Kapitel 7: Brüder
#8 of Drachenkrieg
Ein dumpfer, langsamer Schlag war das einzige, was Rieder hörte während sein Kopf auf Kisames nackter Brust lag. Es reicht, dachte er mit halb offenen Augen. Solange er lebt, reicht es vollkommen. Ihm fehlte die Kraft zum aufstehen, Grund dafür war der von dem Pfeil kommende Schmerz in seiner Schulter, ebenso fühlten sich seine Beine schwer und unbeweglich an, die einzige Bewegung, welche Rieder in diesem Moment spürte war das langsame, kaum spürbare Anheben von der Brust des Haimenschen.
Verloren in seinen Gedanken und unfähig, seinen vom Kampf geschundenen Körper zu bewegen, bemerkte der junge Mann den näherkommenden Sergal erst, als dieser bereits mit gezogenem Schwert über ihm stand.
Schlamm tropfte von seinem eins weiß-grauen Fell, seiner verbeulten Rüstung und seiner verdreckten Klinge, Wut staute sich in dem Soldaten, teils wegen des Todes seiner Kameraden, andererseits aber auch, weil derjenige, der ihm dies antat nicht einmal mehr den Anstand besaß, seinem baldigen Tod aufrecht gegenüber zu stehen. Seine gepanzerten Finger pressten sich in das harte Metall seines Schwertgriffes, kein Wort drang aus seinem spitzen, mit Reißzähnen besetzten Maul, stattdessen konnte man lediglich ein vorfreudiges Hecheln auf die bevorstehende Rache hören. Aus dem Blickwinkel heraus konnte Rieder seinen Henker sehen; ihm fehlte die Kraft um sein Auge komplett zu öffnen, ansonsten wäre er dem, was nun geschehen würde zuvorgekommen.
Gerade als der Soldat es beenden wollte, formte sich die schwarz-blaue Flüssigkeit, welche von Rieders vorheriger Rückverwandlung übrig war zu einem Haimaul, welches das Schwert samt Besitzer zunächst fing und dann bis zu dessen langsam Erstickungstod hielt, ehe es in seinen flüssigen Zustand zurückkehrte.
Geradezu unversehrt trat Eva aus dem nahen Dickicht heraus, klopfte sich Dreck und Laub von der Kleidung als sie ihren erschöpften Augen einen Blick auf die vor ihr liegende Szene gab: ein gewaltiger Schlammhaufen, welcher mehrere tote Sergalen und deren Pferde unter sich begrub, ebenso ein pferdeloser Wagen, hinter welchem zwei Personen in einer dunklen, blauen Pfütze nahezu ohnmächtig lagen. Nachdem sie sicherheitshalber die Umgebung untersuchte eilte sie zu ihnen um sich ein näheres Bild ihres gesundheitlichen Zustandes zu machen; hier musste sie die beiden voneinander trennen und nebeneinander legen, was sich womöglich kaum bemerkten, denn ihre Körper wirkten dermaßen schwach das es ein Wunder war, dass sie überhaupt noch bei Bewusstsein, geschweige denn noch am Leben waren.
Eine schnelle Untersuchung zeigte, dass Rieders Zustand den Umständen entsprechend stabil war, wohingegen Kisame sich in einer deutlich schlimmeren Verfassung befand: zwei gebrochen Gliedmaßen, mehrere Prellungen und Schnittwunden sowie eine mittelschwere Bisswunde an seiner linken Hand, bei welcher er womöglich mehrere Nerven und Blutgefäße beschädigte, wobei sie bei letzterem Aufgrund der Spur der sie folgten annahm, dass diese Verletzungen gewollt waren. Mehr als stabilisieren kann ich ihn hier nicht!, ging es ihr durch den Kopf bevor sie sich ihre langen, schwarzen Haare zu einem Zopf knotete ehe sie mit einer provisorischen Behandlung unter Einsatz von Magie und einer Erste-Hilfe Ausrüstung das Nötigste für Kisame tat; ihre ersten Ziele war Herz und Lungen, welche sie direkt behandelte. Während sie ihr bestes für ihren verwundeten Kameraden tat versuchte sie, irgendwelche Pferde in ihrer näheren Umgebung auszumachen, was sich als erfolglos zeigte, denn entweder wurden diese unter einer massiven Schlammlawine begraben oder sie waren geflüchtet aufgrund einer bestimmten Erscheinung, von welcher nur noch eine Pfütze deren Anwesenheit bezeugen konnte.
