunter.
„Was ist das für ein Tier?" -
„Hirsch... ich habe mir hier eine kleine Herde Zuchthirsche zugelegt, gelegentlich kaufe ich einem Jäger hier auch frisch geschossenes Wild ab." -
„Ah... schmeckt gut... Aber auch das Filet. Entschuldige Josef, darf ich noch?" -
Der grinst mich an.
„Natürlich, ist ohnehin alles für Dich gedacht, ich bin satt. Und die Stücke sind sicher auch noch nicht durch, ich habe die extra kurz gebraten und nur warmgehalten. Ich dachte mir schon, dass in Dir das Verlangen nach rohem Fleisch wach wird." -
Das lasse ich mir nicht zweimal sagen, denn ich hab einen Riesenhunger. Und ich will jetzt mehr wissen. Denn vorhin, bei dem misslungenen Versuch habe ich da etwas gespürt... Da ist etwas, das neu ist - und fremd, sehr fremd. Ist das der Drache? Nur wenn der schon immer in mir war, warum erscheint er mir so fremd? Aber fangen wir mit etwas naheliegendem an.
„Da fällt mir ein, Kyrrah sprach vorhin davon, dass ich nur wenig gegessen hätte, als ihr mich gejagt habt. Er sprach von einem Schaf...?" -
Josef grinst.
„Naja, es war eine Art Jagd, aber wir haben Dich nicht gejagt, nur verfolgt um rechtzeitig bei Dir sein zu können, sobald Du wieder ein Mensch warst. -
Ja, Du hattest Dir gestern Abend ein Schaf gegriffen und verspeist. - Darum wähle ich auch dabei immer diesen Aufzug, um als Forstbeamter auftreten zu können. So konnte ich das mit einem eingewanderten Wolf erklären, dem wir auf der Spur sind und der auf dem Durchzug seinen Hunger gestillt hat. Damit es keine Aufregung gibt, haben wir das Schaf natürlich bezahlt. - In der Nacht zuvor hattest Du ein Reh am Straßenrand gefunden, das dort angefahren wurde und dabei verendet ist. Die beiden eher kleinen Beutetiere, mehr hast Du als Feral nicht gegessen - das ist ungefähr die Hälfte dessen, was Du gebraucht hättest. Immerhin bist Du einige hundert Kilometer geflogen in der Zeit." -
„Habe ich jemanden... gefährdet?" -
„Nein. Du hast Menschen gemieden, es wird Dich vermutlich nicht mal einer gesehen haben - wir konnten Dir nur folgen, weil wir wissen, worauf wir achten müssen. Nein, Du warst sehr vorsichtig, nicht mal Hubschrauber, die Dir nahe gekommen sind, hast Du angegriffen - nur vorsichtig und neugierig beobachtet. Sogar die wenige Beute passt dazu. Du hast lieber gehungert, als beim Beuteschlag Menschen zu nahe zu kommen. Du musst dazu wissen, dass Du in der ganzen Zeit alles menschliche Wissen vergessen und rein instinktiv gehandelt hast." -
Vergessen? Alles Menschliche Wissen vergessen? Passiert das immer, wenn man ein Drache wird? Oder nur als Feral - Kyrrah kann sich ja an Michael erinnern. Es wäre jedenfalls wesentlich weniger spannend, wenn man als Drache zum Tier wird - ohne Erinnerungen und Wissen.
„Ich vergesse als Drache alles...?" -
„Nein... Du hast es auch nicht wirklich vergessen - aber bei dem ersten spontanen Erwachen fehlt noch die Verbindung zu Deinem Bewusstsein und Deinem Wissen. Bei euch Drachenmenschen ist vor dem Erwachen als Drache, das Wachbewusstsein das eines Menschen, aber das Unterbewusstsein ist schon das eines Drachen. Manchmal dringt etwas daraus in das Wachbewusstsein, je nach Intensität mögt ihr Drachen, statt sie zu fürchten, wie die anderen oder fühlt euch sogar als einer - auch ohne je wirklich zu erwachen, denn diese Fähigkeit, einen Drachenkörper zu materalisieren haben nicht alle. -
Während des ersten Erwachens hast Du in der ganzen Zeit rein Instinktiv gehandelt, mit etwas elementarem menschlichem Wissen. Aber Dir war die enge Verbindung zu den Menschen in der Zeit immer bewusst." -
„Ich spüre jetzt etwas fremdes da irgendwo in mir..." -
„Auch wenn Deine Wandlung jetzt misslungen ist, oder vermutlich eher weil sie misslungen ist, macht sich jetzt Dein Unterbewusstsein bemerkbar. Aber fürchte es nicht, es würde Dir sicher auch als etwas fremdes vorkommen, wenn es rein menschlich wäre. Das gehört zu Dir und war schon immer da." -
Eine Erklärung ist das, ob das stimmt?
„Warum verstehe und spreche ich die Sprache der Drachen? Das muss ich doch irgendwann gelernt haben." -
Josef nickt nachdenklich.
„Man hat mir einiges über euch erklärt, aber zur Sprache wurde mir nur gesagt, dass das Wissen darüber in eurem Unterbewusstsein angelegt ist. - Ich weiß, genetisch ist uns kein Weg bekannt, aber dennoch haben auch Tiere, die nicht von ihren Eltern lernen, ein teilweise recht komplexes Artverhalten schon von Geburt oder Schlupf an. - Ich vermute aber, dass es mit der Lebensenergie zu tun hat, mit der die Drachen sehr eng verbunden sind. - Kyrrah?" -
Der nickt.
„Ich bin davon überzeugt. Ich habe die gewaltige Kraft drüben ja selber schon erleben dürfen. Und auch hier ist sie vorhanden, wir könnten uns nicht ohne sie wandeln. Und wir stehen vermutlich über unser Unterbewusstsein und über das Kleinhirn mit ihr in Verbindung. Das hat mir einer unserer wissenschaftlichen Berater so erklärt." -
Naja, wer weiß schon, wozu unser Gehirn so alles fähig ist - vielleicht sogar dazu. Aber ich will noch mehr wissen über die Zeit, die mir fehlt.
„Diese Vorsicht im Umgang mit Menschen - Sicher, dass es keine Furcht vor den Menschen war?" -
„Ganz sicher, denn Du hast mehrfach Menschen angeschlichen und beobachtet. Und Dich danach vorsichtig wieder entfernt. Nein, keine Furcht - Sorgfalt und Vorsicht." -
„Und niemand hat mich bemerkt?" -
„Einige werden Dich sicher bemerkt haben, aber nicht als Drache erkannt. Ihr könnt Euch gut tarnen." -
„Aber die Hubschrauber..." -
„Wir konnten Dich einmal gut beobachten dabei, zufällig waren wir da ganz nahe und hatten Dich gut im Blick. Du hast jede Deckung ausgenutzt und Dich in ihrem toten Winkel aufgehalten. Hilfreich ist, dass Eure Schuppen nur sichtbares Licht reflektieren, mehr nicht. Kein Schall, kein Radar, nichts. Du warst manchmal auch so plötzlich verschwunden, dass ich fast glaube Du gehörst zu denen, die zusätzlich auch noch das Licht in ihren Schuppen verschlucken können, dann bist Du nur noch ein schwarzes Loch in der Nacht..." -
Ja klar... oh Mann... ich bin ein B2-Stealth-Drache... na sicher.