Unbedacht kümmerte Eva sich weiterhin um Kisame, als plötzlich ein Geräusch aus dem nahen Gebüsch kam. Hiervon aufgeschreckt sah sie auf, unterbrach jedoch nicht ihre Arbeit und schien dann verwundert als sie zwei Pferde, ein braun-weiß geschecktes sowie ein schwarzes durch die Büsche auf die Straße gehen sah. Hinter ihnen trat ein drittes gerade aus dem Wald, jedoch hatte dies im Gegensatz zu den anderen einen Reiter: Arcade, wessen ockerfarbene Schuppen farblich intensiver und stärker wirkten, zusätzlich machte er einen erholten und frischen Eindruck, als wäre er gerade aus einem warmen Bad gestiegen. Mit einem schnellen Ruck war er von seinem Reittier gestiegen, hielt die Zügel und führte es zusammen mit den anderen zu Eva, welche ihn misstrauisch beobachtete. „Was ist? Habe ich was falsches gemacht?", fragte er sie direkt, doch sie schien sich lieber wieder auf ihre eigentliche Aufgabe zu konzentrieren.
Ohne auf eine Antwort zu warten, kümmerte sich das Reptil um Rieder, welcher sich nur unter großer Anstrengung aufrichten konnte. Dank Arcade gelang es ihm dann aufzustehen, wobei er sich jedoch von der diesem stützen lies um nicht wieder umzufallen.
Mit schwacher Stimme erkundigte Rieder sich nach dem Rest der Kavallerie: zwar musste Eva ihr Pferd aufgeben, jedoch gelang es ihr dadurch, ihre Verfolge durch eine List von sich abzulenken, was ihr schließlich zur Flucht verhalf, Arcade hingegen wählte den Kampf, jedoch behielt er die näheren Details für sich; wieder einmal blickte Eva seinen sichtlich verjüngten Körper an, doch brachte ihn das auch nicht dazu, etwas zu sagen. Seufzend unterbrach Eva dann ihre medizinische Versorgung, blickte zu den anderen beiden hinauf und sagte:"Wir sollten sofort von hier verschwinden. Wir konnten nämlich nicht alle Soldaten loswerden, zwei von ihnen sind vor unserem Angriff vorrausgeritten und kommen gerade mit Verstärkung zurück, mindestens ein Dutzend, vielleicht sogar mehr." Mit diesem Vorschlag einverstanden nickten beide Männer, jedoch blieb die Frage nach Kisames Transportfähigkeit noch offen. „Eigentlich...", begann Eva mit gerunzelter Stirn und einem Biss auf die Unterlippe. „Würde ich ihn ungern transportieren. Da wir aber keine andere Wahl haben, müssen wir das Risiko in Kauf nehmen." Da er ihr im Hinblick auf ihre Rolle als Arzt nicht widersprechen konnte, ordnete Rieder einen sofortigen Rückzug an, jedoch wolle er Kisame auf seinem Pferd mitnehmen. „Es wäre besser, wenn-", im Satz wurde Eva von Rieders Blick durchbohrt, verstummte und befolgte seine Anweisung.
Nachdem alle drei bereit waren, verschwanden sie so schnell es ihre Pferde erlaubten in Richtung Süden, denn nur eine knappe viertel Stunde später erreichte die feindliche Reiterei den Ort des Geschehens und schien überrascht und entsetzt über den Zustand ihrer Soldaten zu sein. „Ich will das zwei Freiwillige sofort zum nächsten Außenposten reiten, dort bericht erstatten und dann mit einer Bestattungseinheit zurückkehren.", befahl der Kommandant, welchem der Geruch von Blut, nasser Erde und toter Körper langsam in die Nase stieg. „Der Rest von euch sieht zu, dass diese Soldaten für den Transport angemessen vorbereitet sind!" Den Vorschlag, den Angreifern zu folgen schlug er direkt in den Wind, denn er legte keinen großen Wert darauf, weitere Soldaten unnötig zu verschwenden.
Gleich nach ihrer Ankunft wurde Kisame von zwei Pflegern auf einer Trage ins Krankenzimmer gebracht, zwar war er noch immer nicht über den Berg, dafür hatte sich sein Zustand nicht verändert, was je nach Betrachtung gut oder schlecht war. Für Rieder war es auf jeden Fall ein Grund zum aufatmen, denn er musste sich jetzt mit einer weitaus schwierigeren Situation auseinandersetzen, welche sich nach Vervollständigung der Informationen darstellte.
Rieder, Arcade und einige andere Mitglieder ihrer Organisation saßen in einem kleinen, abgedunkelten Raum und besprachen das weitere Vorgehen. „Wir sollten dies unverzüglich zum Hauptmann der Wache bringen.", schlug eine Frau mittleren Alters direkt vor. Ihr kurzes, braunes Haar war zu einem dürren Zopf am Hinterkopf zusammengebunden, während sie mit ihren blauen Augen in die Runde blickte und auf eine Zustimmung oder Ablehnung ihres Vorschlages wartete. Sowohl Arcade als auch Rieder hatten sich nach ihrer Rückkehr aus dem Norden keine lange Pause gegönnt, weswegen sie dementsprechend müde, erschöpft und vor allem durstig auf ihren Stühlen saßen. „Arcade, würdest du das bitte erledigen?", fragte Rieder mit erschöpfter Stimme seinen Sitznachbarn, welcher still nickte, die Augen zusammenkniff, den Nacken rieb, ehe er aufstand um sich auf seine nächste Mission vorzubereiten.