„Na... ob das möglich ist?" -
„Du bist direkt über den Flughafen Tegel geflogen, wir hören bei so einer Verfolgung allen Funkverkehr ab, um auf ungewöhnliche Beobachtungen reagieren zu können - nichts, die haben Dich nicht bemerkt." -
„Funktioniert aber nur nachts..." -
„Der Tarneffekt beim Lichtschlucken ja. Vermutlich kannst Du dann aber auch steuern, welche Lichtfarbe zurückgeworfen wird. So im passenden Blau vor dem Himmel, oder Grün auf einer Wiese, wird es zumindest aus einiger Entfernung schwer, Dich zu erkennen." -
„Selten?" -
„In dieser Form gibt es nicht viele. Sehr viele Edle gehören aber dazu. - Aber praktisch alle können eine Tarnfarbe annehmen. Für die meisten ist das dann aber eher ein gesprenkeltes Grau, sie spielen dann einen Fels in der Landschaft. Manche auch ein gestreiftes oder geflecktes Grün, praktisch im Wald - da stört höchstens die Größe." -
Gut, eine Tarnfarbe kann ich mir noch vorstellen.
„Ah, wohl ein Rest einer Nestlingstarnung..." -
„Vermutlich." -
Naja, das würde erklären, warum ich zweieinhalb Tage lang durch die Gegend fliegen konnte, ohne dass mich die Luftwaffe gejagt hat.
„Und Du meinst, ich bin so ein Technicolor-Drache?" -
Beide kichern. Josef zuckt mit den Schultern.
„Abwarten. Zumindest wohl eine recht dunkle Tarnfarbe - was ganz gut ist, denn das Kupfer schimmert schon recht stark." -
„Wie, jetzt auch noch Kupfer?" -
„Das ist Deine normale Schuppenfarbe so ein rotbrauner Ton - und da Deine Schuppen das Licht normalerweise recht stark reflektieren, sieht das fast wie Kupfer aus." -
„Ah... auffälliger Drache hat besonders unauffällige Tarnung..." -
„Leider kann ich nicht sagen, ob dieser Schluss zutrifft, ich kenne nur wenige Drachen persönlich - und die tarnen sich dann in der Regel auch nicht." -
Das Fleisch ist weg, der Salat auch.
„So... das reicht fürs erste. Danke für das Essen. Tut mir leid, dass ich Dir hier die Haare vom Kopf esse. - Da fällt mir ein: die Kosten für das Schaf ersetze ich Dir natürlich - war hoffentlich nicht zu teuer." -
„Du bekommst ja eine Apanage - aber Du musst mir das auch nicht ersetzen. Ich habe einen Etat für jeden Neuen, den ich beanspruchen kann. Und abgesehen davon habe ich soviel von Eurem Volk bereits profitiert, dass ich mal etwas zurückgeben kann." -
Josef reibt sich über den Kopf.
„Und ein paar Haare sind ja noch übrig..."
Wir grinsen - anschließend blicke ich Kyrrah an. Langsam werde ich neugierig ob dieses kribbelige Gefühl, dass ich kurz hatte, vielleicht wirklich ein Drache gewesen sein könnte.
„Lass es uns noch einmal versuchen. Es war zwar äußerst unangenehm, aber ich habe da auch etwas gespürt, was mich sehr neugierig macht..." -
„Ich habe schon bemerkt, dass Deine Zweifel mehr spezifisch geworden sind und nicht mehr so pauschal ablehnend. Gut, ich bin bereit." -
Wir helfen Josef noch schnell, das Geschirr in die Spülmaschine zu stellen und die Küche zu säubern, dann geht's auch schon nach unten, wo ich wortlos und ohne Aufforderung meine Kleidung wieder ablege. Ich will nach draußen...
„Wohin willst Du?" -
„Das vorhin war nicht gerade angenehm, ich mache den nächsten Versuch lieber draußen, wo Platz ist. Kann ja nicht schaden." -
„Es hat angefangen zu regnen..." -
„Egal, ich will es jetzt wissen. Und wenn es schneit." -
„Schon gut Ralf. Ich denke ja nur daran, dass Dir kalt sein wird. Mir macht das weniger aus, wir können uns gut einheizen." -
„Kannst Du Feuer spucken - blasen...?" -
„Ja. Noch nicht viel, leider. Das entwickelt sich erst noch. So in 10 Jahren kann ich dann jeden Flammenwerfer locker schlagen - wobei ich ja keinen zusätzlichen Brennstoff brauche. Aber erst als Feral geht das dann richtig zur Sache. Dann sind es keine Häuser mehr, sondern Wohnblocks, die... - entschuldige. Natürlich nicht, soll nur als Größenordnung zur Orientierung dienen." -
Wir kommen nach draußen und treten unter dem Vordach hervor. Ein fieser kalter Regen, aber das ist mir jetzt egal, ich spüre den kaum...
„Und das Himmelsfeuer dann gleich die ganze Stadt...?" -
„Mmmmh. Nach den Erzählungen eine von den Ausmaßen von New York mit den Vororten. Auf einen Schlag. Aber das ist dann ja auch nicht mehr das eigene Feuer. Das dürfte nicht viel stärker als meines sein." -
„Reicht ja auch schon. Ich möchte auch nicht in einem Panzer sitzen, dem ein Drache ein wenig einheizt..." -
„Nee, das reicht schon zum teilweisen aufschmelzen... - Lass uns darüber ein anderes Mal sprechen. Erst einmal die bewusste Wandlung. Willst Du es jetzt mal alleine probieren? Ich helfe Dir aber gerne wieder dabei." -
„Ich versuche es erst einmal alleine. Muss ich dazu wieder so in Fahrt kommen? - Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich erst zornig werden muss um ein Drache zu werden. So wie der Hulk..." -
Kyrrah grinst breit.
„Nee... der ist ja auch grün. - Am Anfang hilft es, wenn man viel ... Kraft aufbaut - ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Aber irgendwann ist es nur ein kleiner Schubs am Trigger - der richtige Gedanke - und los geht's. -
Lasse einfach keine Zweifel zu, denk nur an den Wunsch, ein Drache zu sein..." -
Na, der ist gut... 'einfach nur dran denken...' - schade dass da nicht wirklich irgendwo ein Auslöser ist, den ich nur drücken muss. Obwohl ich ihm glaube, dass es irgendwann so ähnlich ist und wirklich ein einfacher Gedanke reicht.
„Drache... nicht doch lieber ein Anthro?" -
„Nein. Nimm Dir einfach den Drachen als Ziel. Der warst Du ja schon, vielleicht erinnert sich Dein Unterbewusstsein daran. - Und wenn Du ein Anthro wirst, schadet es ja nicht." -
Da hat er auch wieder Recht... Also hocke ich mich auf die Fersen und stütze mich mit den Händen ab. Dann denke ich an einen Drachen, einen kupferfarbenen. Und ich sehe bald einen großen Feral in meinen Gedanken, der hat zwar irgendwie Ähnlichkeit mit Draco, aber egal. Wo war jetzt die Stelle in meinem Bewusstsein, wo es vorhin angefangen hatte zu brennen...?
Nee, das war es nicht... Nochmal... Nochmal... es will einfach nicht. Dabei war das doch die Stelle, diese Ecke in meinem Kopf, wo das angefangen hatte. Oder ist das keine bestimmte Position, sondern mehr ein Gedanke oder Gefühl? Nur welches... Ach verflucht nochmal, diese Scheiße geht mir auf den Geist. Eigenartig, dieser plötzliche Zorn fühlt sich gut an... - aber wo ist nun dieser verfickte Trigger, mir wird langsam doch scheißkalt...
Huch, was ist das...? Irgendwas baut einen Druck in mir auf, ein Gefühl, als würde ich aufgeblasen... es tut nicht weh, nur so ein dehnendes Gefühl... Und das Gefühl breitet sich aus. Den Rücken entlang, Arme und Beine herunter, durch den Hals in meinem Kiefer... Im Schulterbereich konzentriert sich ein drückendes Gefühl, als ob sich besonders da was ausdehnen will... Auch am Steiß... ein kurzer Stich, und dann wächst da irgendwas... Scheiße... ein Schwanz...?! Na klar - kein Drache ohne Schwanz. Scheiße, ist das Geil! Es klappt! Dann zuckt auch durch die Schultern so ein Schmerz... und ich spüre auch da irgendwas, das wächst und sich ausdehnt. - Auf der Haut ein eigenartiges Prickeln - am ganzen Körper, auch im Gesicht. Ich habe das Gefühl als würden meine Arme und Beine langgezogen - wie Gummi... aber sie werden nicht dünner dabei. Irgendetwas eigenartiges passiert mit meinen Füßen, meinen Zehen... Meine Hände... die Finger steckten sich und etwas wächst aus den Fingerspitzen und den Zehen... Ich kann nicht scharf sehen, aber irgendwas schiebt sich in mein Sichtfeld - dieses Drücken und Ziehen im Kiefer... in die Länge und... Zähne? Das Sichtfeld... verwirrend... ich sehe plötzlich... Flügel, die immer noch länger und länger werden. Ich schüttele den Kopf... irgendwas stört - wie ein Helm... als wären seitlich Gewichte angebracht... Warum kann ich Flügel sehen, die offenbar aus meinen Schultern wachsen - ohne dass ich den Kopf drehe...? Noch immer dieses in die Länge ziehen des ganzen Körpers - ich spüre förmlich, wie sich Wirbel um Wirbel in meine Wirbelsäule zusätzlich einfügen. Und dann die Lunge... ich atme nicht länger mit der Lunge... das ist... sind... Luftsäcke, die die Luft durch meine Lungenbläschen pumpen? Fühlt sich merkwürdig an - und doch auch nicht... - Warum bin ich eigentlich so hoch oben und blicke auf Kyrrah herab, der mich anstarrt, wie ein seltenes Tier...? Gleichzeitig, ohne die Augen oder den Kopf zu bewegen, sehe ich rechts von mir Josef aus der Tür kommen, der mich irgendwie zufrieden ansieht.
Das Druckgefühl und Ziehen lässt nach. Etwas später hört auch das Prickeln auf der Haut auf. Mein Blick klärt sich wieder. Ich höre einen knurrenden Laut... Oh, das bin ich ja selber. Und das klang nicht nur zufrieden, ich fühle mich auch so. Zufrieden und Eins mit der Welt.
Genüsslich dehne ich meine Glieder, will aufstehen und lande unsanft auf meiner Schulter... sehe Kyrrah wild gestikulieren und reden, höre aber nicht zu. Ach verdammt... ich bin ein Drache, das ist mir jetzt klar - ein großer Vierbeiniger Feral... da ist nix mit eben mal auf die Beine stellen und aufstehen... Scheiße... kein Wunder, dass ich hier auf der Seite liege, ich muss auf allen Vieren bleiben, dann geht das sicher besser. Umständlich rappele ich mich auf - wenigstens Arme, Beine und Körper fühle ich irgendwie noch normal und kann sie auch einigermaßen bewegen. Endlich hocke ich wieder aufrecht - nochmal das Ganze, jetzt lasse aber meine Hände am Boden... das fühlt sich auch völlig richtig an - tja... nun bin ich ein Vierbeiner. So, erst mal die Arme strecken, dann nacheinander die Beine nach hinten richtig lang machen. Das zufriedenen Grunzen muss ja wohl von mir stammen... so tief ist meine Stimme? Jetzt nochmal die Arme so richtig ausstrecken - warum ist da so ein Ziehen an meiner Seite...? Ja - natürlich... ich habe gleichzeitig auch die Flugarme voll ausgestreckt und dadurch spannt sich meine Flughaut - und zieht natürlich an meinen Flanken, wo sie mit dem Körper verwachsen ist. Ich dehne meine Halsmuskeln, kippe dabei meinen Kopf nach links und nach rechts, dann mit einem leichten Kopfschütteln wieder lockern... und ich begreife endlich, was da die Kopfbewegungen irgendwie beeinflusst - ich sehe meine abgeflachten Hörner im Bogen dicht am Kopf nach unten, dann am Kiefer entlang nach vorne laufen, wo sie, mein Kinn noch etwas überragend, in scharfen Spitzen auslaufen.
„Hrrrrmmm..."
Das tiefe rollende Knurren ist eindeutig von mir.
Erst mal richtig hinstellen. Arme durchdrücken, dann den Hintern nach oben und auf die Füße. Ich stehe auf den Zehenspitzen... Eigenartiges Gefühl, aber ich mache mir klar, dass es richtig so ist. Bewusst bewege ich meine Gliedmaßen, hebe kurz den rechten Arm, den linken. Das rechte Bein und das linke... dann beide Arme... - Nee denkste... nicht nochmal. Was ist mit meinen Flügeln, die liegen etwas traurig neben mir... wie bewege ich die nur... Ah, ich fühle sie, genauer das Gras, auf dem meine Hände liegen... Und weil ich eigentlich auf einem Betonweg stehe, den ich auch unter meinen Händen fühle, können das dann nur die Hände meiner Flügel sein. Ein eigenartiges Gefühl... aber irgendwie weiß ich doch, dass es so sein muss. Ich versuche mich zu entspannen, dann ... ich weiß zwar nicht wie, aber ich fühle sie - natürlich fühle ich sie, aber eben richtig getrennt, ich fühle eindeutig zwei Arme und zwei Flugarme. Und jetzt kann ich mich auch auf meine Flugarme konzentrieren... anheben... Arme an den Körper legen, Oberarm dabei an den Unterarm, Finger zusammen und dann im Handgelenk die Finger an die Arme... - dauert eine gefühlte Ewigkeit und sieht irgendwie scheiße aus, so richtig liegen die noch nicht am Körper. Ich probiere es, die Handgelenke etwas nach hinten zu drehen - genauer nach oben - so liegen die Finger mehr seitlich und etwas auf meinen Körper... ja, sieht schon etwas besser aus. - Huh, ob ich damit je so klarkomme, dass ich fliegen kann? Oder muss ich mich dazu erst bewusstlos prügeln lassen, damit mein Unterbewusstsein fliegt...?
Was war noch? Ach ja, der Schwanz. Und den fühle ich deutlich. Eigenartig, noch nie einen gehabt, die traurigen Reste nur mal schmerzhaft gespürt, als ich dumm auf den Steiß gefallen bin... und doch weiß ich gleich wo ich ihn finde, ich probiere es einfach mal... fühlt sich sehr, sehr merkwürdig an... aber ich schwinge meinen Schwanz langsam hin und her... ganz bewusst... anhalten - er steht. Hoch, runter... langsam, ich will ja den Boden nicht peitschen. Mal sehen, ganz entspannt hängen lassen... entspannen... hmmm, auf den Boden legt er sich nur, wenn ich es will, sonst schwebt er gleich wieder ein kleines Stück darüber... cool. Ich hatte schon Angst, dass meine so schön glänzenden Schuppen am Schwanz zerkratzt werden...
Überhaupt... Schuppen... ich drehe meinen Kopf, huch... ich kann ja direkt auf meinen Rücken sehen... Links, rechts... versuchshalber mal unter meinen Bauch geschaut... Geil, wie steif ich früher war und jetzt... - Ja überall sind Schuppen, glatt und glänzend. Auf dem Bauch solche Platten, wie bei Kyrrah, breit, massiv. An den Flanken gemischt, kleiner größer, glatt, wie poliert, dann einige Reihen neben der Rückenfinne entlang meiner Wirbelsäule, die eher buckelig wirken. Stark, kräftig, die Wirbelsäule schützend... mit einem optischen 'du kommst hier nicht durch' jeden Bissversuch eines Rivalen schon durch ihren Anblick vereitelnd. Dazu die feinsamtige Flughaut... Ich liebe schon jetzt diesen Drachen... Aber fühle auch etwas Zweifel... immer noch. - Nicht ob, sondern weil ich ein Drache bin...