In seinem Zimmer fand Rieder dann das, was er sich seit seiner Rückkehr am meisten ersehnte: Ruhe. Seine müden Augen starrten an die Decke während sein Körper jegliche Bewegung verweigerte und sich stattdessen auf eine lange, erholsame Nacht vorbereitete. Er atmete ein letztes Mal tief ein und aus, ehe er sich dann in die sanfte Umarmung des Schlafes gab.
Tage später stand Rieder mit ruhigem Blick am Fenster, blickte in den See hundert Meter unter sich und lies sich für einen Moment lang gehen. Kisames Zustand hatte sich noch immer nicht verändert, jedoch konnte Eva soweit sie es sagen konnte Entwarnung geben, denn er schien über den Berg zu sein. „Ich kann von Glück reden, dass ich von jedem ein paar Blutkonserven auf Eis gelegt hab.", lobte sie sich als sie die Verbände am Bein des Haimenschen wechselte. „Ansonsten wäre das hier bestimmt ziemlich hässlich geworden."
Nach seiner Ankunft bekam Kisame direkt eine Bluttransfusion seines eigenen Blutes zusammen mit einer einwandfreien, minutiös durchgeführten medizinischen Behandlung, welche Eva selbst überwachte und größtenteils auch durchführte. Ihr langes, schwarzes Haar war zerzaust und konnte kaum von der Haarspange, welche sie sich erst vor kurzem in die Frisur stecke gehalten werden, weswegen sie kurz darauf ein Stück Verband nahm um das Ganze wenigsten etwas robuster zu machen. Von allen, welche an der Mission im Norden beteiligt waren hatte sie am wenigsten geschlafen, was sich an ihren langsam Schritten, den ständigen Gähnern und den schlaffen Augenlidern kaum noch verdecken konnte. „Doktor, vielleicht sollten sie sich eine Auszeit nehmen.", riet ihr ein Mitglied des medizinischen Personals, welcher eine graue Uniform mit einem paar weißer Handschuhe trug. „Keine Sorge.", erwiderte sie mit einer kurzen Pause. „Ich kann noch ein wenig...länger wachbleiben. Wenigstens, bis unser Freund hier endlich mal den Anstand besitzt, wach zu werden." Der Pfleger wollte gerade weiter auf sie einreden, als sie beide ein leises, kurzes Stöhnen hörten und sich sofort zu dessen Quelle drehten. „Holt Rieder!", ordnete sie an, doch dann beschloss sie selbst zu ihm zu gehen. Voller Erleichterung platzte sie in sein Zimmer, doch konnte sie ihn dort nirgendwo erkennen, weder in seinem Bett, noch an seinem Lieblingsplatz, dem Fenster. Aus einer Ahnung heraus trat sie an das glaslose Fenster, blickte in den See hundert Meter unter sich und wirkte nicht sonderlich überrascht, als sie ihren Freund auf dem stillen Wasser treiben sah.
Sie durchschritt gerade den steinernen Durchgang zu dem See als ihr eine sanfte, salzige Brise um die Nase wehte. Langsam ging sie über das Ufer zum See, blieb vor dem ständig anschwemmenden Wasser stehen und warf dann einen Blick auf Rieder, welcher noch immer seelenruhig im Wasser lag, bis er plötzlich aufschreckte, seine Haltung änderte und sichtlich überrascht wirkte, als er Eva am Ufer stehen sah. Gerade als sie die frohe Botschaft rufen wollte, hielt sie inne und lies Rieder stattdessen zu sich kommen. Es eilt nicht, jedenfalls nicht ganz, dachte sie lediglich und wartete, bis Rieder aus dem Wasser kam. Bis auf eine graue Hose trug er keine weitere Kleidung, was Eva zwar ein wenig röte ins Gesicht trieb, sie jedoch nicht weiter ablenkte. Auch hielt sie sich mit ihrer Nachricht kurz und fasste sie auf das wichtigste zusammen:"Kisame, er ist wach." Sofort rannte der junge Mann an ihr vorbei und lies sie alleine in der Bucht stehen.
Vorbei an allen die ihm im Weg standen, betrat Rieder das Krankenzimmer, wo Kisame bereits mit offenen Augen und einen müden, jedoch gesunden Blick in seine Richtung sah. Vorsichtig trat er an das Bett heran, nahm die Hand des Haimenschen und tat sich schwer daran, seine Freude in passende Worte zu formen, stattdessen hielt er einfach nur seine Hand so fest er nur konnte. „Scheint so, als hätten wir es geschafft.", meinte der Haimensch mit einer noch schwachen, tiefen Stimme. Erleichterung zeichnete sich in seinem Gesicht ab, während alle Anwesenden diese Freude über den Erfolg der Mission und die Rückkehr ihres Freundes, ihres Bruders genossen.
Fortsetzung folgt.....