Ich drehe meinen Kopf wieder nach vorne, blicke Kyrrah an... zwar etwas von oben herab, aber bei meiner Größe...
Der geht auf sein Knie und neigt seinen Kopf vor mir.
„Edler T'Áan'Aáh, Herr, ich grüße Euch. Seid willkommen in den Welten der Menschen und Drachen." -
„Kyrraaa... aasss rrreddss Tuuu..." -
Ich schüttele den Kopf und knurre missgelaunt, das Sprechen ist schwer, es geht nicht so, wie gewohnt... Aber Kyrrah blickt zu mir hoch und grinst.
„Ich habe Euch nur begrüßt, Edler Herr. So wie es die Sitte gebietet. - Seid unbesorgt, das Sprechen wird euch schon bald leichter fallen. Bitte sprecht in der Sprache zu uns Edler Herr, es fällt Euch sicher einfacher." -
„Ichh hhoffe ess. Hrmm... verzeih, ich musss noch üben." -
Tatsächlich geht es in der Sprache besser. Die Sprache wurde schließlich von Drachen entwickelt und passt zu ihrer Anatomie. Aber wenn Kyrrah mir darin ähnlich ist, müsste es mit etwas Übung schon klappen, immerhin war das Deutsch ja schon halbwegs verständlich...
„Ihr sprecht bereits recht gut, Edler Herr. Das wird nicht lange dauern. Und ich beneide Euch..." -
„Warumm" -
„Weil ihr gerade erst bewusst zum Drachen wurdet und schon Euren Schwanz und die Schwingen beherrscht"
'...und weil ihr ein Feral seid' flüstert er, den schnell Kopf gesenkt, damit ich es nicht bemerke. Nur ist mein Gehör so gnadenlos, dass ich ihn deutlich verstehe. Weiß er das nicht?
Ich senke meinen Kopf, bis ich ihn fast auf seiner Augenhöhe ansehe.
„Flügel und Schwanz... da werde ich noch viel üben müssen. Und ich muss auch erst lernen ein Drrékh zu sein, ein Drachenmensch. Ich kann ja schlecht als Feral mit euch gemeinsam essen..." -
Er blickt mich erschreckt an.
„Du hast mich verstanden...?" -
„Ein Feral kann wohl besser hören, als ein Anthro. Ja, ich habe es gehört. Habe etwas Geduld, junger Freund." -
„Ja, Edler Herr. Verzeiht einem ungeduldigen Jüngling." -
„Hrrrmpf!" -
Mit meinem Knurren steigt Rauch aus meinen Nüstern... Oha... Vorsicht...
Kyrrah grinst.
„Das mit dem Feuer... das sollten wir möglichst bald üben. Sonst zündelt Ihr noch, Edler Herr." -
„Lass das bitte." -
„Was, Edler Herr?" -
„Genau das. Ich weiß es, Du musst es mir nicht ständig sagen." -
„Oh... ja, gerne... Wie darf ich Dich ansprechen? Ralf, Tan'Náh oder T'Ánh'Aáh?" -
„Du bevorzugst Deinen Drrékh-Namen, so sollten wir es also auch halten. Aber bleiben wir vorerst bei meinem Rufnamen, also Tan'Náh - wenn meine Augen wirklich so blau sind." -
„Sie sind so blau, Tan'Náh." -
Er hebt seine Hand und streicht mir vorsichtig über die Schuppen an meinem Kinn.
„Ich freue mich Großer. Für Dich und für mich. Endlich nicht mehr so alleine..." -
Leise, ganz leise hat er gesprochen. Damit Josef es sicher nicht hört. Das Leben so alleine als Drachenmensch unter den Affenmenschen, ohne sich zeigen zu dürfen, muss ihm zuletzt schwer gefallen sein. - Wie komme ich auf Affenmenschen...?
Ich hebe meinen Kopf wieder.
„Zeigst Du mir bitte, wie du Deine Flügel zusammenfaltest? So fühlt sich das falsch an." -
„Klar Großer. Wir sagen aber Schwingen, sind ja schließlich keine Vögel." -
„Verstehe. Das sind ja auch Dinos..." -
Grinsend breitet er seine Schwingen aus und zeigt mir langsam, wie er seine Finger zusammenlegt, die Finger krümmt und anschließend so etwas ähnliches wie eine Faust macht. So sind die empfindlichen Finger geschützt und die Schwingen sehr viel kürzer. Dann zieht er Ober und Unterarme an den Körper, dreht das Handgelenk und legt seine 'Faust' auf die Arme. Bisher hat er das immer sehr schnell und alles gleichzeitig gemacht, das wirkte sehr verwirrend, aber so wird das klar und eigentlich ganz einfach.
Ich mache es ihm nach. Langsam und jeden Arm einzeln. Aber es klappt - nach dem dritten Versuch... Anschließend sehe ich ihn fragend an.
„Ja, so sieht es gut aus. - Oh, Mann. Ich habe eine Woche gebraucht, die Arme überhaupt bewusst bewegen zu können und zwei Wochen, bis ich das mit dem Anlegen richtig hinbekommen habe. Josef weiß auch, wie es geht, kann es nur nicht ganz so gut vormachen. - Und Du stehst hier und 'Tada'... fertig..." -
„Nicht ärgern. Und so einfach 'Tada' ist das auch nicht. Jetzt stehe ich mit den Händen fest auf dem Boden, da ist das einfach zu trennen. Wenn ich mal so stehe, wie Du, bringe ich bestimmt die Arme wild durcheinander. Dann nimm bitte nicht das Schwert um den drachischen Knoten zu lösen..." -
Er nickt, während das Kichern von Josef zu hören ist. Ich wende meinen Kopf zu Josef. Wie einfach es als Feral ist, sich so umzusehen...
„Ich danke Dir, Josef. Für Deine langjährige Arbeit für die Drachen und Deine Beharrlichkeit mit der Du mich schließlich doch zum Drachen gemacht hast. Für Deine Freundschaft, mit der Du mich bei Dir aufgenommen hast. Verzeih mir, dass ich dachte, Du hättest mich entführt und würdest ein schräges Spiel mit mir treiben." -
Das mit der Tätigkeit für die Drachen ist ein Gedankenfetzen, der in meinem Bewusstsein aufblitzte, der Rest ist auf meinem Mist gewachsen und durchaus ernst gemeint. Er winkt ab, ist aber sichtlich berührt.
„Lass nur. Ich hätte an Deiner Stelle das selbe gedacht. Wer erwartet heute, dass es Drachen gibt. Kommst Du heute noch zurück oder versuchst Du noch ein Anthro zu werden? Sonst müssen wir Dir schnell ein Lager bereiten, hier in der Nähe ist keine Höhle für Dich." -
„Ich verstehe. Zur Höhle im Harz zurück ist es zu Fuß zu weit und fliegen ist jetzt bewusst sicher nicht ganz so einfach. So leicht lassen sich die Instinkte wohl nicht wieder wecken." -
„Ja leider. Du hast ja Hilfe, ich konnte Kyrrah leider nicht so gut unterstützen, als er fliegen lernen sollte. Ich hoffe, er verzeiht mir das eines Tages." -
„Sicher. Aber ich möchte mich doch mal sehen, einen so großen Spiegel hast Du sicher nicht... Oh. Moment, die Fenster... das reicht doch schon." -
Etwas umständlich und Schritt für Schritt drehe ich mich zum Gebäude. Es wirkt sicher eigenartig, aber ich mache es bewusst langsam und kontrolliert. Mein Stolz verbietet mir, mich hier stolpernd nochmal hinzulegen. Aber er erlaubt mir, mich bewusst langsam, wenn auch etwas unbeholfen zu bewegen.
Ja, ich sehe mich, denke ich jedenfalls... Denn mich blickt da im Fenster ein Drache an. Zwei tiefeisblaue Augen starren mir mit ihren Schlitzpupillen in die Augen. Blicken finster über die lange, mit goldfarbenen Platten bedeckte Schnauze. Die Nüstern blähen sich leicht im Rhythmus meines Atems... Ich ziehe eine Augenbraue hoch und schon grinst mich der Bursche im Fenster freundlich ironisch an. Der Kopf elegant lang und schmal - die im Bogen aus der Stirn wachsenden, nachtschwarzen Hörner, die hinter meinen Ohrfinnen den Kopf einrahmen und dann entlang des Kiefers nach vorne laufen, lassen ihn allerdings deutlich wuchtiger erscheinen. Direkt daneben entspringen zwei gerade, schlanke, nadelspitze Hörner direkt über den Augen nach vorne, etwa halb meine Schnauze entlang ragend. Und mittig wieder zwei breite, kurze Hörner nach hinten mit einem leichten Schwung nach außen - der Nackenschutz, ebenso schwarz. Und dazwischen richtet sich gerade stolz eine große, rotgoldene Finne auf, die weit nach vorne ragt. Dagegen sind die Ohrfinnen in der Farbe der Schuppen fast unauffällig. Ich bemerke das Spiel ihrer Bewegungen, als ich akustisch verfolge, wie Josef zu Kyrrah geht. - Verrückt, sechs Hörner... oder in sechs Spitzen aufgespalten, zum Glück sind sie weniger schwer, als sie aussehen.
Ich spiele den eitlen, der sich im Spiegel betrachtet, drehe meinen Kopf, betrachte meine Zähne, die ähnlich wie bei Kyrrah eng beieinander stehen und wie Dolche wirken. Zusätzlich habe ich deutlich längere Fangzähne oben und unten, die ihm fehlen. Ein prächtiges Prädatorengebiss...
Unter der Kehle beginnen die breiten Schuppenplatten, die über Hals, Brust, Bauch bis zum Ende des Schwanzes laufen und wie die Nasenplatten einen Goldton zeigen. Natürlich nicht wirklich Gold, so wie das Kupfer eigentlich ein Rotbraun ist, so ist das Gold ein dunkles Gelb mit leichtem Rotstich - Erst durch den Glanz der Schuppen erhält die Farbe ihre metallische Wirkung.
Die beiden sprechen miteinander, aber nur belangloses - oder auch nicht, denn sie besprechen kurz, wie es mit meiner Ausbildung weitergehen soll, denn anscheinend werde ich möglichst bald vom jemandem erwartet... Na egal, die beiden haben jedenfalls nicht vor, mich irgendwo unvorbereitet runter zu werfen.
Ich richte meine Sinne kurz nach hinten, keiner da. Also gehe ich ein paar Schritte zurück. Klappt ja schon ganz gut. Auch die Drehung auf die beiden zu gelingt mir schon besser. Will sagen, ich habe das Gefühl, nicht so steif herum zu staksen... Mal sehen, ich gehe in einem großen Bogen um sie herum, ein Stück geradeaus, wieder einen - etwas engeren Bogen und direkt auf die Beiden zu. Es fühlt sich zwar immer noch etwas eigenartig an, nur auf den Fingern, den Zehen und den entsprechenden Ballen zu laufen, während Handballen und Handgelenk, sowie die Ferse und Fußgelenk keinen Bodenkontakt haben - ja eigentlich überhaupt auf den Füßen zu laufen, während Menschen ja auf den Knien einen Vierbeiner nachmachen - aber ansonsten ist das nicht viel anders als das Krabbeln bisher als Mensch. Nur dass es sich sehr viel besser und richtiger anfühlt, als das Krabbeln... und sicher auch sehr viel eleganter aussieht, wenn ich es mal richtig beherrsche.
Kurz vor den beiden bleibe ich stehen... jetzt packt mich der Ehrgeiz... Katzenbuckel, Füße kurz hinter die Hände stellen, etwas weiter außen... Knie nach außen, Hintern runter... Ich sitze... Keine Ahnung, ob Kyrrah mich so ansieht, weil es komisch aussieht, oder weil er sich nicht vorstellen mag, dass ich das schon hinbekomme. Aber für mich fühlt sich das ganz gut an. Nur der Schwanz... Schwanz, wo bist Du... Gehirn an Schwanz, bitte melden... Aha, da... so dann mal links... links... weiter links... Ich sehe wie der Schwanz sich um meine Arme legt und dann, als ich die Konzentration herausnehme, auf dem Boden liegt. Schön um meine Beine und Arme gewickelt. - Ralf, die Drachenkatze... Katzendrache...? egal.
Ich lege meinen Kopf schief und schaue die beiden vor meinen Händen an.
„Also gut, ihr beiden... Ihr glaube, ich könnte mich überreden lassen, dass die Möglichkeit besteht, dass ich vielleicht ein Drache sein könnte... rein Theoretisch natürlich..." -
Die beiden starren mich an, offensichtlich überlegen sie, wie sie das deuten sollen...
„Vielleicht... theo... retisch... Wie..." stammelt Josef ratlos.
Doch dann schaltet Kyrrah und beginnt zu kichern, bis er lauthals lacht. Klingt aus seiner Kehle zwar irgendwie gefährlich, so rollend mit dem ihm eigenen knurrenden Unterton, aber es ist eindeutig ein lautes Lachen.
Josef blickt ihn an.
„Du... Du meinst, er..." -
„Na klar!" prustet Kyrrah.
„Der Große verarscht uns. - Na, hättest Du das vor anderthalb Stunden geglaubt, Großer?" -
Er hat sich also für einen Nick für mich entschieden. Mir nur recht, denn meine Namen benötigen in der Sprache wegen der Betonung viel Zeit. Überhaupt ist die Sprache eher ruhig und bedächtig in der Melodie. Sie gibt mir die Zeit, die Silben bewusst zu bilden - und ist sehr kompakt auf das nötigste reduziert. Das was ich eben gesagt hatte und worüber die beiden jetzt so belustigt sind, war eigentlich nur ein Knurren, das durch die Betonung die Bedeutung einer bestätigenden Einleitung (Also gut...) und eine Ansprache enthält. Dann 'dzrrré zsaá zsaah Drrá'Kin trrréeh.' Viele Worte der Sprache haben mehrere Übersetzungsmöglichkeiten, eine wäre: 'viel reden Möglichkeit möglich Drachen theoretisch' - oder auch 'labern Wahrscheinlich vielleicht Drachen spekulieren'.
Ein Mensch, auch ich heute, muss einige Vorstellungskraft haben um daraus einen verständlichen Satz zu bilden - aber jetzt... mein Gehirn hat sich offenbar auch verändert... jetzt sind diese paar Worte so klar und verständlich wie ein halbseitiger Aufsatz. Das war aber wohl der Grund, warum Josef meinen Witz nicht verstanden hatte, Kyrrah aber nur kurz überlegen musste, wie ich es gemeint habe. Und mir wird jetzt auch klar, warum Menschen dazu neigen in der Sprache eigentlich unnötige Füllworte zu verwenden - es hilft ihnen, den Sinn zu verstehen.
Ich werde mich also bemühen, möglichst kurze Sätze und verständlich zu sprechen. Zumindest in Gegenwart von Josef.
Tja, hätte ich vorhin das geglaubt, was ich jetzt erlebe?
„Nein." -
Beide grinsen. Dann winkt Josef einladend.
„Gut, dann wandele Dich zurück zum Menschen." -
Ich soll wieder ein Mensch werden? Jetzt schon?
„Nein." -
„Was soll das heißen?" -
„Ich will nicht." -
Er schüttelt genervt den Kopf.
„Ralf, bitte..." -
Der bin ich nicht, nicht im Moment.
„Ralf?" -
„Entschuldige. Wie soll ich Dich ansprechen? Tan'Náh?" -
„Ja. Oder Großer." -
Ich grinse. Das kann ich akzeptieren und es spricht sich für einen Menschen leichter.
„Wirklich? Großer?" -
Ich nicke.
„Akzeptabel." -
Kyrrah mischt sich ein.
„Er weiß, wie schwierig die Sprache für Menschen ist. Daher hat er meine spontane Namensgebung einfach mal für sich akzeptiert, denn es entspricht ja den Tatsachen. Ich denke, er ist auch damit einverstanden, wenn Du zumindest Deutsch sprichst. Und seine knappen Antworten sollen Dir auch helfen, ihn zu verstehen." -
Wieder nicke ich.
„Richtig. Deine Folgerung ist logisch und richtig. Du verstehst die Sprache als Drrékh ja intuitiv, aber als Mensch musste ich auch sehr viel überlegen um es wirklich zu verstehen. - Verzeih Josef. Kyrrah hat Recht. Sprich Deutsch, ich verstehe." -
Josef atmet auf. Und spricht jetzt wirklich Deutsch.
„Ach deshalb. Ich dachte schon, Du wärst schon jetzt ganz zum Drachen geworden." -
„Ich bin Drache. Denke logisch. - Menschen unlogisch." -
Kyrrah legt seinen Kopf schief und sieht mich fragend an.
„Du denkst jetzt anders?" -
Denke ich anders? - Ja, doch. Mir fällt es nicht wirklich auf, aber da ist etwas anders, ganz anders. Geradlinig, Logik hat Priorität. - Unlogische Gedanken... momentan muss ich keine Vermutungen anstellen, nicht mit Unbekannten planen, also benötige ich sie nicht. Sobald ein Gedanke die strengen Grenzen der Logik verlässt, gebe ich ihn auf.
„Ja. Anders, logischer." ist die folgerichtige Antwort. -
„Wie ist das?" -
„Ich verstehe die Frage nicht..." -
„Ich meine, wie fühlt sich das an?" -
„Auch diese Frage... oh, doch. - Gar nicht. Normal und richtig." -
Während Josef bemüht ist, alles zu verstehen, wirkt Kyrrah jetzt nachdenklich.
„Würdest Du nicht lieber weiter wie vorher denken?" -
„Nein. Als Mensch, ja - da ist es richtig. Als Drache, nein." -
„Hast Du Dich verändert? - Dein Gehirn? Dein Denken?" -
„Das erfordert eine ausführlichere Antwort, wenn Du es Josef vielleicht erläutern könntest? - Danke.
Ja, ich denke, mein Gehirn hat sich verändert, ist anders strukturiert. Ich fühle zwar keinen Unterschied, aber ich weiß, dass ich jetzt anders denke. Die Art, wie ein Mensch denkt, erscheint mir wirr, chaotisch und meistens unlogisch. Sicherlich hat sich auch meine Persönlichkeit dabei verändert - ihr werdet es vermutlich nicht so merken, aber Partner oder enge Freunde würden sicher erschrecken. Vielleicht auch ein Grund für die Probleme mit Deinen Partnern. - Allerdings habe ich den Eindruck, dass Du immer noch sehr ... menschlich ... denkst." -
Ich mache immer wieder kurze Pausen, damit er Josef das kurz übersetzen kann. Dann sieht Kyrrah mich wieder an.
„Wirklich? - Naja, ich merke auch nicht wirklich einen Unterschied. - Erschreckt Dich das nicht?" -
„Nein. Warum? Es ist logisch, ich bin ein Drache, es ist unlogisch, wenn ich dann wie ein Mensch denke. Die Veränderungen machen mich ja nicht zum Feind der Menschen. Ich spüre kein Verlangen, irgendetwas nieder zu brennen. Und meine Gedanken führen sicherlich zum gleichen Ergebnis, wie vorher als Mensch." -
Kyrrah weiß, was Josef jetzt wissen will.
„Bedeutet Deine Weigerung eben, dass Du jetzt für immer so bleiben willst? Nie wieder ein Mensch sein?" -
„Nein. In dieser Welt kann ich nicht als Drache leben. Und das Leben als Mensch ist auch interessant. Ich werde wieder ein Mensch sein. Nur nicht jetzt." -
„Hast Du einen Grund dafür?" -
Ich grinse breit. Offenbar faszinieren ihn meine Fangzähne.
„Ja, aber der ist nicht logisch." -
„Wie... eben sagst Du noch, Du denkst nur noch streng logisch?" -
„Auch ein Drache hat unlogische Momente und vor allem Emotionen, die jede Logik verdrängen können..." ich wechsele auf Deutsch.
„Ess fühlt sichrch einfachrch geil an..." ... irgendwie hört sich das 'ch' wie ein 'krch' an... sehr schweizerisch...
Kyrrah nickt grinsend.
„Das kann ich absolut bestätigen - und ich bin nur ein Drrékh, wie muss das erst als Feral sein..." -
„Besserr, viel besserr. Verzseih Josseff, meine Antvorrt vorrhin warr unlogischsch..."
immer noch die sehr überbetonten S-Laute und das lang rollende R - und einige Laute wollen noch nicht so recht. Wir sprechen das H immer stimmlos, das ist also mehr ein hörbares Ausatmen, auch am Ende eines Wortes. Überhaupt sind die eher weichen Laute sehr schwer zu bilden.
„Ichrch versstehe aberr den Ssinn. Kein Rraum furr michrch." -
Josef nickt.
„Für einen Drachen und das erste Mal sprichst Du aber schon sehr gut und verständlich deutsch. Bitte mache Dir keine Mühe, ich verstehe die Sprache ja meistens recht gut, auch wenn Du sie wirklich extrem drachisch sprichst. -
Ja, ich verstehe ja, dass Du gerne noch eine Zeitlang das Gefühl erleben möchtest, aber der einzige Raum für Dich wäre die Halle dort drüben - und die ist leer, nur zum Üben bei schlechtem Wetter oder wenn Fremde in der Nähe sind. Wir könnten uns da nicht wirklich gemütlich Zusammensetzen und auch schlafen müsstest Du auf dem Betonboden..." -
„Und Drrarchen mogen gerrne veirche ... weiche... Nessterr." -
Mit viel Konzentration habe ich tatsächlich 'weiche' hinbekommen. - Josef nickt.
„Ja, so wie das in der Höhle. Aber Dir fehlt noch die Erfahrung im Fliegen, sonst wäre das kein Problem, da eben hin zu fliegen." -
„Gut, die Logik gebietet, mich zum Menschen zu wandeln. Oderr zum Drrékh, vielleicht..." -
Langsam komme ich in Übung. Immer noch sehr knurrig, mit schwer rollendem 'r', zischendem 's' und fauchendem 'ch', aber der Unterschied in der Anatomie, den ich überwinden muss, kann durchaus kompensiert werden. Kehlkopf, Rachen und Zunge sind auch als Drache flexibel genug, dass ich schon jetzt die Laute einer menschlichen Sprache halbwegs verständlich bilden kann, dann noch ein wenig Übung mit den Lippen... Schon faszinierend, dass ich mit einer Drachenschnauze fast wie ein Mensch sprechen kann. Gut, die Lippenbewegungen sind schon noch ein wenig schwierig, aber ansonsten... - naja, das zu scharfe 's' hat wohl mit einer noch falschen Positionierung der Zunge zwischen den Zähnen zu tun - das knurren und fauchen dürfte aber arttypisch sein und wird sicher auch so von mir erwartet... sonst würde man ja gar nicht merken, dass ich ein Drache bin... - Aha... trotz aller Logik - der unlogische Mensch versteckt sich immer noch in mir, und das ist eine große Beruhigung für mich.
Kyrrah ist begeistert.
„Oh ja, Großer. Versuche das bitte. Es wäre schön, mal Schuppen sehen zu können..." Ich blicke links und rechts auf meinen Körper.
„In meiner Größe, Großer..." -
„Ich versuche es. Sei bitte nicht enttäuscht, wenn ich doch wieder ein Mensch werde." -
„Nein, ich werde nicht enttäuscht sein. Ich freue mich ja schon über Deine großen Schuppen, ich bin nur etwas erschreckt, weil Du so anders denkst, so wie ein Drrá'Kin." -
„Warum erschreckt Dich das? - Geht ihr bitte ein Stück zur Seite, ich möchte Aufstehen." -
Beide machen mir schnell Platz, während Kyrrah antwortet.
„Weil ich bisher nichts bemerkt habe bei mir. Ich fühle mich nicht anders, wie als Mensch - nur dass ich gerne diesen Körper habe. Nicht nur weil ich stärker bin, meine Sinne besser sind und ich ein wenig fliegen kann. Ich fühle mich einfach wohl so..." -
„Du bist zwar fast ebenso jugendlich spontan, aber Du entscheidest schneller - und auch oft richtiger, wenn Du ein Drrékh bist..." wirft Josef ein. -
„Bin ich jetzt wirklich ein anderer...?" -
„Nein. Du wirkst aber deutlich erwachsener. Entschuldige, aber als Mensch hast Du oft noch sehr jugendliche Attitüden." -
Kyrrah blickt Josef an, ich habe jetzt genug Raum um aufzustehen ohne die beiden zu gefährden. Die Hände nach vorne, Hintern hoch - alles klar. Kurz nach hinten orientiert, alles frei, ich mache ein paar kleine Schritte zurück, so sind die beiden wieder auf Höhe meines Kopfes.
„Also hat sich auch mein Gehirn verändert?" Kyrrah scheint das ernsthaft Sorgen zu machen. -
Josef zuckt mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Aber zum Menschen bist Du lange nicht so anders, wie der Große hier." -
Ich schließe kurz die Augen, konzentriere mich, dann sehe ich Kyrrah an - um ein Vorbild zu haben.
Es durchzuckt mich etwas, jetzt geht es wesentlich besser. Wieder dieses Gefühl von Energie - aber kein Ziehen und Aufblasen... mehr so eine Art zusammenpressen... Ich fühle mich, als ob ein gewaltiger Druck von außen mich in mich zusammenschiebt. Ich muss mehrere Male meine Hände und Füße neu positionieren um nicht auf dem Bauch zu landen. Der Boden kommt näher... Es lässt wieder nach. Ich atme tief durch... das sind doch immer noch...Luftsäcke... Ich schüttele den Kopf, bewege meine Schultern... immer noch das zusätzliche Gewicht, immer noch... die Schwingen... und mein Schwanz...
„Du hast es!" höre ich Kyrrah fast jubeln.
Jetzt muss ich zu ihm hoch sehen - klar, ich bin ja noch auf allen vieren. Aber wenn ich jetzt ein Anthro bin... das sollte doch kein Problem sein, ist ja wie als Mensch. Also schnell aufgestanden... Kyrrah kann mich gerade noch festhalten, sonst wäre ich platt nach hinten umgefallen.
„Langsam Großer... denk dran, dass Du jetzt Zehengänger bist, Du kannst nicht mehr so auf dem ganzen Fuß stehen, wie als Mensch. - Na los, stell Dich auf die Zehenspitzen, ja ganz nach oben Ferse hoch, nur auf den Zehen und den Ballen, wie auf High Heels." -
„Habe ich noch nie getragen." antworte ich grinsend.
Aber es funktioniert, ich kann jetzt tatsächlich stehen, ohne mich festhalten zu müssen. Ich fühle mich nur ein wenig wackelig so auf den Zehen...
Kyrrah steht direkt vor mir, hält mich an den Oberarmen und sieht mich an, als ob er mich am liebsten küssen würde. Er ist ein bisschen kleiner, so zwei Finger breit vielleicht, jedenfalls blicke ich leicht nach unten in seine Augen, die ungewöhnlich breite Pupillen haben. So gesehen habe ich jetzt den Stand als Mensch zu ihm wieder erreicht, denn auch da war er ein wenig kleiner gewesen.
Wieder bewege ich mich ein wenig, fühle den Schuppenpanzer auf meinen Körper, eine gewisse Steifigkeit bleibt, obwohl ich keine Bewegungseinschränkungen habe. - Abgesehen von den Schwingen und dem Schwanz, fühlt sich das irgendwie doch so ähnlich an, wie vorhin noch als Mensch. Ach so ja... die 'High Heels'...
Kyrrah schüttelt mich fast.
„Mensch Großer... wie fühlst Du Dich?" -
„Wie ein Drache im Körper eines Menschen..." -
Interessant, als Anthro ist es viel einfacher zu sprechen. Das Deutsch geht deutlich fließender und ich spreche es sogar weniger knurrig als Kyrrah.
Er blickt bestürzt.
„Sag bitte nicht, dass Du es nicht magst..." -
„Ich werde es nicht sagen." -
Er seufzt und senkt den Kopf.
„Du magst diesen Körper nicht..." -
„So im direkten Vergleich... ich fühle mich mehr als Drache, als Feral. Aber der Anthro-Körper ist sinnvoll - besonders hier zwischen den Menschen. Aber es ist keine Frage, ob ich diesen oder jenen Körper mag oder nicht - es ist eine reine Logikfrage welcher Körper in der Situation den höheren Nutzen hat." -
„Nur Logik...?" -
„Ja. Würden Emotionen zählen, dann würde ich jetzt in den Harz laufen, um als Feral einen Schlafplatz zu haben." -
„Ich verstehe..." -
„Hey, junger Freund. Schau doch nicht so traurig aus den Schuppen. Die nächsten 14 Tage hast Du mich am Schwanz hängen - und sicher meistens als Anthro. Danach bist Du sicher froh, meine Schuppen nicht mehr sehen zu müssen. Und der Deal gilt weiterhin." -
„Du erlaubst Dir diese unlogischen Gedanken?" -
„Natürlich. - Die Logik gilt auch weiterhin als vorrangig, aber als Anthro fühle ich mich da freier. - Und wir waren ja auch mal Menschen, da steckt noch ein wenig drin." -
„Waren Menschen? - Wie... - auch wenn ich gerne ein Drache bin - ein Drrékh - dennoch fühle ich mich immer noch als Mensch, auch jetzt." -
Ich spüre kein Verlangen mehr danach, ein Mensch sein zu wollen.
„Oh... nein... nein ich nicht... vorhin noch ja... aber seit der Wandlung... ich fühle mich als Drache, als wäre... nein, ich war nie etwas anderes." -
Kyrrah dreht sich zu Josef um.
„Ist das normal? Macht das der Feral aus einen? Ich liebe es, dass ich ein Drrékh sein darf, aber ich will nicht vergessen, dass ich auch ein Mensch bin..." -
Josef hat uns wortlos und ernst zugehört.
„Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Mit Drrékh-Ferals habe ich nur wenig Kontakt, ihr lebt ja meistens als Menschen oder unter Wissenden als Anthro. - Aber man sagte mir, dass irgendwann nach drei, vierhundert Jahren viele ihren Bezug zu den Menschen verlieren und für den Rest ihres Lebens ganz in die Welt der Drrá'Kin gehen. - Und ich weiß zu wenig über die Späterweckten, ob das für sie normal ist, das jetzt schon zu erfahren. - Sag Tan'Náh, interessieren Dich die Menschen noch, oder möchtest Du sofort übersiedeln?" -
„Ich kenne diese andere Welt nicht. Wie soll ich da eine Entscheidung treffen. Aber ich möchte doch sehen, wohin die Menschen in der nächsten Zeit gehen werden. Da ist schon noch etwas vom Menschen in diesem Drachen." -
Josef seufzt.
„Entschuldigt ihr beiden. Aber meine Medikamente machen mich müde und ich sollte ohnehin noch etwas ausruhen. Ihr könnt euch ja gerne noch die Nacht um die Ohren schlagen, aber für mich wird diese Diskussion zu anstrengend." -
Kyrrah nickt.
„Natürlich. Ich komme gleich noch mal zu Dir und schaue ob alles in Ordnung ist. Wenn Du erlaubst, würde ich Tan'Náh heute Nacht zu mir einladen."
Er sieht mich an.
„Bei mir ist alles ein wenig mehr für Anthros eingerichtet - und ich kann Dir ein warmes, weiches Nest anbieten, das für Gäste immer bereit ist." -
Ich sehe Josef an und spüre seine Zustimmung.
„Da Josef einverstanden ist, ja, ich komme gerne mit zu Dir." -
Der nickt.
„Dann darf ich Dir schon eine gute Nacht wünschen. Die erste bewusste Nacht als Drache... träum was schönes." -
„Auch Dir eine gute Nacht, Josef. Morgen frisch gestärkt geht es weiter." -
Er dreht sich um und geht zurück zu seinem Haus. Mich lädt Kyrrah mit einer Handbewegung ins Gebäude gegenüber ein.
Ich gehe los, und schon falle ich fast wieder. - Auf die Zehenspitzen... Ja, jetzt geht's. Ein wenig wackelig, denn so auf den Zehen fehlt mir gefühlt die Auflagefläche, aber nach einigen Schritten fühle ich mich schon sicherer. Und langsam begreift auch mein Bewusstsein, dass es für einen Drachenanthro normal ist, so zu laufen. Ich empfinde meinen Gang zwar immer noch als recht staksig, aber ich muss mich nicht mehr so sehr drauf konzentrieren und brauche auch die angebotene Schulter von Kyrrah als Halt nicht mehr.
Wir betreten das Gebäude, das sich nicht sehr von dem Josefs unterscheidet. Auch hier so eine Lobby, rechts und links Türen.
„Für nicht eingeweihte Gäste. Rechts Gästezimmer, links Wohnraum, Küche und so. Anders als Josef kann ich diese Gäste nicht mit nach oben nehmen - da ist mein Drachenreich, meine Wohnhöhle." -
Hier ist eine Tür vor der Treppe, die jetzt aber offen steht. Wir gehen nach oben - ich bin doch froh über den Handlauf, der mir Sicherheit auf den Stufen gibt. - Irgendwie bekloppt. Da fühlst Du Dich als Drache, aber beim Laufen denkst Du immer noch als Mensch.
Oben fühle ich mich gleich wohl. Zwar ist der Begriff 'Höhle' nur im übertragenen Sinne zu verstehen, es sind schon normale Räume, aber alles mit mediterraner Farbgestaltung in meist dunklen Erdfarben gehalten. Dazu indirektes Licht, der Boden in Naturstein mit rauer Oberfläche ausgelegt. Er zeigt mir kurz die Küche, die auch vollständig, aber mit einer deutlich günstigeren Marke eingerichtet ist. Kyrrah bevorzugt Granitarbeitsplatten, bei Josef war alles Edelstahl.
Schon im angrenzenden Speiseraum beginnen aber die größeren Unterschiede. Hier sinkt man mehr in einer Rundumpolsterung in Sitzschalen ein, oder entscheidet sich für eine liegende Position, alles mit Einzeltischen, auf denen dann die Speisen stehen. Es hat einen etwas Altrömischen Anschein. Hier ist auf der anderen Seite der längere Flügel, in den er mich jetzt führt. Zuerst zwei gemütliche, sehr dunkel gehaltene Räume in denen jeweils eine ovale Sphäre steht, ich schaue in eine hinein und sehe ein rundum dick und weich gepolstertes Nest.
„Das ist schon sehr nach Art der Drachen, es sieht dem in der Höhle recht ähnlich." -
„Ja. Und so ein Nest ist wohlig warm und bequem. Du wirst Dir so eines noch wünschen, wenn Du mal in einem normalen Bett Deine Schwingen sortierst um schlafen zu können. - Ist alles modernstes Memoschaum-Material und ein ausgewählter Kunstpelz. Dazu Multimedia vom Feinsten." -
Dann zwischen den Schlafräumen ein Bad. In einer Nische die Toilette, die einer dieser Stehtoiletten ähnelt. Mir ist schnell klar, dass diese Form für uns wesentlich geeigneter ist, schon wegen dem Schwanz. - Weiter ein recht normales Waschbecken, in der Ecke eine große Wanne, anscheinend sogar mit Jacuzzi. Daneben eine ebenerdige Dusche, sehr geräumig, dass man sogar seine Schwingen etwas ausbreiten kann und mit fünf verteilten Duschköpfen und einer Wasserfalldusche ausgestattet.
Dann der Wohnraum, heller gestaltet, auch alles indirekt beleuchtet. Und hier stehen auch solche Nester, nur offen und so gestaltet, dass man drin sitzen oder liegen kann, wie es einem gerade gefällt. Auch hier überall kleine Tische für Getränke und ähnliches.
Kyrrah macht eine einladende Handbewegung.
Nimm bitte Platz, hier sind Fernbedienung, Tastatur und so für die Multimediawand. Da Getränke und Gläser. Nimm, was Du magst, gerne auch den Champagner, ist ja immerhin ein besonderer Tag heute für Dich. - Ich schaue schnell rüber zu Josef, ob da alles in Ordnung ist. Mache ich sonst nicht, aber er ist heute noch etwas angeschlagen. In einer Viertelstunde, 20 Minuten bin ich wieder da." -
„Natürlich, ich schau mal, was ich finde, oder ob es nicht doch Nachrichten über einen Drachen gibt." -
Kyrrah grinst und schon bin ich alleine hier.
Was gibt es zu trinken? Eigentlich alles da. Champagner? Jetzt noch nicht, nachher vielleicht. Erstmal Mineralwasser, ich habe Durst bekommen - und dann? Hmm, jetzt vielleicht doch einen Single Malt.
Ich greife nach einem Glas... Scheiße, das rutscht mir aus der Hand und wäre fast auf dem Boden gelandet, gerade noch mal Glück gehabt. Ich habe kein Gefühl in den Händen, ich weiß nicht, ob ich schon fest genug oder schon zu fest zugreife. Die Schuppen behindern das Fühlen doch extrem, ich hätte da etwas anderes erwartet. Und glatt sind die Schuppen, sogar die feinen, sich so weich anfühlenden in der Handfläche. Alles nicht gerade dazu geeignet, ein zerbrechliches Glas zu greifen. Na, dann eben doch einen Cognac - einen Schwenker kann ich ja zwischen den Fingern halten. Und die Wassergläser werden nach oben breiter, die kann ich auch fassen.
Mist, die Flasche ist ein Problem, die hat zwar einen Korken, das ist einfach, aber die Form ist nicht ideal. Nach einigen vorsichtigen Verrenkungen habe ich mir mit beiden Händen an der Flasche das Glas gefüllt. Dann die Gläser auf einen Tisch neben das Sitznest, das ich mir ausgesucht habe und schließlich die Wasserflasche. So, bereitgestellt ist alles, ich entscheide mich für etwas Musik und setze mich in dieses Nest, mein Schwanz und meine Schwingen werden förmlich verschluckt als ich mich wohlig seufzend zurücklehne. Nachdem ich endlich die Wasserflasche auf habe - ich war schon kurz davor, die Plastikflasche mit meinen Krallen zu perforieren - wird der Durst gelöscht, dann nippe ich am Cognac und sinke beim Hören auf die Musik in eine Art Meditation.
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